Bei Massenentlassungen muss der Arbeitgeber vorab den Betriebsrat konsultieren sowie eine Massenentlassungsanzeige an die Arbeitsagentur erstatten. Das LAG Düsseldorf hat nun klargestellt, dass auch krankheitsbedingte Kündigungen Massenentlassungen sein können. Hierüber haben wir bereits auf unserem Blog berichtet. Welche erheblichen praktischen Konsequenzen das Urteil auch für betriebsbedingte Massenentlassungen hat, beleuchten wir uns unseren heutigen Beitrag.
Kommt es im Zuge einer Restrukturierung zu Entlassungen und werden hierbei die im Gesetz vorgesehenen Schwellenwerte für eine Massenentlassung überschritten, muss der Arbeitgeber vorab den Betriebsrat zur Massenentlassung konsultieren und eine Massenentlassungsanzeige an die Arbeitsagentur erstatten. Beides ist Wirksamkeitsvoraussetzung für die Entlassungen. Vor diesem Hintergrund kommt der Klarstellung des LAG Düsseldorf, dass auch krankheitsbedingte Kündigungen Massenentlassungen sein können, erhebliche praktische Bedeutung zu. Denn dies bedeutet, dass auch verhaltens- und personenbedingte Kündigungen, die im zeitlichen Zusammenhang mit einer betriebsbedingten Massenentlassung ausgesprochen werden, bei der Massenentlassung mitzuzählen sind. Unterbleibt dies, besteht das Risiko, dass sämtliche Kündigungen unwirksam sind.
Anzeigepflicht bei Massenentlassungen
Beabsichtigt der Arbeitgeber, innerhalb von 30 Kalendertagen Entlassungen jenseits der in § 17 Abs. 1 KSchG genannten Schwellenwerte (Massenentlassungen) vorzunehmen, ist er verpflichtet, zuvor bei der Arbeitsagentur eine Massenentlassungsanzeige zu erstatten, in welcher er vor allem die Zahl der beabsichtigten Entlassungen anzugeben hat. Vor der eigentlichen Massenentlassungsanzeige hat er zudem nach § 17 Abs. 2 KSchG den Betriebsrat zur Massenentlassung zu konsultieren und ihn zu diesem Zweck schriftlich insbesondere über die Gründe für die Entlassungen, die Zahl und die Berufsgruppen der beschäftigten und der zu entlassenden Arbeitnehmer, den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen, die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl sowie schließlich über die für die Berechnung etwaiger Abfindungen vorgesehenen Kriterien zu unterrichten (Konsultationsverfahren). Als Entlassungen zählen dabei neben Arbeitgeberkündigungen auch arbeitgeberseitig veranlasste Aufhebungsverträge und Eigenkündigungen, mit denen Arbeitnehmer ihrer Kündigung zuvorkommen. Die Durchführung des Konsultationsverfahrens und die Erstattung der Massenentlassungsanzeige sind formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für sämtliche Entlassungen.
Was bringt das LAG Düsseldorf Neues?
Zu Massenentlassungen kommt es in aller Regel im Rahmen von Restrukturierungen. Die Kündigungen sind in diesem Fall betriebsbedingter Natur. In dem wohl bislang einmaligen Fall, welcher der Entscheidung des LAG Düsseldorf vom 15.10.2021 – 7 Sa 405/21 (Pressemitteilung) zugrunde lag, hatte der Arbeitgeber in einem Betrieb mit mehr als 500 Arbeitnehmern insgesamt 34 (!) krankheitsbedingte Kündigungen ausgesprochen. Obwohl er damit den Schwellenwert für eine Massenentlassung überschritt, hatte er keine Massenentlassungsanzeige erstattet. Über den Fall haben wir bereits jüngst auf unserem Blog berichtet.
Nach Ansicht des LAG Düsseldorf scheiterten die Kündigungen des Klägers bereits an der fehlenden Massenentlassungsanzeige. Nach dem Wortlaut, der Systematik und dem Sinn und Zweck von § 17 KSchG bestehe die Anzeigepflicht gegenüber der Arbeitsagentur auch bei krankheitsbedingten Massenentlassungen. Die ausdrückliche Anregung im Gesetzgebungsverfahren, personen- und verhaltensbedingte Entlassungen von der Anzeigepflicht auszunehmen, hat der Gesetzgeber nicht aufgegriffen. Daraus hat das LAG Düsseldorf abgeleitet, dass auch krankheitsbedingte Kündigungen – der Hauptanwendungsfall der personenbedingten Kündigung – bei Überschreitung der Schwellenwerte Massenentlassungen sein können.
Auswirkungen für die Praxis
Die praktische Bedeutung der bedeutenden Entscheidung des LAG Düsseldorf erschöpft sich nicht in der Klarstellung, dass nicht nur betriebsbedingte, sondern auch personen- und verhaltensbedingte Entlassungen eine Konsultations- und Anzeigepflicht nach Massenentlassungsrecht auslösen können. Die Konstellation, die dem konkreten Fall zugrunde lag, in welchem eine Vielzahl krankheitsbedingter Kündigungen ausgesprochen wurde, wird denn auch in der Praxis eher die Ausnahme bleiben.
Hauptanwendungsfall ist vielmehr die betriebsbedingte Massenentlassung. In konsequenter Anwendung der Entscheidung des LAG Düsseldorf sind bei einer derartigen Massenentlassung nicht lediglich die betriebsbedingten Entlassungen, sondern auch die innerhalb des Zeitraums von 30 Kalendertagen erfolgenden verhaltens- und personenbedingten Entlassungen mitzuzählen. In der Tat fordert das Gesetz lediglich, dass innerhalb des genannten Zeitraums eine bestimmte Zahl von Entlassungen erfolgt, und beschränkt das Massenentlassungsrecht nicht auf betriebsbedingte Entlassungen. Ebenso wenig lässt sich dem Gesetz entnehmen, dass es nur „sortenreine“ Massenentlassungen gibt. Dies spricht dafür, dass alle Entlassungen – gleich ob betriebs-, verhaltens- oder personenbedingt – zusammenzuzählen sind.
In letzter Konsequenz bedeutet dies, dass bei einer betriebsbedingten Massenentlassung das Risiko der Unwirksamkeit der Entlassungen besteht, wenn verhaltens- und personenbedingte Entlassungen, die innerhalb des 30-Tages-Zeitraums erfolgen, nicht mitgezählt worden sind und damit eine zu niedrige Zahl von Entlassungen angegeben worden ist. Dies ist aus Arbeitgebersicht besonders misslich, da gerade verhaltensbedingte Entlassungen typischerweise ungeplant sind und daher nach erfolgter Konsultation des Betriebsrats bzw. nach Erstattung der Massenentlassungsanzeige kaum mehr berücksichtigt werden können. Das Gesetz enthält eine Ausnahmeregelung lediglich für fristlose Entlassungen, welche nach § 17 Abs. 4 Satz 2 KSchG bei der Berechnung der Mindestzahl der Entlassungen nicht mitgezählt werden; im Umkehrschluss bedeutet dies, dass fristgerechte verhaltensbedingte Entlassungen mitzählen.
Ausblick
Das LAG Düsseldorf hat die Revision zum BAG nicht zugelassen, weil die krankheitsbedingten Kündigungen bereits auf Grundlage der Rechtsprechung des BAG zu häufigen Kurzerkrankungen unwirksam waren und es daher auf die fehlende Massenentlassungsanzeige nicht mehr streitentscheidend ankam. Eine höchstrichterliche Klärung steht daher noch aus. Insbesondere bleibt danach offen, ob in dem zuletzt geschilderten Problemfall einer im zeitlichen Zusammenhang mit einer betriebsbedingten Massenentlassung erfolgenden verhaltensbedingten Entlassung unter Umständen eine teleologische Reduktion des Massenentlassungsrechts dahingehend in Betracht kommt, dass allein die Nichtberücksichtigung einer verhaltensbedingten Entlassung noch nicht zur Unwirksamkeit sämtlicher betriebsbedingter Massenentlassungen führt.
Hierauf sollten sich Arbeitgeber freilich nicht verlassen, sondern vorsorglich immer sämtliche Entlassungen (betriebs-, verhaltens- und personenbedingt) zum Gegenstand des Konsultationsverfahrens und der Massenentlassungszeige machen oder alternativ darauf achten, dass die verhaltens- bzw. personenbedingten Kündigungen jenseits des 30-Tages-Zeitraums erfolgen, innerhalb dessen die betriebsbedingte Massenentlassung stattfindet.