Mitglieder des Aufsichtsrats haben besondere Befugnisse, aber auch weitreichende Beratungs-, Kontroll- und sonstige Pflichten. Es stellt sich die Frage, inwiefern Pflichtverletzungen, ggf. auch außerhalb der Aufsichtsratstätigkeit, eine Abberufung begründen können. In diesem Blog-Beitrag stellen wir die verschiedenen Wege der Abberufung, die gerichtliche Abberufung wegen Pflichtverletzung und eine in diesem Zusammenhang ergangene Gerichtsentscheidung vor.
Wege der Abberufung
Die vorzeitige Beendigung der Amtszeit eines Aufsichtsratsmitglieds ohne seine Mitwirkung oder gegen seinen Willen ist in § 103 AktG geregelt. Die Vorschrift findet nicht nur auf die AG, sondern auch auf andere mitbestimmte Gesellschaften (v.a. KGaA, eine mitbestimmte GmbH oder dualistisch verfasste SE) Anwendung. Die Abberufung ist jedenfalls zum Teil abhängig von der Art der Entsendung bzw. Wahl des Aufsichtsratsmitglieds:
Die Abberufung von frei von der Hauptversammlung gewählten Aufsichtsratsmitgliedern steht im freien Ermessen der Hauptversammlung. Sie kann – sofern in der Satzung keine abweichende Mehrheitsregelung festgelegt ist – durch Beschluss einer qualifizierten Mehrheit von drei Vierteln der abgegebenen Stimmen in der Hauptversammlung erfolgen, und zwar ohne dass ein sachlicher Grund oder gar eine Pflichtverletzung erforderlich wäre. Mit Blick auf den mit der Einberufung und Durchführung einer Hauptversammlung verbundenen Aufwand und das erforderliche Quorum dürfte eine Abberufung hierüber nicht in jedem Fall erreichbar sein.
Hingegen kann bei Aufsichtsratsmitgliedern, welche aufgrund der Satzung in den Aufsichtsrat entsandt wurden, die Abberufung jederzeit durch den Entsendungsberechtigten gegenüber dem Vorstand erfolgen; etwaige abweichende Satzungsregelungen sind ebenfalls zu beachten. In Ausnahmefällen, etwa bei Untragbarkeit eines Aufsichtsratsmitglieds, kann sein Ermessen eingeschränkt und er gegenüber der Gesellschaft verpflichtet sein, das Aufsichtsratsmitglied auszutauschen.
Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat können nach Maßgabe der einschlägigen mitbestimmungsrechtlichen Vorschriften abberufen werden (z.B. Initiativ- oder Entscheidungsrecht der für die Bestellung Vorschlags- oder Wahlberechtigten gemäß § 23 MitbestG, § 11 MontanMitbestG, § 12 DrittelbG, § 37 SEBG).
Unabhängig von den vorstehenden Möglichkeiten kann die Abberufung sämtlicher Aufsichtsratsmitglieder aus wichtigem Grund durch das Gericht erfolgen. Der entsprechende Antrag kann allein vom Aufsichtsrat aufgrund Mehrheitsbeschlusses (unter Ausschluss des betroffenen Mitglieds) oder von einer qualifizierten Mehrheit der Aktionäre gestellt werden.
Abberufung aus wichtigem Grund
Eine gerichtliche Abberufung setzt das Vorliegen eines wichtigen Grundes in der Person des abzuberufenden Aufsichtsratsmitglieds voraus. Unerheblich ist, ob zuvor eine Abberufung auf den weiter aufgezeigten Wegen versucht wurde. Ein wichtiger Grund setzt grundsätzlich einen Bezug zur Aufsichtsratstätigkeit und eine Beeinflussung ihrer Ausübung voraus. Anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls muss der Verbleib des Aufsichtsratsmitglieds bis zum Ablauf seiner Amtszeit für die Gesellschaft unzumutbar sein. Dies ist etwa erst dann der Fall, wenn die Funktionsfähigkeit des Aufsichtsrats erheblich beeinträchtigt wird oder aufseiten der Gesellschaft Schäden zu erwarten bzw. bereits eingetreten sind.
Die Rechtsprechung hat einen wichtigen Grund beispielsweise in Fällen bejaht, in denen ein Aufsichtsratsmitglied durch eine nicht abgestimmte Kontaktaufnahme zu Geschäftspartnern in die Geschäftsführung eingegriffen oder schwere und ehrenrührige Vorwürfe gegenüber anderen Aufsichtsratsmitgliedern erhoben hat. Im Falle eines Fernbleibens von Aufsichtsratssitzungen ist eine Abberufung allenfalls gerechtfertigt, wenn dem Mandatsträger eine Boykotthaltung nachweisbar ist. Dagegen müssen sachliche Diskussionen und interne Konflikte zwischen einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern hingenommen werden, solange die Schwelle zur Behinderung der Aufsichtsratstätigkeit anderer Mitglieder nicht überschritten ist. Gleichermaßen kommt eine Abberufung bei einem Interessenkonflikt erst in Betracht, sofern ein Aufsichtsratsmitglied z.B. in einer engen Beziehung zu einer konkurrierenden Gesellschaft steht und gleichzeitig über sensibles Wissen in Kerngeschäftsfeldern verfügt oder eine derartige Kooperation verschweigt. Ein Verschulden ist nicht zwingend erforderlich, sodass auch nicht schuldhaft verursachte Interessenkonflikte zur Abberufung führen können.
Bemerkenswert ist, dass die Abberufung im Verfahren der sog. freiwilligen Gerichtsbarkeit erfolgt. Gerichtliche Ermittlungen erfolgen daher von Amts wegen durch das Gericht; die Verfahrensdauer ist üblicherweise kurz, kann aber auch Jahre dauern. Im Falle einer gerichtlichen Ablehnung der Abberufung bleibt das Aufsichtsratsmitglied im Amt. Eine erstinstanzliche stattgebende Entscheidung über die Abberufung ist dagegen grundsätzlich sofort vollziehbar, d.h. das Aufsichtsratsmitglied verliert in der Regel mit Bekanntgabe der Entscheidung (und damit vor Eintritt der Rechtskraft) zunächst sein Amt. Falls das Aufsichtsrats dagegen erfolgreich vorgeht, kann es sein Amt, aber nur sofern es noch vakant ist, mit Wirkung ex-nunc zurückerhalten, sodass die Wirksamkeit zwischenzeitlich ergangener Beschlüsse des Aufsichtsrats grundsätzlich unberührt bleibt.
Entscheidung des OLG Karlsruhe vom 1. März 2022
In dem der Entscheidung des OLG Karlsruhe (vom 1. März 2022 – 1 W 85/21) zugrunde liegenden Fall wurde einem Aufsichtsratsmitglied, welches zugleich Mitglied im Betriebsrat war, vorgeworfen, E-Mails gelöscht und inhaltlich manipuliert zu haben, um ein anderes Betriebsratsmitglied im Hinblick auf einen gegen diesen gerichteten Verdacht einer nicht genehmigten Urlaubsnahme zu entlasten. Nach Auffassung des OLG Karlsruhe lag ein die Abberufung rechtfertigender wichtiger Grund im Sinne von § 103 Abs. 3 S. 1 AktG vor. Ein solcher müsse sich nicht zwingend aus dem Verhalten als Aufsichtsratsmitglied ergeben. Erforderlich, aber auch ausreichend sei, dass die Pflichtverletzung einen Zusammenhang mit der Aufsichtsratstätigkeit aufweise und sich negativ auf die Gesellschaft auswirke bzw. auswirken könne. Insoweit genüge der mit den Manipulationsvorwürfen einhergehende Reputationsschaden, auch wenn dieser auf einem Fehlverhalten außerhalb der Aufsichtsratstätigkeit beruhe. Hieran ändere auch ein Geständnis und Reue des Aufsichtsratsmitglieds nichts, da das in seine Integrität und Zuverlässigkeit notwendige Vertrauen in diesem Amt unwiederbringlich zerstört sei.
Fazit
Die Abberufung eines Aufsichtsratsmitglieds unterliegt zum Schutz der mit dem Aufsichtsratsamt verbundenen Kontrollfunktion gewissen Anforderungen. Eine Abberufung kann aufgrund der besonderen Stellung von Aufsichtsratsmitgliedern gleichwohl im Falle der Unzumutbarkeit einer künftigen Zusammenarbeit und auch bei einem Fehlverhalten oder unethischen Verhalten außerhalb des Mandats gerechtfertigt sein. Da es sich insoweit um ein Nebenamt handelt, ist eine Abberufung u.U. einfacher möglich als die Kündigung eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses.