Aufgaben zwischen Konzernunternehmen zu verlagern, ist ein gängiges Tool, um Strukturen oder Prozesse im Konzern zu optimieren. Ist für Arbeitnehmer in der neuen Struktur kein Platz mehr, droht die betriebsbedingte Kündigung. Das BAG positioniert sich in einem neuen Urteil (28.2.2023, Az. 2 AZR 227/22) zum Konzern-Outsourcing arbeitgeberfreundlich. In diesem Beitrag erfahren Sie, warum Gerichte die Arbeitgeberentscheidung zum Outsourcing auch in Konzernfällen regelmäßig nicht bewerten dürfen – und warum das Urteil des BAG für Konzernunternehmen besonders willkommen ist.
Der Fall: Aufgabenverlagerung in ein anderes Konzernunternehmen
Der klagende Arbeitnehmer war in einer leitenden Vertriebsposition bei einem deutschen Unternehmen aus der KI-Branche angestellt. Er war das Bindeglied zwischen mehreren in Deutschland beschäftigten „Sales Directors“ und einer Vertriebschefin, die bei einer zur Unternehmensgruppe gehörenden Londoner Gesellschaft angestellt war.
Die Arbeitgeberin des Klägers hatte sich für eine neue Vertriebsstruktur entschieden, bei der die Sales Directors künftig direkt an die Londoner Vertriebschefin berichten würden – ohne den „Umweg“ über den Kläger. Die bisher vom Kläger erbrachten Aufgaben sollten dann durch die Vertriebschefin miterfüllt, also nach London outgesourct werden. Der Kläger wurde in der neuen Struktur nicht mehr gebraucht und daher betriebsbedingt gekündigt
Grundprinzip auf dem Prüfstand: Die freie unternehmerische Entscheidung
In seiner Kündigungsschutzklage argumentierte der Kläger: Die Arbeitgeberin habe seine Aufgaben nur nach London verlagert, um ihm – dem Kläger – kündigen zu können. Der Bedarf an seiner Tätigkeit sei nicht entfallen, sondern nur auf ein anderes Konzernunternehmen verschoben worden. Die Entscheidung der Arbeitgeberin, die neue Vertriebsstruktur einzuführen, sei daher unsachlich und rechtsmissbräuchlich.
Das BAG hatte sich mit der Frage zu befassen, inwieweit der unternehmerische Hintergrund einer Organisationsentscheidung überhaupt von den Arbeitsgerichten überprüft und bewertet werden darf. Denn grundsätzlich gilt der „Grundsatz der freien Unternehmerentscheidung“: Im Kündigungsschutzprozess wird nicht überprüft, ob die zum Wegfall einer Stelle führende Entscheidung des Arbeitgebers – etwa das Outsourcing einer Tätigkeit auf ein Drittunternehmen – wirtschaftlich notwendig ist. Laut BAG ist es nämlich nicht Sache der Gerichte, Arbeitgebern eine „bessere“ oder „richtigere“ betriebliche Organisation vorzuschreiben.
Doch jedenfalls im Kündigungsschutzprozess hat die unternehmerische Freiheit des Arbeitgebers Grenzen. Die Organisationsentscheidung darf nicht offenkundig unsachlich, unvernünftig oder willkürlich sein. Die Entscheidung, eine Stelle aus organisatorischen Gründen zu streichen, darf insbesondere kein Vorwand sein, um einen Arbeitnehmer „loszuwerden“.
Ungewissheiten bei Outsourcing im Konzern – Rückblick auf die „Rheumaklinik-Entscheidung“
Die neue Entscheidung des BAG hatte eine Outsourcing-Konstellation im Konzern zum Gegenstand. In diesem Umfeld war die Rechtslage aus Arbeitgebersicht seit der 2002er „Rheumaklinik-Entscheidung“ des BAG vorbelastet:
Dort ging es um eine in Schieflage geratene Rheumaklinik, die zur Sanierung die Bereiche Reinigung und Service auf eine extra neu gegründete Tochtergesellschaft outgesourct hatte. Die Rheumaklinik war Mehrheitsgesellschafterin dieser Tochtergesellschaft und sicherte sich vertraglich und personell einen weitreichenden unternehmerischen Einfluss. Den bei der Rheumaklinik beschäftigten Reinigungskräften wurde betriebsbedingt gekündigt.
Das BAG hielt das Vorgehen der Rheumaklinik für rechtsmissbräuchlich und die Kündigungen für unwirksam. Die Reinigungstätigkeiten seien gar nicht entfallen, sondern seien lediglich in eine andere unternehmerisch kontrollierte Gesellschaft verschoben worden. Ziel der Rheumaklinik sei gewesen, den Bestandskräften kündigen zu können, dann aber dieselben Arbeiten in demselben Betrieb durch jüngere und günstigere Arbeitnehmer einer unternehmerisch gelenkten Tochtergesellschaft erbringen zu lassen. Dass aus dem Vorhaben eine wirtschaftlich dringend notwendige Kostenersparnis in Höhe von 1,6 Millionen DM resultiert hätte, hielt das BAG daneben nicht für entscheidend.
Die „Rheumaklinik-Entscheidung“ sorgte bis zuletzt für Rechtsunsicherheit bei Konzern-Outsourcings. Klagenden Arbeitnehmern diente sie als gern zitierter vermeintlicher Parallelfall. Denn bisher fehlte es an einer BAG-Entscheidung zu den (in der Praxis ebenso häufigen) Szenarien, in denen Tätigkeiten auf ein Konzernunternehmen outgesourct werden, welches nicht unternehmerisch kontrolliert wird.
Und jetzt? BAG bekräftigt unternehmerische Freiheit bei Outsourcing im Konzern
In seinem neuen Urteil bekräftigt das BAG, dass Unternehmen auch bei Outsourcing innerhalb des Konzerns grundsätzlich freie Organisationsentscheidungen treffen können. Ob die Tätigkeiten an ein fremdes Drittunternehmen oder an ein anderes Konzernunternehmen vergeben werden, wird nicht unterschiedlich bewertet. Im Gegensatz zum Kläger hielt das BAG den Fall nicht für vergleichbar mit der Rheumaklinik-Entscheidung. Den entscheidenden Unterschied sah das Gericht darin, dass die Londoner Gesellschaft die vormaligen Aufgaben des Klägers eigenständig organisiert hat und die britische Vertriebschefin nicht unter der Kontrolle der deutschen Arbeitgeberin stand.
Für Unternehmen und Berater ist das neue Urteil eine lang ersehnte Klarstellung. Die internationale Verflechtung von Unternehmensgruppen nimmt stetig zu, so auch die Verlagerung von Aufgaben zwischen internationalen Konzernunternehmen. Mit der neuen Entscheidung sind die Outsourcing-Fälle im Konzern nun klarer konturiert: Wenn Tätigkeiten auf ein finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch eigenständiges Drittunternehmen verlagert werden, macht es keinen Unterschied, ob dieses Drittunternehmen konzernangehörig ist oder nicht. Allein in der Zugehörigkeit zum selben Konzern liegt noch kein Indiz für rechtsmissbräuchliches unternehmerisches Handeln.
Auch wenn das BAG die betriebsbedingte Kündigung in diesem Fall für wirksam hielt, ist das Urteil kein Freifahrtschein für Arbeitgeber. Unternehmerische Entscheidungen, nach denen Tätigkeiten auf eine beherrschte Tochtergesellschaft verlagert werden, bleiben kündigungsrechtlich weiterhin brisant. Und auch abseits der zugrundeliegenden Organisationsentscheidung lauern zahlreiche Fallstricke, wegen derer eine gewissenhafte Vorbereitung und Umsetzung der Umorganisation essenziell bleibt.