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Europäischer Betriebsrat – Auswirkungen des Änderungsvorschlags zur EBR-Richtlinie auf länderübergreifend tätige Unternehmen

Am 24. Januar 2024 hat die Europäische Kommission einen Vorschlag zur Änderung der Richtlinie 2009/38/EG über Europäische Betriebsräte (EBR-Richtlinie) vorgelegt. Wird dieser Vorschlag umgesetzt, könnte in rund 350 bisher privilegierten länderübergreifend tätigen Unternehmen(sgruppen) erstmalig ein Europäischer Betriebsrat (EBR) errichtet werden. Zudem würden die Rechte bestehender EBR gestärkt und erweitert. Länderübergreifend tätige Unternehmen(sgruppen) sollten sich bereits jetzt mit den Folgen einer Umsetzung des Änderungsvorschlags beschäftigen.

Hintergründe und Ziele des Änderungsvorschlags

Länderübergreifend tätige Unternehmen(sgruppen) mit mindestens 1.000 Arbeitnehmern und davon mindestens 150 Arbeitnehmern in zwei Mitgliedstaaten der EU oder den anderen Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) müssen eine Vereinbarung zur Errichtung eines EBR abschließen. Kommt keine Vereinbarung zustande, wird ein EBR kraft Gesetzes errichtet. Bisher waren solche Unternehmen(sgruppen) privilegiert, die – vereinfacht gesagt – vor dem Inkrafttreten der EBR-Richtlinie eine Vereinbarung zur Unterrichtung und Anhörung aller Arbeitnehmer abgeschlossen hatten. In diesen Unternehmen(sgruppen) musste kein EBR errichtet werden.

EBR haben Unterrichtungs- und Anhörungsrechte bei „länderübergreifenden Angelegenheiten“. Die zentrale Leitung eines in Deutschland ansässigen länderübergreifend tätigen Unternehmens hat den EBR einmal im Kalenderjahr über die Entwicklung der Geschäftslage und die Perspektiven unter rechtzeitiger Vorlage der erforderlichen Unterlagen zu unterrichten und anzuhören. Auch bei außergewöhnlichen Umständen oder Entscheidungen (insbesondere Verlegungen und Stilllegungen von Unternehmen, Betrieben oder wesentlichen Betriebsteilen sowie Massenentlassungen) muss die Unternehmensleitung den EBR unterrichten und anhören.

Ziel des Änderungsvorschlags der Europäischen Kommission ist die Beseitigung vermeintlicher „Hauptmängel“ der EBR-Richtlinie. Eine Untersuchung der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2018 kam zu dem Ergebnis, dass in weniger als einem Drittel der Unternehmen, die in den Anwendungsbereich der EBR-Richtlinie fallen, überhaupt ein EBR errichtet ist. Zudem weise die Richtlinie Mängel beim Konsultationsprozess von EBR und bei deren Instrumenten zur Durchsetzung ihrer Rechte auf.  Weiter zielt der Vorschlag auf ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis in den EBR.

Kernpunkte des Änderungsvorschlags
Bisherige Regelung Änderungsvorschlag Anmerkungen
Kein EBR in gemeinschaftsweit tätigen Unternehmen(sgruppen) mit freiwilligen Alt-Vereinbarungen. Streichung der Ausnahme nach zweijährigem Übergangszeitraum. In weiteren rund 350 Unternehmen(sgruppen) könnten erstmalig EBR errichtet werden.
Vermutung einer „länderübergreifenden Angelegenheit“, über die der EBR zu unterrichten ist, wenn Auswirkungen auf Arbeitnehmer in mehr als einem Mitgliedstaat. Vermutung einer „länderübergreifenden Angelegenheit“ auch dann, wenn Maßnahmen sich auf Arbeitnehmer in nur einem Mitgliedstaat auswirken, ihre Konsequenzen aber auch Arbeitnehmer in mindestens einem weiteren Mitgliedstaat treffen. Abzuwarten, ob diese Klarstellung für hinreichend Rechtssicherheit sorgt oder Streit über den Begriff der Konsequenzen entstehen wird.

Klarstellung in vertraglicher Vereinbarung zu empfehlen.

EBR-Richtlinie sieht kein Verfahren für Unterrichtung und Anhörung des EBR zu einer länderübergreifenden Maßnahme vor (wohl aber EBRG als deutsches Umsetzungsgesetz).

 

Stellungnahmerecht des EBR und schriftliche Antwortpflicht der zentralen Leitung vor Entscheidung über länderübergreifende Maßnahme.

Bei Nichtbeachtung: finanzielle Sanktionen.

In Deutschland sind bereits Stellungnahmerecht und Antwortpflicht geregelt (§§ 1 Abs. 5 S. 1, 29, 30 EBRG).

Kein Anspruch auf Unterlassung von Maßnahmen, wie gewerkschaftlich gefordert.

Mitgliedstaaten müssen Rechtsbehelfe und Sanktionen zur Durchsetzung der Rechte und Pflichten vorsehen. Durch geeignete Rechtsbehelfe müssen Rechte und Pflichten der Richtlinie rasch und wirksam durchgesetzt werden können.

Bei Verstößen müssen wirksame, abschreckende und verhältnismäßige Sanktionen verhängt werden.

Weiterhin großer Spielraum und nach wie vor kein Unterlassungsanspruch.
Keine Geschlechterquote für den EBR. Möglichst jeweils 40 % der Sitze im EBR an Frauen und Männer.

Daneben werden u.a. folgende Änderungen vorgeschlagen:

  • Regelungen zur Inanspruchnahme von Sachverständigen und Rechtsexperten durch den EBR (auch zur Rechtsverfolgung und inklusive Kostenübernahme) und zu Schulungskosten,
  • Begründungspflicht der Unternehmensleitung, wenn Informationen als vertraulich übermittelt werden,
  • Regelung zur Festlegung des Formats der EBR-Sitzungen (vor Ort oder virtuell).
Nächste Schritte

Der Änderungsvorschlag der Europäischen Kommission wird im nächsten Schritt vom Europäischen Parlament und den Mitgliedsstaaten erörtert. Es bleibt abzuwarten, welche Vorschläge die Erörterungen überstehen werden. Nach Abschluss der Erörterungen und Inkrafttreten einer geänderten Richtlinie haben die Mitgliedstaaten ein Jahr Zeit zur Umsetzung in nationales Recht. Danach gilt dann der zweijährige Übergangszeitraum

Insbesondere länderübergreifend tätige Unternehmen(sgruppen), bei denen bislang kein EBR errichtet worden ist, müssen sich künftig darauf einstellen, dass eine etwaige auf Alt-Vereinbarungen beruhende Privilegierung ausläuft und sie einen EBR einrichten müssen. Generell steht zu erwarten, dass Unternehmen künftig stärker in die Pflicht genommen werden und es verstärkt zur Bildung von EBR kommen wird.

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