In Deutschland sind nach Angaben des Robert-Koch-Instituts ungefähr zwei Drittel der Männer und mehr als die Hälfte der Frauen übergewichtig. Ein knappes Viertel der Erwachsenen leidet unter krankhaftem Übergewicht (Adipositas). Adipositas schränkt nicht nur die Lebensqualität der Betroffenen erheblich ein, sondern kann auch zu Leistungsschwächen im Beruf führen. Hieraus resultieren kündigungsrechtliche Fragen: Gelten für eine Kündigung vor diesem Hintergrund die Anforderungen des allgemeinen Kündigungsschutzes? Oder wäre sie zusätzlich an den Regelungen des Diskriminierungsschutzes zu messen? Dies hatte jüngst das Arbeitsgericht Düsseldorf zu entscheiden (Urteil vom 17. Dezember 2015 – 7 Ca 4616/15) .
Diskriminierung vs. Leistungsvermögen
In dem Fall, der dem ArbG Düsseldorf zur Entscheidung vorlag, wurde einem langjährigen Mitarbeiter, der an Adipositas litt, von dem beklagten Gartenbauunternehmen gekündigt. Die Arbeitgeberin begründete die Kündigung damit, dass der Kläger aufgrund seines Körpergewichts von rund 200 kg nicht mehr in der Lage sei, seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen (dazu s. noch weiter unten). Der Kläger wandte sich mit einer Kündigungsschutzklage gegen die Kündigung und machte darüber hinaus eine Entschädigung wegen Benachteiligung aufgrund einer Behinderung geltend.
Das ArbG Düsseldorf hielt die Kündigung für rechtsunwirksam. Die Arbeitgeberin habe eine auf das Übergewicht des Klägers zurückzuführende Minder- oder Schlechtleistung nicht ausreichend konkret dargelegt. Der von dem Kläger geltend gemachte Entschädigungsanspruch andererseits scheitere bereits am Vorliegen eines Diskriminierungsmerkmals. Adipositas stelle nur dann eine Behinderung dar, wenn der Arbeitnehmer durch die Erkrankung langfristig an der wirksamen Teilhabe am Berufsleben gehindert werde. An einer solchen Einschränkung fehle es, da der Kläger selbst vortrug, alle geschuldeten Tätigkeiten ausüben zu können.
Bewertung der Entscheidung
Das Urteil des ArbG Düsseldorf ist konsequent, mag es auch inhaltlich nicht ganz auf einer Linie mit der aktuellen Rechtsprechung des BAG liegen. Nach Auffassung des BAG ist der Behindertenbegriff nicht auf Beeinträchtigungen der Teilhabe am Berufsleben beschränkt, sondern erfasst auch Einschränkungen der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Als Behinderung gilt daher beispielsweise auch eine symptomlose HIV-Infektion, da diese in interpersonellen Beziehungen zu Stigmatisierung führe (BAG, Urteil vom 19. Dezember 2013 – 6 AZR 190/12). Welche Anforderungen im Falle einer Adipositas zu stellen sind, ist jedoch vollkommen unklar. Wie soll ein Nachteil hinsichtlich der Teilnahme am Berufsleben bzw. erst recht im gesellschaftlichen Bereich bemessen werden? Soll eine Grenzziehung nach Body-Mass-Index (BMI) erfolgen, der als Bemessungsgrundlage durchaus nicht unumstritten ist? Ist schon ein BMI von 30 kritisch, oder liegt der Grenzwert doch eher bei 40 (sog. „morbide Adipositas“)? Sind Bauchumfang in cm oder absolutes Körpergewicht Kriterien? Und welche Rolle spielen ggf. unterschiedliche Verkehrsanschauungen für die „gesellschaftliche“ Betrachtung? Klar ist: selbst wenn eine Adipositas dogmatisch auch unter den Begriff einer Behinderung fallen kann, wird die Rechtsprechung hier eine Beschränkung des Behinderungsschutzes auf Extremfälle vornehmen (müssen).
Der konkrete Sachverhalt
Zur wertungsfreien Veranschaulichung der operativen Schwierigkeiten, die sich aus dem Einsatz eines übergewichtigen Arbeitnehmers ergeben können, stellen wir im Folgenden auszugsweise (!) den Vortrag der Arbeitgeberin im Kündigungsschutzverfahren dar:
Konkret sei er zunächst nicht mehr in der Lage die bei ihr eingesetzten Kleinlastwagen „Sprinter“ zu steuern. Der Abstand zwischen dem Lenkrad dieser Kleinlastwagen und der hintersten Einstellung ihres Fahrersitzes sei im Fall der Benutzung durch den Kläger so eng, dass der Kläger sich kaum noch bewegen könne. (…) Kollegen des Klägers hätten berichtet, dass es wiederholt zu konkreten Gefährdungen im Straßenverkehr aufgrund der nicht hinreichenden Steuerbarkeit der Kleinlastwagen durch den Kläger gekommen sei. (…)
Des Weiteren könne der Kläger auch keine Graben- und Kanalbauarbeiten (mehr) ausführen. Erstens sei der Kläger nämlich in einem Graben selbst nicht mehr einsetzbar, da er aufgrund der nach der DIN 4124 vorgegebenen Grabenbreite von 60 cm bzw. 80 cm nicht mehr in einen solchen Graben hineinpasse. Zweitens sei der Kläger regelmäßig eingebrochen, weil die Grabenkante seinem Gewicht nicht (mehr) standhalte. Drittens weigerten sich die Mitarbeiter ihrer Kanalbaukolonne mittlerweile auch, den Kläger auf Baustellen mitzunehmen, da sie Angst hätten, dass der Kläger herabstürze und jemanden in dem Graben erschlagen könne. Viertens passe der Kläger aufgrund des Durchmessers eines Kanaldeckels von 62 cm auch in keinen Kanal mehr herein. (…)
Ferner könne der Kläger auch keine Pflanzenpflegearbeiten (mehr) auszuführen, da er nicht mehr auf Leitern stehen könne, deren Belastbarkeit auf 150 kg beschränkt sei. Ebenso könne der Kläger keine Gehölzschnittarbeiten (mehr) erbringen. In der Konfektionsgröße des Klägers gebe es nämlich keine taugliche (Schnitt-)Schutzkleidung, (…) Schließlich behauptet die Beklagte, der Kläger könne auch bei Pflasterarbeiten nicht (mehr) eingesetzt werden. (…) hätten in zwei Fällen Terrassen- und Gehwegplatten nachgebessert werden müssen, da sie während der Pflasterarbeiten (…) eingesunken seien, nachdem der Kläger sie in der Phase der Verlegung betreten habe.
Weiterhin könne der Kläger im Zusammenhang mit bei ihr verwendeten Maschinen nicht (mehr) oder nur (noch) eingeschränkt eingesetzt werden. Denn durch sein erhebliches Übergewicht habe er diverse Beschädigungen an firmeneigenen und auch an fremden Maschinen verursacht. Konkret sei im Juni 2015 der Sitz eines Radladers einer anderen Firma gebrochen. (…)
Das Zutreffen dieser Behauptungen unterstellt, wird deutlich, dass die Arbeitgeberin Handlungsbedarf hatte – die Frage war aber, ob sie auch zum Mittel einer Kündigung greifen durfte. Vor diesem Hintergrund musste sich das ArbG Düsseldorf mit dem Verhältnis von KSchG und AGG auseinandersetzen.
Schutz vor diskriminierenden Kündigungen
Nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung sind die materiellen Diskriminierungsverbote einschließlich der im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vorgesehenen Rechtfertigungsgründe zur Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe des Kündigungsschutzgesetzes heranzuziehen. Eine gegen die Diskriminierungsverbote verstoßende Kündigung ist sozial ungerechtfertigt und unterliegt der Unwirksamkeitsfolge des § 1 Abs. 1 KSchG. Kündigungen außerhalb des Anwendungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes (Kündigung im Kleinbetrieb, Wartezeitkündigung) sind unmittelbar am Maßstab des AGG zu messen, wobei sich die Rechtsfolge der Unwirksamkeit aus § 134 BGB ergibt.
Neben die Unwirksamkeit der Kündigung kann als Rechtsfolge bei diskriminierenden Kündigungen ein Entschädigungsanspruch treten. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die mit der diskriminierenden Kündigung einhergehende Belastung über das Normalmaß hinausgeht.
Kündigung wegen Adipositas diskriminierend?
Der EuGH hat in der in der Rechtssache „Kaltoft“ (Urteil vom 18. Dezember 2014 – C-354/13) festgestellt, dass ein allgemeines unionsrechtliches Verbot der Diskriminierung wegen Adipositas auf dem Gebiet von Beschäftigung und Beruf nicht besteht. Adipositas könne jedoch eine Behinderung darstellen, derentwegen Personen ungleich zu behandeln verboten sei. Dies sei dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer aufgrund der Adipositas an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben, gleichberechtigt mit den anderen Arbeitnehmern, gehindert sei. Maßgeblich sei, ob ihn oder sie die eingeschränkte Mobilität oder das Auftreten von Krankheitsbildern an der Verrichtung der Arbeit hindern oder zu einer Beeinträchtigung der Ausübung der beruflichen Tätigkeit führen. Unerheblich sei hierbei, inwieweit der Betreffende zu seiner Behinderung kausal beigetragen habe.
Danach kann (unionsrechtlich betrachtet) in der Kündigung eines an Adipositas erkrankten Mitarbeiters dogmatisch eine Diskriminierung liegen, wenn die Kündigung an die mit der Adipositas konkret einhergehenden Einschränkungen der beruflichen Tätigkeit anknüpft.
Rechtfertigung einer Kündigung wegen Adipositas
Liegt in der Kündigung des adipösen Arbeitnehmers eine diskriminierungsrechtliche Ungleichbehandlung, bedeutet dies nicht, dass die Kündigung per se unzulässig ist. Mehr noch: eine Kündigung kann auch weiterhin ohne Anfallen einer Entschädigung nach dem AGG möglich sein. Im Einzelfall sind die gesetzlichen Rechtfertigungsmöglichkeiten zu prüfen. Es kommt u.A. darauf an, ob durch die Adipositas eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung durch den Arbeitnehmer nicht mehr erfüllt werden kann. Die Kündigung ist daher weiterhin zulässig, wenn der betroffene Arbeitnehmer aufgrund der Adipositas nicht mehr in der Lage ist, seine vertraglich geschuldete Leistung zu erbringen. Hierfür ist der Arbeitgeber selbstverständlich darlegungs – und beweisbelastet; er hat auch darzulegen, welche angemessenen Vorkehrungen er im Übrigen zur Anpassung des Arbeitsplatzes getroffen hat. Insoweit kann sich hier eine Schnittstelle zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement ergeben.
Fazit und Praxisempfehlung
Arbeitnehmern wegen Minder- oder Schlechtleistung im Geltungsbereich des KSchG zu kündigen, ist immer herausfordernd – nicht zuletzt auch in Fällen eines adipösen Arbeitnehmers. Wichtig wird in solchen Fällen stets sein, gründlich zu ermitteln und zu dokumentieren, zu welchen Arbeiten der adipöse Arbeitnehmer herangezogen wird bzw. (noch) werden kann sowie ob und inwieweit die Leistungen des adipösen Mitarbeiters hinter denen vergleichbarer Mitarbeiter zurückbleiben. Mit entscheidend ist dann die Frage nach zumutbaren Arbeitsplatzänderungen: Während der Arbeitgeber vielleicht einen belastbareren Bürostuhl für einen schwergewichtigen Buchhalter wird anschaffen müssen, ist er nicht verpflichtet, einen Kran zu erwerben, um einen adipösen Gärtner in die Baumkronen zu hieven, nur weil dieser keine Leitern mehr besteigen kann. Auch organisatorische Änderungen sind nur insoweit beachtlich, wie sie zumutbar sind.