Grundsätzlich gilt: Arbeitnehmer müssen ihre Aufwendungen für Schäden, die bei Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte an einem Privatwagen entstehen, selbst tragen, wenn nichts Abweichendes zwischen den Arbeitsvertragsparteien vereinbart ist (sog. Wegerisiko des Arbeitnehmers). So weit, so klar. Nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts („BAG“) jedoch nicht so bei Rufbereitschaft: Das BAG meint, ein Arbeitnehmer, der im Rahmen der vom Arbeitgeber angeordneten Rufbereitschaft zur Arbeitsleistung abgerufen wird und bei der Fahrt von seinem Wohnort zur Arbeitsstätte mit seinem Privatfahrzeug verunglückt, habe grundsätzlich Anspruch gegen seinen Arbeitgeber auf Ersatz des Unfallschadens. Dies soll jedenfalls dann gelten, wenn der Arbeitnehmer es für erforderlich halten durfte, seinen privaten Wagen für die Fahrt zur Arbeitsstätte zu benutzen, um rechtzeitig zu erscheinen (Urteil vom 22.06.2011 – 8 AZR 102/10).
Rufbereitschaft
Ein Arbeitnehmer leistet Rufbereitschaft, wenn er verpflichtet ist, außerhalb seiner regelmäßigen Arbeitszeit auf Abruf die Arbeit aufzunehmen. Er kann sich dabei grundsätzlich an einem Ort seiner Wahl aufhalten, muss allerdings für seine ständige Erreichbarkeit und dafür sorgen, dass er seine Arbeit – falls erforderlich – kurzfristig aufnehmen kann. Die Vereinbarung von Rufbereitschaft zwischen Arbeitsvertragsparteien ist nicht nur im Gesundheitswesen, wie in dem vom BAG entschiedenen Fall, alltäglich, sondern mittlerweile typisch für verschiedenste Branchen. So hatte beispielsweise das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz kürzlich (Urteil vom 23.04.2013 – 6 Sa 559/12) über einen Erstattungsanspruch eines Fernmeldemechanikers zu entscheiden. Aber auch in Unternehmen, die webbasierte Dienstleistungen anbieten, wird zunehmend Rufbereitschaft vereinbart, um die Funktionsfähigkeit von Datennetzen und Rechnersystemen aufrechterhalten zu können.
Der Fall
In dem vom BAG entschiedenen Fall wohnte der klagende Oberarzt einige Kilometer von seiner Arbeitsstätte, einer Klinik, entfernt und war an einem Sonntag zum Rufbereitschaftsdienst eingeteilt. Während dieses Dienstes wurde er zum Einsatz im Krankenhaus angefordert und rutschte während der Fahrt von seinem Wohnort zum Klinikum mit seinem Privatfahrzeug bei Straßenglätte in den Graben. Mit der Klage verlangte er von seinem Arbeitgeber die Erstattung des durch diesen Unfall an seinem Pkw entstandenen Schadens in Höhe von 5.727,00 EUR.
Die Entscheidung
Anders als noch das Landesarbeitsgericht München in der Vorinstanz vertritt das BAG, ein Arbeitnehmer in Rufbereitschaft habe abweichend vom sonst von ihm zu tragenden Wegerisiko grundsätzlich dann einen Erstattungsanspruch in entsprechender Anwendung des § 670 BGB für Schäden an seinem Privatfahrzeug, wenn er während einer angeordneten Rufbereitschaft vom Arbeitgeber aufgefordert werde, seine Arbeit anzutreten, und er dabei für die Fahrt zur Arbeitsstätte die Benutzung seines Privatfahrzeugs für erforderlich halten durfte (z.B. wegen der Entfernung oder der Uhrzeit), um rechtzeitig zur Arbeitsaufnahme zu erscheinen. Dabei spiele es keine Rolle, ob sich die Fahrtzeit des Arbeitnehmers zur Arbeitsstätte rechtlich bereits als Arbeitszeit darstelle. Es komme vielmehr darauf an, dass es bei Abruf eines sich in Rufbereitschaft befindlichen Arbeitnehmers im Regelfall nicht in dessen Belieben stehe, wann er diese vom Arbeitgeber „abgerufene“ Arbeitsleistung erbringe, sondern er müsse dies innerhalb einer den Arbeitseinsatz nicht gefährdenden Zeit tun. Der Arbeitnehmer habe daher regelmäßig die Pflicht, sich auf schnellstmöglichem Wege zur Arbeitsstätte zu begeben. Damit unterscheide sich jedoch der Weg zur Arbeitsstätte während der Rufbereitschaft grundlegend von dem allgemeinen Weg zur Arbeit. Halte es der Arbeitnehmer für erforderlich, mit seinem Privatfahrzeug im Rahmen der Rufbereitschaft zum Arbeitsort zu fahren, weil dies aus seiner Sicht der schnellste Weg ist, um rechtzeitig dort zu erscheinen, handele er regelmäßig auch im Interesse des Arbeitgebers. Daraus schlussfolgert das BAG, die Benutzung des Privatwagens während der angeordneten Rufbereitschaft liege letztlich im Risikobereich des Arbeitgebers und begründe dadurch seine Erstattungspflicht entsprechend § 670 BGB (Ersatz von Aufwendungen).
Höhe des Erstattungsanspruchs
Der Erstattungsanspruch des Arbeitnehmers soll jedoch nur in dem Umfang bestehen, in dem der Arbeitgeber eine Beschädigung seiner eigenen Sachmittel hinzunehmen hätte. Die Höhe des Erstattungsanspruchs folgt mithin den Grundsätzen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs. Unter Zugrundelegung des Rechtsgedankens des § 254 BGB (Mitverschulden) bedeutet dies, dass im Falle leichtester Fahrlässigkeit eine Mithaftung des Arbeitnehmers entfällt. Bei normaler Schuld des Arbeitnehmers (mittlere Fahrlässigkeit) ist der Schaden grundsätzlich anteilig unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Einzelfalls zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu verteilen. Bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Schadensverursachung durch den Arbeitnehmer ist sein Ersatzanspruch dagegen grundsätzlich ganz ausgeschlossen (grundlegend BAG, Urteil vom 28.10.2010 – 8 AZR 647/09). Eine Hürde muss der Arbeitnehmer aber dann doch noch nehmen: Macht er einen Anspruch auf volle Erstattung des erlittenen Unfallschadens geltend, hat er darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, dass er den Unfall weder grob fahrlässig noch vorsätzlich, sondern vielmehr allenfalls leicht fahrlässig verursacht hat.
Praxistipp: Haftungsrisiko minimieren
Zwar ist § 670 BGB grundsätzlich abdingbar, eine anderweitige Regelung ist also möglich. Allerdings dürfte ein ersatzloser Ausschluss des Erstattungsanspruchs im Arbeitsvertrag im Rahmen einer AGB-Kontrolle unangemessen benachteiligend und damit unwirksam sein. Nach Ansicht des BAG soll jedoch dann keine Ersatzpflicht des Arbeitgebers bestehen, wenn er dem Arbeitnehmer zur Abdeckung des Unfallschadensrisikos eine besondere Vergütung zahlt, beispielsweise eine Fahrtenpauschale, Wegstreckenentschädigung oder erhöhte Vergütung wegen der privaten Pkw-Nutzung. Zur Höhe dieser besonderen Vergütung lässt sich das BAG nicht ein, in Betracht könnte aber eine Zulage in Höhe der Versicherungsprämie für eine Kaskoversicherung kommen. Arbeitgeber sollten sich außerdem bei einem Versicherungsunternehmen über eine Dienstreisekaskoversicherung informieren, um möglichst etwaig im Rahmen der Rufbereitschaft auftretende Schäden abzudecken.