Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat dem deutschen Gesetzgeber im Jahr 2017 (BVerfG, Beschluss v. 10.10.2017 – 1 BvR 2019/16) den Auftrag erteilt, die mit dem bisher geltenden Personenstandrechts einhergehenden Verstöße gegen das Allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) und das besondere Diskriminierungsverbot in Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG aus der Welt zu schaffen. Schon damals sprachen Befürworter und Kritiker der Entscheidung von der Einführung eines dritten Geschlechts durch das BVerfG. Die bisher – sowohl rechtlich als auch gesellschaftlich – anerkannten Geschlechterkategorien „männlich“ und „weiblich“ wurden nun mit dem Gesetz zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben vom 18.12.2018 um eine neue Kategorie „divers“ erweitert. Der nachfolgende Beitrag soll aufzeigen, welche Folgefragen sich durch der Einführung eines weiteren Geschlechts in der täglichen arbeitsrechtlichen Praxis ergeben und worauf sich Arbeitgeber künftig einstellen müssen; vor allem aber wollen wir das Bewusstsein für das Thema schärfen, da noch nicht alle Unternehmen adäquat auf den eingeleiteten Wandel reagiert haben.
Die Entscheidung des BVerfG:
Geklagt hatte eine intersexuelle Person auf Eintragung der Geschlechtsangabe „inter/divers“, hilfsweise „divers“ in das Geburtenregister. Als intersexuell werden Menschen bezeichnet, bei denen das körperliche Geschlecht weder eindeutig dem Männlichen noch dem Weiblichen zugeordnet werden kann; sie weisen also Merkmale beider Geschlechter auf. Das Personenstandsrecht, konkret § 21 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 22 Personenstandsgesetz (PStG) a.F., berücksichtigte derartige Fälle nicht – zumindest war keine positive Feststellung eines anderen Geschlechts möglich. Den Betroffenen verblieb nur die Möglichkeit keine Geschlechtsangabe in das Geburtenregister eintragen zu lassen. Darin sieht das BVerfG eine verfassungswidrige Regelung. Die Vorschriften des Personenstandsrechts verstoßen gegen das allgemeine Persönlichkeitsrechts gem. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Schutz der geschlechtlichen Identität, so das BVerfG. Gleichzeitig liege darin eine Diskriminierung wegen des Geschlechts, so dass auch das in Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG verankerte Diskriminierungsverbot verletzt sei.
Das BVerfG zeigte in seinem Urteil letztlich verschiedene Möglichkeiten auf, die Benachteiligungen zu beseitigen, etwa durch den generellen Verzicht auf den personenstandsrechtlichen Geschlechtseintrag oder die Möglichkeit der Auswahl eines Geschlechts, welches nicht männlich oder weiblich ist. Es gab dem Gesetzgeber auf, bis zum 31.12.2018 eine verfassungskonforme Neuregelung zu schaffen.
Tätigwerden des Gesetzgebers
Und der Gesetzgeber kam seinem verfassungsrechtlichen Auftrag – wenn auch in letzter Minute – nach und führte die Möglichkeit des Geschlechtseintrags „divers“ in § 22 Abs. 3 PStG ein. Seit dem 22.12.2018 können Menschen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung, kurz gesagt: Intersexuelle, neben den drei ursprünglichen Varianten „männlich“, „weiblich“ und „ohne Angabe“ zusätzlich ihr Geschlecht als „divers“ im Geburtenregister beurkunden lassen.
Auswirkungen für die arbeitsrechtliche Praxis
Mit der Gesetzesänderung ist seit dem 22.12.2018 wohl ein drittes Geschlecht „geboren“, jedenfalls aber offiziell als solches anerkannt. Wir müssen diesem daher ebenso Beachtung schenken, wie den bisherigen Geschlechtern. Insbesondere Fragen der Gleichbehandlung und weitere Schutzvorschriften müssen auf betroffene Personen übertragen werden. Dabei sind folgende Aspekte besonders hervorzuheben:
- Bewerbungsverfahren: Der Grundsatz der geschlechtsneutralen Stellenausschreibung wird durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) garantiert (§§ 1, 7V.m. § 11 AGG). Eine Benachteiligung wegen des Geschlechts verbietet sich. Daher müssen auch „Diverse“ für freie Stellen berücksichtigt werden und dürfen nicht durch eine Stellenausschreibung ausgeschlossen werden. Gleiches gilt für Online-Bewerbungsformulare, die künftig eine Auswahl „divers“ enthalten sollten. In diesem Zusammenhang stellt sich vor allem die interessante Frage, wie der Anwendungsbereich des § 8 AGG aussehen wird, der eine unterschiedliche Behandlung zulässt, sofern das Geschlecht eine unverzichtbare Voraussetzung für die konkrete Tätigkeit ist. Prägend war hier insbesondere die gesellschaftliche Stellung der Geschlechter Mann und Frau sowie deren Beziehung zueinander. Entsprechende Erfahrungswerte in Bezug auf das dritte Geschlecht existieren bisher noch nicht, so dass es voraussichtlich schwieriger werden könnte zu begründen, warum etwa eine weibliche Bewerberin einem männlichen Bewerber und einer „diversen“ Personen vorzuziehen ist.
- Kleidervorschriften: In vielen Bereichen herrscht schon jetzt eine geschlechtsneutrale Kleiderordnung. Doch gibt es mit Sicherheit noch einige Konstellationen, in denen die Kleiderordnung nach dem Geschlecht variiert – zu denken ist hier beispielsweise an das Halstuch einer Stewardess.
- Anreden in Anschreiben oder dem Arbeitsvertrag: Formulierungen wir „Sehr geehrter Herr/Sehr geehrte Frau …“ oder „Arbeitnehmerin/Arbeitnehmer“ lassen das dritte Geschlecht unberücksichtigt. Hier könnte man womöglich mit einem Sternchen (*) oder Unterstrich (_) arbeiten, um zu verdeutlichen, dass nicht nur Männer oder Frauen angesprochen werden.
- Minderheitenquoten: So muss etwa nach 15 Abs. 2 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) das Geschlecht, welches in der Belegschaft in der Minderheit ist, entsprechend seines zahlenmäßiges Verhältnisses im Betriebsrat (sofern dieser aus mindestens drei Mitgliedern besteht) vertreten sein. Doch wie ist damit umzugehen, wenn die vom Gesetz geforderte Anzahl an Intersexuellen gar nicht im betroffenen Betrieb beschäftigt sind?
- Sanitäre Einrichtungen: Müssten dann konsequenterweise künftig nicht auch gesonderte Toiletten für das dritte Geschlecht eingerichtet werden, wie es bereits nach der Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV), dort 1 Abs. 1 S. 1 des Anhangs, für Männer und Frauen vorgeschrieben ist? Oder reicht die Toilettenbezeichnung „männlich/divers“ bzw. „weiblich/divers“ zunächst aus?
Ausblick: Umsetzung am Beispiel der Stellenausschreibung
Wie bereits der kurze Ausblick in einige konkrete Beispielsfälle zeigt, lässt sich derzeit noch nicht mit Sicherheit feststellen, wie der Umgang mit dem dritten Geschlecht in der Praxis rechtssicher auszugestalten ist. Derzeit können nur unterschiedliche Umsetzungsmöglichkeiten vorgeschlagen werden. Welche der Varianten sich letztlich in jedem Einzelfall durchsetzt und von der Rechtsprechung als zulässig angesehen wird, wird sich erst noch zeigen.
Im Hinblick auf das Bewerbungsverfahren können wir allerdings schon jetzt mit großer Sicherheit auf das Bedürfnis einer geschlechtsneutralen Stellenausschreibung – nun auch in Bezug auf das dritte Geschlecht – hinweisen. Um dem Vorwurf der Geschlechterdiskriminierung zu entgehen und Entschädigungs- bzw. Schadensersatzforderungen wegen Verstoßes gegen das AGG (§ 15 AGG) zu verhindern, sollten von der Überschrift bis zum Abschlusssatz durchgängig geschlechtsneutrale Formulierungen (z.B. Oberbegriffe wie „Fachkraft für …“, „Personalleitung“, „Stelle in der …“, „Personal“ etc.) verwendet werden. Neben bisherigen Zusätzen, wie „(m/w)“ empfehlen wir auch „d“ zu verwenden. Insoweit könnte man sich lediglich fragen, ob es „(m/w/d)“ oder eher „(d/m/w)“ – Letzteres wohl aufgrund der alphabetischen Reihenfolge die rechtssicherste Variante – heißen müsste. Die doch aufwendige Unterscheidung zwischen den Geschlechtergruppen könnte man sich auch ersparen, indem direkte Anredeformen verwendet werden: „Sie werden bei uns…“ oder „Wir erwarten von Ihnen …“. Möglich erscheint es wohl auch eine der drei Geschlechterformen zu wählen und im Text der Stellenanzeige deutlich zu machen, dass Personen jeden Geschlechts angesprochen werden sollen.