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Neues vom EuGH zur Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten

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Die Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten ist ein Dauerbrenner in der Rechtsprechung. Insbesondere die Zahlung einer zusätzlichen Vergütung wirft die Frage nach einer unzulässigen Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten auf. Nun hat der EuGH in einer mit Spannung erwarteten Entscheidung zur Mehrflugdienststundenvergütung von Piloten für mehr Klarheit gesorgt.

Nach § 4 Abs. 1 TzBfG darf ein Teilzeitbeschäftigter wegen der Teilzeitarbeit nicht schlechter behandelt werden als ein vergleichbarer Vollzeitbeschäftigter, es sei denn, dass sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Einem Teilzeitbeschäftigten ist Arbeitsentgelt mindestens in dem Umfang zu gewähren, der dem Anteil seiner Arbeitszeit an der Arbeitszeit eines vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten entspricht (Pro-rata-temporis-Grundsatz). Da § 4 Abs. 1 TzBfG der Umsetzung von § 4 Nr. 1 und 2 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG dient, bestimmt sich die Anwendung dieser Vorschrift nach der Auslegung der Rahmenvereinbarung. Daher hat das BAG den EuGH um Vorabentscheidung über zwei Fragen zur Auslegung der Rahmenvereinbarung angerufen, über die der EuGH nun befunden hat.

Worum geht es?

Ein bei einem Luftfahrtunternehmen teilzeitbeschäftigter Pilot verlangt die Zahlung einer Mehrflugdienststundenvergütung. Diese ist im anwendbaren Tarifvertrag bei Überschreiten einer bestimmten Anzahl von Flugdienststunden (sog. Auslösegrenzen) vorgesehen. Diese Auslösegrenzen gelten einheitlich für Voll- und Teilzeitbeschäftigte. Teilzeitbeschäftigte müssen also dieselben Auslösegrenzen wie Vollzeitbeschäftigte überschreiten, um die Mehrflugdienststundenvergütung zu erhalten. Eine Reduzierung der Auslösegrenzen entsprechend der reduzierten Arbeitszeit findet nicht statt. Der Pilot ist der Ansicht, er werde durch die tarifvertragliche Regelung wegen seiner Teilzeitbeschäftigung diskriminiert und habe einen Anspruch auf die Mehrflugdienststundenvergütung, sobald er eine proportional zu seiner Teilzeit abgesenkte Zahl von Flugdienststunden überschreite.

Der 10. Senat des BAG tendiert dazu, eine Ungleichbehandlung des teilzeitbeschäftigten Piloten anzunehmen. Er begründet dies damit, dass nicht auf die Gesamtvergütung von Voll- und Teilzeitbeschäftigten abzustellen sei, wonach eine Ungleichbehandlung ausscheide, da hiernach Voll- und Teilzeitbeschäftigte für dieselbe Anzahl von Stunden „unter dem Strich“ dieselbe Vergütung erhalten. Vielmehr sei auf die einzelnen Vergütungsbestandteile abzustellen. Danach liege eine Ungleichbehandlung vor, da ein teilzeitbeschäftigter Pilot nicht bereits ab der ersten über seine individuelle „Normalarbeitszeit“ hinausgehenden Flugdienststunde, sondern erst mit Überschreitung der für Vollzeitbeschäftigte geltenden Schwelle eine Mehrflugdienststundenvergütung erhalte.

Dementsprechend hat das BAG in seiner Entscheidung vom 11.11.2020 (10 AZR 185/20 (A)) dem EuGH sinngemäß die Frage vorgelegt, ob teilzeitbeschäftigte Piloten benachteiligt werden, wenn sie dieselbe Anzahl Flugdienststunden wie Vollzeitbeschäftigte leisten müssen, um in den Genuss einer Mehrflugdienststundenvergütung zu gelangen. Außerdem hat das BAG dem EuGH die weitere Frage vorgelegt, ob der nach Ansicht des BAG mit der Mehrflugdienststundenvergütung verfolgte Zweck, eine besondere Arbeitsbelastung auszugleichen, eine Benachteiligung von teilzeitbeschäftigten Piloten und ein Abweichen vom Pro-rata-temporis-Grundsatz rechtfertigen kann.

Die Entscheidung des EuGH

Auf die erste Vorlagefrage hat der EuGH in seiner Entscheidung vom 19.10.2023 (C-660/20) bestätigt, dass es eine Benachteiligung von teilzeitbeschäftigten Piloten darstellt, wenn sie dieselben Flugdienststunden verrichten müssen wie vollzeitbeschäftigte Piloten, um die Mehrflugdienststundenvergütung zu erhalten. Unter diesen Bedingungen erreichten Teilzeitbeschäftigte die erforderlichen Auslösegrenzen entweder gar nicht oder nur mit deutlich geringerer Wahrscheinlichkeit als Vollzeitbeschäftigte. Identische Auslösegrenzen entsprächen bei teilzeitbeschäftigten Piloten, gemessen an ihrer Gesamtarbeitszeit, einem längeren Flugstundendienst als bei Vollzeitbeschäftigten und belasteten sie damit in höherem Maße als diese. In einer solchen Situation komme es für Teilzeitbeschäftigte zu nachteiligen Auswirkungen auf das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung. Im Ergebnis stellt damit der EuGH – wie bereits das BAG – für die Frage der Benachteiligung auf die einzelnen Vergütungsbestandteile und nicht auf die Gesamtvergütung ab.

Auf die zweite Vorlagefrage hat der EuGH geantwortet, dass die Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit einer nationalen Regelung wie der fraglichen Tarifvorschrift entgegensteht, die dazu dient, eine besondere Arbeitsbelastung auszugleichen. Der EuGH hat Zweifel geäußert, dass einheitliche Auslösegrenzen für voll- und teilzeitbeschäftigte Piloten im Hinblick auf das Ziel, die Gesundheit der Piloten vor übermäßiger Arbeitsbelastung zu schützen, angemessen und kohärent ist. Die Festlegung einheitlicher Auslösegrenzen laufe nämlich darauf hinaus, dass die individuellen Auswirkungen, die sich aus der Arbeitsbelastung und den flugspezifischen Zwängen ergeben könnten, grundsätzlich außer Betracht bleiben. Sie laufe auch darauf hinaus, dass die eigentlichen Gründe für Teilzeitarbeit, z.B. außerberufliche Belastungen des Piloten, keine Berücksichtigung fänden. Auch das Ziel, die Fluggesellschaften davon abzuhalten, die Piloten zu übermäßiger Arbeit heranzuziehen, sei nicht kohärent zu erreichen, da die Fluggesellschaften die Mehrflugstundenvergütung nur jenseits der Auslösegrenzen zu tragen hätten. Schließlich könnten auch wirtschaftliche Erwägungen wie eine sparsame Personalbewirtschaftung keine Diskriminierung rechtfertigen.

Fazit

Auch wenn der EuGH den Fall zwecks Sachverhaltswürdigung hinsichtlich eines sachlichen Grundes für die unterschiedliche Behandlung teilzeitbeschäftigter Piloten an das BAG „zurückverwiesen“ und damit nicht endgültig entschieden hat, steht danach fest: Wird die Zahlung einer zusätzlichen Vergütung für Voll- und Teilzeitbeschäftigte einheitlich daran geknüpft, dass dieselbe Zahl Arbeitsstunden überschritten wird, stellt dies eine Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten dar. Regelmäßig wird die Zahl der von Teilzeitbeschäftigten zu leistenden Arbeitsstunden daher nach dem Pro-rata-temporis-Grundsatz zu reduzieren sein, sofern nicht im Einzelfall ein sachlicher Grund die Ungleichbehandlung und Abweichung vom Pro-rata-temporis-Grundsatz rechtfertigt. Dieser sachliche Grund wird jedoch nach der in der Entscheidung des EuGH zum Ausdruck kommenden Tendenz eher die Ausnahme und in jedem Fall sorgfältig zu begründen sein.

Dr. Christoph Bergwitz

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Counsel
Christoph Bergwitz unterstützt Arbeit­ge­ber ins­be­son­dere bei Fragen des Arbeit­neh­mer­da­ten­schut­zes, im Rahmen von Umstruk­tu­rie­rungs­pro­jekten sowie beim Schutz vor wett­be­werbs­wid­ri­gem Verhalten durch Arbeit­neh­mer. Darüber hinaus berät Christoph Bergwitz Füh­rungs­kräfte und Organ­mit­glie­der.
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