Grundsätzlich sind Arbeitgeber nur während des Arbeitsverhältnisses verpflichtet, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu leisten. Aber auch noch anschließend? Die Überraschung ist groß, wenn die Krankenkasse vom Arbeitgeber aus übergegangenem Recht die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall fordert – trotz eines durch Kündigung bereits beendeten Arbeitsverhältnisses. Der Beitrag beleuchtet die in der Praxis nahezu unbekannte Anlasskündigung.
Die Anlasskündigung
Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 EZFG wird der Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts (§§ 3, 4 EFZG) nicht dadurch berührt, dass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit kündigt. Diese Regelung sichert den bereits entstandenen Entgeltfortzahlungsanspruch, falls der Arbeitgeber aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit das Arbeitsverhältnis mit dem arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmer kündigt und das Arbeitsverhältnis dadurch (wirksam) beendet wird. Häufigster Anwendungsfall in der Praxis ist daher die Kündigung in der Probezeit mit der kurzen Zwei-Wochen-Frist des § 622 Abs. 3 BGB. Liegt eine Anlasskündigung vor, wird der Arbeitgeber insgesamt sechs Wochen lang zur Kasse gebeten. Denn nach Sinn und Zweck der Regelung soll er sich nicht auf Kosten der Sozialversicherung seiner Verpflichtung zur Entgeltfortzahlung entziehen. Zugleich soll der Arbeitnehmer davor bewahrt werden, noch während der Erkrankung einen anderen Arbeitsplatz suchen zu müssen.
Weite Auslegung
Der Begriff „Anlass“ ist vom eigentlichen Kündigungsgrund zu unterscheiden und weit auszulegen. Nicht erforderlich ist, dass die Kündigung wegen der Erkrankung erfolgt. Ein Anlass ist weniger gewichtig als ein Kündigungsgrund. Die Krankheit bildet nach der Rechtsprechung des BAG bereits dann den Anlass, wenn sie die Arbeitgeberentscheidung beeinflusst, gerade jetzt die Kündigung zu erklären. Hierbei reicht es aus, wenn die Kündigung ihre objektive Ursache und wesentliche Bedingung in der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers hat und den entscheidenden Anstoß für den Kündigungsentschluss gegeben hat. Innerhalb einer Ursachenkette muss sich die Arbeitsunfähigkeit allerdings als eine die Kündigung wesentlich mitbestimmende Bedingung darstellen.
Kündigung aus Anlass bevorstehender Arbeitsunfähigkeit reicht aus
Eine erst nach Zugang der Kündigung eingetretene Arbeitsunfähigkeit erfüllt daher grundsätzlich nicht die Tatbestandsvoraussetzungen von § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG. Allerdings ist es nach der Rechtsprechung des BAG ausreichend, wenn Anlass der Kündigung schon die bevorstehende Arbeitsunfähigkeit ist. Es bedarf lediglich hinreichend sicherer Anhaltspunkte der bevorstehenden Arbeitsunfähigkeit. Bloße Vermutungen oder vage Ankündigungen können keine Grundlage dafür sein, dass die Arbeitsunfähigkeit objektive Ursache der Kündigung ist. Steht dagegen die künftige Arbeitsunfähigkeit so gut wie sicher fest (bspw. bei einem fest vereinbarten OP-Termin und anschließender Arbeitsunfähigkeit), kann sie nach der Rechtsprechung des BAG die Grundlage der Kündigung sein.
Im Prozess: Anscheinsbeweis einer Anlasskündigung
Im Rechtsstreit ist zunächst der Arbeitnehmer nach allgemeinen Grundsätzen für die anspruchsbegründenden Tatsachen darlegungspflichtig, aus denen sich ergibt, dass der Arbeitgeber die Kündigung aus Anlass der Erkrankung ausgesprochen hat. Gleiches gilt für die Krankenkassen, wenn sie – im in der Praxis häufigsten Anwendungsfall – nach einem Anspruchsübergang nach § 115 SGB X vom Arbeitgeber die Erstattung der geleisteten Entgeltfortzahlung verlangen. Fallen Kündigung, Arbeitsunfähigkeit und Kenntnis des Arbeitgebers von der Arbeitsunfähigkeit zeitlich eng zusammen, so spricht nach der Rechtsprechung des BAG bereits der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass die Arbeitsunfähigkeit oder deren Fortdauer Anlass der Kündigung war.
Dann ist es die prozessuale Aufgabe des Arbeitgebers, diesen Beweis des ersten Anscheins zu erschüttern. Er muss Tatsachen vortragen und im Bestreitensfalle beweisen, aus denen sich ergibt, dass er den Entschluss zur Kündigung bereits gefasst hatte, als die Arbeitsunfähigkeit oder seine Kenntnis hiervon noch nicht gegeben war oder andere Gründe seinen Kündigungsentschluss bestimmt haben.
Denkbar ist beispielsweise, dass der Arbeitgeber genau darlegen kann, dass er ein der Kündigung vorgeschaltetes Verfahren (zB. das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG) zu einem Zeitpunkt bereits eingeleitet hatte, in dem die Arbeitsunfähigkeit noch nicht vorlag. Kein Anlass dürfte auch vorliegen, wenn der Mitarbeiter die Kündigung im Rahmen einer Massenentlassung iSv. § 17 KSchG erhalten oder eine vorgenommene Sozialauswahl im Rahmen einer betriebsbedingten Kündigung zu Lasten des Mitarbeiters ausgeht.
Fazit
Erfolgte die Kündigung vor einer noch nicht einmal absehbaren Erkrankung, kann von einer Anlasskündigung keine Rede sein. In allen anderen Fällen, in denen das Arbeitsverhältnis noch vor Ende der Sechs-Wochen-Frist endet, besteht für Arbeitgeber das (Prozess-)Risiko der Entgeltfortzahlung für ganze sechs Wochen, falls der Arbeitnehmer so lange arbeitsunfähig ist.