Das BAG hat am 1. Dezember 2020 eine wichtige Entscheidung zur arbeitsrechtlichen Einordnung sogenannter „Crowdworker“ getroffen. Dabei wurden die Hoffnungen auf eine wegweisende Musterentscheidung allerdings enttäuscht. Zahlreiche Fragen aus dem viel diskutierten und zukunftsweisenden Themenkomplex „Arbeiten 4.0“ bleiben ungeklärt. Dennoch handelt es sich um eine Entscheidung mit weitreichenden Folgen.
Crowdworking
Crowdworker sind Micro-Jobber im Internet. Crowdworking steht für die Erledigung bezahlter Kleinstaufträge, die online vermittelt werden. Typische Aufträge bestehen darin, Apps zu testen, Öffnungszeiten zu fotografieren oder online Informationen zu verifizieren. Anspruch auf Mindestlohn, Urlaub oder bezahlte Krankheitstage gab es bis dato mangels Arbeitnehmerstatus nicht. Im Austausch hierzu gab es meistens keine Pflicht zur Auftragsannahme bei gleichzeitiger Entscheidungshoheit über das Wo und Wann der Auftragserfüllung (vgl. dazu unseren Beitrag zum Konzept Crowdworking).
Der Fall
Der Kläger war für die Beklagte auf Grundlage einer „Basisvereinbarung“ sowie allgemeiner Geschäftsbedingungen tätig. Die Leistungserbringung erfolgte, indem der Kläger über ein Nutzerprofil online angebotene Aufträge annehmen konnten, ohne dazu vertraglich verpflichtet zu sein. Bei Annahme eines Auftrags musste dieser regelmäßig binnen zwei Stunden nach detaillierten Vorgaben der Beklagten erledigt werden. Für erledigte Aufträge wurden dem Crowdworker Erfahrungspunkte gutgeschrieben. Mit steigender Anzahl der Erfahrungspunkte wurde die Möglichkeit eröffnet, mehrere Aufträge gleichzeitig anzunehmen und somit das Lohnniveau zu erhöhen. Aufgrund von Unstimmigkeiten verweigerte die Beklagte dem Kläger die Auftragsannahme im Frühjahr 2018.
Der Crowdworker klagte daraufhin erstinstanzlich unter anderem auf Feststellung seines Arbeitnehmerstatus verbunden mit einer Forderung auf Vergütung wegen der Verweigerung von Aufträgen.
Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab und verneinten die Arbeitnehmereigenschaft (vgl. dazu unseren Beitrag aus Dezember 2019). Das Bundesarbeitsgericht entschied anders. Der Senat stelle fest, dass ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien sehr wohl bestand.
Das Urteil
Nach dem BAG könne die Arbeitnehmereigenschaft eines Crowdworkers bejaht werden, sofern dieser unter Berücksichtigung der Gesamtumstände weisungsgebundene, fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit leistet. Die Bezeichnung im Vertrag sei hierbei irrelevant. (Pressemitteilung des BAG).
Für die Arbeitnehmereigenschaft im hiesigen Fall sprach, dass die Beklagte die Leistungserbringung nach Ort, Zeit und Inhalt steuerte und der Kläger somit in eine weisungsgebundene und fremdbestimmte Organisationsstruktur eingebunden war. Die Tatsache, dass der Kläger nicht zur Annahme von Aufträgen verpflichtet war, bewertete das BAG als unerheblich. Maßgeblich für die Entscheidung waren vielmehr die Pflicht zur persönlichen Leistungserbringung sowie das Anreizsystem der Erfahrungspunkte. Dies führe – so das Gericht – dazu, dass sich der Kläger subjektiv veranlasst fühlte, kontinuierlich weitere Aufträge anzunehmen.
Trotz Annahme der Arbeitnehmereigenschaft wies das BAG die Revision überwiegend zurück. Nach dem BAG könne der Kläger nicht ohne weiteres Vergütungszahlungen nach Maßgabe seiner bisher als vermeintlich freier Mitarbeiter bezogenen Honorare verlangen. Stellt sich ein vermeintlich freies Dienstverhältnis im Nachhinein als Arbeitsverhältnis heraus, könne in der Regel nicht davon ausgegangen werden, dass die für freie Mitarbeiter vereinbarte Vergütung auch der Höhe nach für Arbeitnehmer verabredet ist. Vielmehr wäre die übliche Vergütung geschuldet.
Ausblick und Bewertung
Die erhoffte wegweisende Entscheidung des BAG blieb aus. Auch in Zukunft wird über den Arbeitnehmerstatus anhand verschiedenster Kriterien im Einzelfall gestritten werden. Die Bedingungen, zu denen Crowdworker arbeiten, sind so divers wie die Aufgaben, die sie wahrnehmen. Eine sichere Prognose kann nur in offensichtlichen Fällen durch den Arbeitgeber allein im Vornhinein getroffen werden
Um böse Überraschungen zu vermeiden sollten Arbeitgeber im Zweifelsfall auf das Statusfeststellungsverfahren der Deutschen Rentenversicherung zurückgreifen. Denn auch hier gilt lieber Vorsicht als Nachsicht: Der Arbeitnehmerstatus ist mit einer Vielzahl zusätzlicher Rechte und Pflichten sowie Kosten verbunden. Sind diese nicht erwünscht, so muss die Vertragsgestaltung und -umsetzung von vornhinein mit Weitsicht erfolgen.
(Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 1. Dezember 2020, Az. 9 AZR 102/20; Vorinstanz: Landesarbeitsgericht München, Urteil vom 4. Dezember 2019, Az. 8 Sa 146/19)