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Strom- und Energiepreisbremse: Was Unternehmen bei der Beschäftigungssicherung zu beachten haben

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Viele Unternehmen sind von der Energiekrise betroffen. Die Bundesregierung will mit Strom- und Energiepreisbremsen gegensteuern und Unternehmen entlasten, um vor allem Arbeitsplätze zu sichern. Zwei gleichlautende Regelungen im Strompreisbremsegesetz sowie im Erdgas-Wärme-Preisbremsengesetz sehen dazu eine Arbeitsplatzerhaltungspflicht vor. Anknüpfend an unseren Blogbeitrag vom 28. März 2023 zeigt dieser Beitrag, was Unternehmen beachten müssen, um ihrer Pflicht zur Beschäftigungssicherung nachzukommen.

Regelungsmöglichkeiten zur Arbeitsplatzerhaltung

Die Arbeitsplatzerhaltungspflicht betrifft einzelne Unternehmen – nicht den Konzern –, wenn diese insgesamt mehr als zwei Millionen Euro aus dem StromPBG sowie EWPBG erhalten. Geringere Entlastungen lösen keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen aus – weder hinsichtlich der Arbeitsplatzerhaltung noch hinsichtlich etwaiger Boni- und Dividendenverbote (hierzu in einem nachfolgenden Blogbeitrag).

Unternehmen haben zwei Optionen ihrer Arbeitsplatzerhaltungspflicht bis zum 15. Juli 2023 nachzukommen:

Option (1): Abschluss von Kollektivvereinbarungen in Form eines Tarifvertrags oder einer Betriebsvereinbarung mit Regelungen zur Beschäftigungssicherung

Option (2): Erklärungen über die Gründe des Nichtzustandekommens einer Kollektivvereinbarung und Abgabe einer Selbstverpflichtung zum Erhalt von min. 90 % der Belegschaft

Nach beiden Optionen müssen Maßnahmen zur Beschäftigungssicherung für die nächsten zwei Jahre, genauer bis zum 30. April 2025, getroffen werden. Unternehmen können zwischen beiden Optionen wählen. Verhandlungen über Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen müssen nicht erst  – wie man es beispielsweise beim Abschluss eines Interessenausgleichs kennt – versucht worden sein, damit die Selbstverpflichtung gewählt werden kann.

Ist eine Kollektivvereinbarung zur Beschäftigungssicherung zustande gekommen, genießt diese Vorrang gegenüber einer Selbstverpflichtung. Konkret: Gibt ein Unternehmen zunächst eine Selbstverpflichtungserklärung ab und wird danach, aber noch innerhalb der Nachweisfrist bis zum 15. Juli 2023, eine Kollektivvereinbarung abgeschlossen, ist die Kollektivvereinbarung maßgeblich.

Eine Durchführungsanweisung, wie beispielsweise zur Sperrzeit beim Arbeitslosengeld, wäre hilfreich, existiert bisher aber nicht.

Beschäftigungssicherung durch Kollektivvereinbarung – Option (1)

Unternehmen und die jeweiligen Sozialpartner genießen Gestaltungsfreiheit. Das Gesetz sieht für die Option der Kollektivvereinbarung keine zwingenden Regelungen oder Quoten zur Sicherung von Arbeitsplätzen vor. Die im Falle einer Selbstverpflichtungserklärung notwendige 90 % Erhaltungs-Quote dürfte bei Kollektivvereinbarungen also unterschritten werden können. Klar ist, dass die Kollektivvereinbarung (irgend-)eine Regelung zur Beschäftigungssicherung der Belegschaft mit einer Laufzeit bis mindestens zum 30. April 2025 beinhalten muss. Dabei muss die Sicherung für den gesamten Zeitraum erfolgen. Denkbar wäre insoweit, einen befristeten Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen bis zum 30. April 2025 zu vereinbaren oder die Zulässigkeit von Kündigungen bis dahin an die Zustimmung des Betriebsrats zu binden.

Der Abschluss von Aufhebungsverträgen, zum Beispiel im Rahmen von Freiwilligenprogrammen, dürfte mit Betriebsrat/Gewerkschaft einvernehmlich von dem Anwendungsbereich einer solchen Kollektivvereinbarung ausgenommen werden können. Möglich wäre auch, eine abweichende Quote für geplante oder begonnene Abbaumaßnahmen mit Betriebsrat/Gewerkschaft zu vereinbaren.

Zuständig wäre – soweit existent – der Gesamtbetriebsrat, andernfalls der lokale Betriebsrat. Zustandekommen und Durchsetzung bestimmen sich nach den üblichen Regelungen, also u.a. dem BetrVG und TVG.

Beschäftigungssicherung durch Selbstverpflichtungserklärung – Option (2)

Ist keine Kollektivvereinbarung geschlossen worden, müssen Unternehmen eine Selbstverpflichtungserklärung abgeben, wenn sie Entlastungen in Höhe von mehr als zwei Millionen Euro erhalten bzw. behalten wollen. Diese muss darauf gerichtet sein, bis zum 30. April 2025 eine Belegschaft zu erhalten, die mindestens 90 % der am 1. Januar 2023 vorhandenen sog. Arbeitsplatz-Vollzeitäquivalente (FTE) entspricht.

Für die Berechnung ist nicht die Anzahl an Köpfen im Unternehmen entscheidend, sondern die Anzahl der Vollzeit-Belegschaft, sodass Teilzeitbeschäftigte anteilig zu berücksichtigen sind. Der Gesetzgeber versteht den Begriff „Belegschaft“ in dem StromPBG sowie EWPBG weit. Regelmäßig überlassene Leiharbeitnehmer, Saisonkräfte sowie befristet Angestellte dürften zu berücksichtigen sein.

Was der Gesetzgeber hingegen unter „Vollzeit“ versteht, ist bisher ungeklärt. Unternehmen, die tarifgebunden sind oder eine entsprechende Betriebsvereinbarung abgeschlossen haben, werden sich voraussichtlich an der vereinbarten wöchentlichen Regelarbeitszeit orientieren können. Ansonsten dürfte gelten, was „betriebsüblich“ ist.

Arbeitnehmer, die nicht aus betriebsbedingten Gründen ausscheiden, sondern beispielsweise aufgrund von Renteneitritt, Eigenkündigung oder Kündigungen aus anderen, z.B. verhaltensbedingten, Gründen, dürften bei der Quotenberechnung keine Berücksichtigung finden. An einer klaren Regelung hierzu fehlt es. Für einvernehmliche betriebsbedingte Trennungen mittels Aufhebungsvertrag dürfte etwas anderes gelten. Das StromPBG bzw. EWPBG enthält für solche Aufhebungsverträge keine Ausnahme, sodass einvernehmliche betriebsbedingte Trennungen, zum Beispiel im Rahmen von Freiwilligenprogrammen, bei der Berechnung der Quote berücksichtigt werden müssten.

Nachweispflichten von Unternehmen

Betroffene Unternehmen sind verpflichtet bis zum 15. Juli 2023 einen Nachweis über die Einhaltung der Arbeitsplatzerhaltungspflicht zu erbringen. Dafür muss die abgeschlossene Kollektivvereinbarung (Option 1) oder eine schriftliche Erklärung zu den Gründen des Nichtzustandekommens einer Kollektivvereinbarung samt Selbstverpflichtung (Option 2) vorgelegt werden. Das Schriftformerfordernis gilt dabei sowohl für die Erklärung über die Gründe des Nichtzustandekommens als auch für die Selbstverpflichtungserklärung. Etwaige Stellungnahmen der beteiligten Sozialpartner (Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände und Betriebsräte) sind nicht vorzulegen.

Im Falle der Selbstverpflichtung (Option 2) müssen Unternehmen außerdem bis zum 31. Dezember 2025 einen durch einen Wirtschafts- bzw. Buchprüfer oder einen genossenschaftlichen Prüfungsverband testierten Nachweis zur Arbeitsplatzentwicklung (sog. Abschlussbericht) vorlegen. In dem Abschlussbericht muss die Einhaltung der Selbstverpflichtung für den Zeitraum bis zum 30. April 2025 dargelegt werden.

Die Nachweise zum 15. Juli 2023 bzw. 31. Dezember 2025 erfolgen gegenüber der Prüfbehörde. Der Gesetzgeber hat es dem zuständigen Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) überlassen, eine Prüfbehörde zu bestimmen. Bislang ist dies noch nicht erfolgt. Angesichts der umfangreichen und komplexen Aufgaben der Prüfbehörde, hat der Bundestag am Freitag, den 31. März 2023 beschlossen, den Kreis der für die Aufgabenwahrnehmung infrage kommenden Personen und Institutionen um juristische Personen des Privatrechts zu erweitern und das StromPBG bzw. EWPBG anzupassen.

Konsequenzen bei Verstößen

Für den Verstoß gegen Kollektivvereinbarungen sehen das StromPBG bzw. EWPBG keine Rechtsfolgen oder Sanktionen vor. Die Durchführung erfolgt freiwillig, sodass auch Sanktionen und Verstöße frei von den Betriebs- bzw. Tarifparteien vereinbart werden dürften bzw. sich wie üblich unmittelbar aus den anwendbaren Gesetzen, wie BetrVG oder TVG, ergeben. Neben der möglichen Unwirksamkeit etwaiger Kündigungen oder Aufhebungsverträgen könnten auch weitere Sanktionen vereinbaren werden, wie beispielsweise konkrete Investitions- oder Ausgleichszahlungen, die der Belegschaft zu Gute kommen. Eine Rückforderungsmöglichkeit von erhaltenen Entlastungen durch die Behörde dürfte sich bei einem Verstoß gegen Kollektivvereinbarungen nicht ergeben.

In dem StromPBG bzw. EWPBG sind insbesondere Sanktionen für folgende Verstöße vorgesehen:

  • Verletzung der Nachweispflicht, möglich bei Option 1 oder 2
  • Verstoß gegen Selbstverpflichtungserklärung, nur möglich bei Option 2

Bei Verletzung der Nachweispflicht (1) haben Unternehmen nur einen Anspruch auf Entlastungen in Höhe von bis zu zwei Millionen Euro und müssten etwaige darüber hinausgehende Entlastungen zurückerstatten.

Bei einem Verstoß gegen eine abgegebene Selbstverpflichtungserklärung (2), also bei Unterschreiten der 90 % Quote, müssen Unternehmen mit der (teilweisen) Rückforderung der über zwei Millionen Euro hinausgehenden Entlastungen rechnen. Die Behörde hat dabei einen Ermessensspielraum und kann Sonderkonstellationen berücksichtigen.

Bei Maßnahmen nach dem Umwandlungsgesetz oder bei Betriebsübergängen nach § 613a BGB berücksichtigt die Prüfbehörde, in welchem Umfang die zum 1. Januar 2023 vorhandenen Arbeitsplatz-Vollzeitäquivalente bis zum 30. April 2025 beim Rechtsnachfolger erhalten geblieben sind. Bezugspunkt ist der (übergegangene) Betrieb oder Betriebsteil. Der Veräußerer wird daher neben der Vereinbarung von Auskunftspflichten darauf zu achten haben, mit dem Erwerber die Einhaltung der Arbeitsplatzsicherung zu regeln und/oder Erstattungsmöglichkeiten bei Nichteinhaltung zu vereinbaren.

Bereits begonnene oder geplante Personalabbaumaßnahmen, wie zum Beispiel die Durchführung eines Freiwilligenprogramms, kann die Prüfbehörde im Rahmen der Ermessenausübung ebenfalls berücksichtigen, wenn die Gründe dafür im Rahmen des Abschlussberichts dargelegt werden. Darüber hinaus können zu Gunsten der Unternehmen außerdem Investitionen in den Klima- und Umweltschutz sowie die Energieversorgungssicherheit im Rahmen der Ermessensausübung berücksichtigt werden.

Empfehlungen für die Praxis

Für Unternehmen mit Betriebsräten dürfte es ratsam sein, in erster Linie entsprechende Betriebsvereinbarungen abzuschließen. Diese bieten mehr Flexibilität und vor allem den Vorteil, dass eine Sicherungsquote von weniger als 90 % vereinbart werden kann. Dabei sollte klar definiert werden, welche Fälle des Ausscheidens unter den Anwendungsbereich einer solchen Betriebsvereinbarung fallen sollen. Zudem muss kein Nachweis über den Erhalt von Arbeitsplätzen im Rahmen eines Abschlussberichtes erbracht werden. Unternehmen ohne Betriebsrat müssen durchdenken, ob eine Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft für den Erhalt einer Förderung von mehr als zwei Millionen Euro lohnenswert ist.

Mangels Ausnahmeregelungen bleibt Unternehmen auch bei begonnenen oder geplanten Abbaumaßnahmen nur ein Vorgehen nach den skizzierten Optionen (1) und (2). Die Gründe für einen Stellenabbau sollten sorgfältig dokumentiert werden, damit diese im Rahmen der Ermessensausübung Berücksichtigung finden können.

Fest steht: Die von der Energiekrise betroffenen Unternehmen müssen abwägen zwischen einer finanziellen Förderung oberhalb von zwei Millionen Euro und Einschränkungen, die mit einer knapp zwei Jahre andauernden Beschäftigungssicherung einhergehen können.

Vielen Dank an Daniel Schmidt (Referendar im Düsseldorfer Büro) für die Mitwirkung bei der Erstellung des Beitrags.

Dr. Markus Bohnau

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Partner
Markus Bohnau berät Unter­neh­men aller Branchen insbesondere zu kollektivarbeits­recht­li­chen Themen und verhandelt mit Betriebs­rä­ten sowie Gewerk­schaf­ten, ins­be­son­dere bei (Post-Merger) Umstruk­tu­rie­run­gen und Out­sour­cing-Projekten - auch grenzüberschreitend. Weitere Schwer­punkte sind die arbeits­recht­li­che Begleitung von Trans­ak­tio­nen (inkl. Due Diligence und Har­mo­ni­sie­rung von Arbeits­be­din­gun­gen) sowie die arbeits­recht­li­che Beratung im Profisport, vor allem bei Transfers im Berufs­fuß­ball.
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