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Kinderbetreuung als Schutz vor unliebsamen Arbeitsschichten?

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Kleines Kind spielt mit Holzklötzen

Nein, das entschied das LAG Mecklenburg-Vorpommern (Urteil v. 13. Juli, Az. 5 Sa 139/22). Arbeitgeber haben bei der Bestimmung der Lage der Arbeitszeit zwar nach Möglichkeit auf die Personensorgepflichten (z.B. Kinderbetreuung) ihrer Beschäftigten Rücksicht zu nehmen, doch eine erforderliche Kinderbetreuung begründet keinen generellen Anspruch auf Zuteilung nur bestimmter Schichten.

Was war geschehen?

Die Klägerin war alleinerziehende Mutter von Zwillingen im betreuungsbedürftigen Alter. Sie war für die beklagte Arbeitgeberin, eine Bäckerei, ursprünglich in Vollzeit tätig. Die Bäckerei war von montags bis samstags geöffnet. Es galt ein Wechselschichtmodell mit einer Früh-, einer Mittel- und einer Spätschicht. Neben der Klägerin arbeiteten noch weitere Stammmitarbeiterinnen in der Bäckerei, die ebenfalls alle mindestens ein Kind im betreuungsbedürftigen Alter hatten.

Nach der Geburt der Zwillinge beantragte die Klägerin eine Verkürzung ihrer Arbeitszeit sowie nur noch an den Wochentagen Montag bis Freitag zwischen 7.40 Uhr und 16.40 Uhr eingesetzt zu werden. Zur Begründung berief sie sich auf ihre Betreuungspflichten als alleinerziehende Mutter. Sie habe keine (Schwieger-)Eltern in der Nähe und der Kindesvater habe sich abgewandt. Es sei Aufgabe der Arbeitgeberin, ihre persönliche Situation zu berücksichtigen. Die Arbeitgeberin treffe eine Erkundigungsobliegenheit, wie andere Beschäftigte die Betreuung ihrer Kinder außerhalb der Kita-Öffnungszeiten bewerkstelligen würden.

Kein Anspruch auf begehrte Mittelschicht

Das LAG verneint einen Anspruch der Klägerin, nur noch zur Mittelschicht eingeteilt zu werden und keine Samstagsarbeit mehr leisten zu müssen. Dabei prüft es die Forderungen der Klägerin unter zwei Aspekten.

Entgegenstehen betrieblicher Gründe nach § 8 Abs. 4 TzBfG

Nach § 8 Abs. 4 TzBfG hat der Arbeitgeber bei einer Arbeitszeitverringerung, wie die Klägerin sie beantragt hatte, die Arbeitszeit entsprechend den Wünschen des Arbeitnehmers zu verteilen, soweit betriebliche Gründe nicht entgegenstehen.

Nach Ansicht des LAG stehen der Einteilung zu den begehrten Schichten betriebliche Gründe entgegen. Der ausschließliche Einsatz zu den von der Klägerin gewünschten Zeiten würde die Arbeitgeberin zwingen, den Einsatz aller Mitarbeiter von Grund auf neu zu organisieren und auch die Schichtzeiten zu verändern. Das sei entscheidend. Auf die persönlichen Belange der Klägerin komme es im Rahmen des § 8 Abs. 4 TzBfG nicht an. Eine Interessenabwägung sehe das Gesetz nicht vor.

Kein überwiegendes Interesse der Klägerin

Das LAG befasst sich auch mit dem Weisungsrecht der Arbeitgeberin nach § 106 GewO, dessen Ausübung billigem Ermessen entsprechen muss. Das verlange eine Interessenabwägung unter Berücksichtigung von verfassungsrechtlicher Werteentscheidungen, Verkehrssitte, Zumutbarkeit und der Umstände des Einzelfalles.

Die Arbeitgeberin müsse nach Möglichkeit auf die Personensorgepflichten der Arbeitnehmerin Rücksicht nehmen. Dabei verstärke insbesondere die Sorge für ein Kind die Rechtsposition. Gleichzeitig seien aber auch die unternehmerische Freiheit der Arbeitgeberin sowie die Interessen aller betroffenen Mitarbeiterinnen zu berücksichtigen.

Vor dem Hintergrund verneint das LAG ein überwiegendes Interesse der Klägerin. Sämtliche Mitarbeiterinnen der Bäckerei hätten wegen ihrer betreuungsbedürftigen Kinder ein gesteigertes Interesse an den Mittelschichten sowie arbeitsfreien Samstagen, um Zeit mit der Familie zu verbringen. Alle hätten ein schutzwürdiges Interesse, Familie und Beruf miteinander in Einklang bringen zu können. Ebenso müssten alle Mitarbeiterinnen, nicht nur die Klägerin, die Betreuung ihrer Kinder während ihrer Arbeitszeiten sicherstellen.

Müsste die Klägerin keine Früh- und Spätschichten und keine Samstagsarbeit mehr leisten, läge darin eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung. Dass die Klägerin alleinerziehend sei, reiche zur Rechtfertigung nicht aus. Es komme eine Betreuung der Kinder durch Dritte in Betracht.

Keine Erkundigungsobliegenheit

Die von der Klägerin angesprochene Erkundigungsobliegenheit lehnt das LAG richtigerweise mit Verweis auf den Schutz der Privatsphäre der Beschäftigten ab.

Fazit

Die Entscheidung des LAG dürfte bei dem ein oder anderen Leser zunächst auf Unverständnis stoßen. Doch bei genauerem Hinsehen stellt man fest, dass die Entscheidung konsequent ist. Das LAG nimmt eine umfassende Interessenabwägung vor und berücksichtigt dabei die Interessen aller Beteiligten.

Erfreulich ist, dass das LAG keine überspannten Anforderungen an Arbeitgeber in Bezug auf die Interessenabwägung stellt. Arbeitgeber dürfen sich, so wie es bisher auch die gängige Praxis sein dürfte, auf die ihnen bekannten Umstände beschränken. Mit Blick auf eine nachhaltige Mitarbeiterbindung empfehlen sich – unabhängig von der Entscheidung des LAG – ein familienfreundliches Handeln und ggf. Unterstützung bei der Organisation von Kinderbetreuung (vgl. unsere Blogbeiträge vom 8. Juni 2022 und vom 2. August 2023).

Gegen die Entscheidung ist derzeit eine Nichtzulassungsbeschwerde beim BAG anhängig (Az. 5 AZN 629/23). Wir behalten für Sie im Blick, ob das BAG der Beschwerde stattgibt und sich in der Sache mit dem spannenden Fall auseinandersetzen wird.

KLIEMT.Arbeitsrecht




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