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Ein Schreibtisch im Betrieb allein begründet keine Zuständigkeit des Betriebsrats

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Der passende Kandidat für die vakante Stelle ist gefunden und der beteiligte – und aus Sicht des Arbeitgebers zuständige – Betriebsrat erteilt die Zustimmung zur Einstellung. Kurz nach Beginn der Tätigkeit folgt aber die böse Überraschung: Der Betriebsrat eines anderen Betriebs beantragt die Aufhebung der Einstellung und behauptet eine Eingliederung auch in seinen Betrieb. Das LAG Baden-Württemberg zeigt in einem aktuellen Beschluss vom 14. März 2023 – 15 TaBV 1/22 die Grenzen für solche – oft politisch motivierten – Aktivitäten von Betriebsräten, die auch in Matrixkonstellationen relevant sein können.   

Die Beteiligung des Betriebsrats bei Einstellungen und Versetzungen

In Unternehmen mit regelmäßig mehr als zwanzig Arbeitnehmern hat der Arbeitgeber den Betriebsrat gem. § 99 Abs. 1 BetrVG vor allem bei Einstellungen oder Versetzungen zu unterrichten und dessen Zustimmung einzuholen. Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, kann der Bewerber nicht eingestellt werden. Der Arbeitgeber kann jedoch die Maßnahme – soweit aus sachlichen Gründen dringend erforderlich – auch vorläufig nach § 100 BetrVG durchführen. Diese Vorgehensweise ist vielen Arbeitgebern bekannt, setzt aber voraus, dass auch der bzw. die zuständigen Betriebsräte beteiligt wurden. Wird ein zuständiger Betriebsrat bei einer personellen Einzelmaßnahme (z. B. Einstellung oder Versetzung) übergangen, kann er nach § 101 S.1 BetrVG sogar die Aufhebung der Maßnahme verlangen. D.h. in erste Linie: Der Mitarbeiter darf nicht mehr beschäftigt werden. Hiergegen können sich Arbeitgeber proaktiv und reaktiv zu Wehr setzen, wobei insbesondere proaktive prozessuale (Zeitgewinn durch geschickte Prozessführung) und materielle (strategische Neueinstellung) Gestaltungen bei der Problemlösung helfen können.

Welcher Betriebsrat ist zuständig, wenn ein Mitarbeiter nicht nur für einen Betrieb arbeitet?

Nun kommt es nicht selten vor, dass Mitarbeiter zumindest auch für andere Betriebe des Arbeitgebers Aufgaben übernehmen oder diese bei Gelegenheit miterledigen. Ob ein Betriebsrat vor der Einstellung beteiligt werden muss, hängt maßgeblich von der „Eingliederung“ in eben diesen Betrieb ab. Dieses Kriterium führt in der Praxis jedoch häufig zu Abgrenzungsproblemen, sodass die Rechtsprechung hier sukzessiv dem Begriff Konturen verleiht. Dass die Konturenbildung in der betrieblichen Praxis immer noch nicht treffsicher gelingt bzw. umstritten ist, zeigt eine jüngere Entscheidung des LAG Baden-Württemberg: Der IT-Support bei der Arbeitgeberin erfolgte bundesweit überbetrieblich über ein Ticketsystem, das für alle Standorte eingesetzt wurde. Eine regionale Zuordnung einzelner IT-Mitarbeiter gab es nicht; vielmehr wurden sie zentral gesteuert und auch für andere Konzernunternehmen tätig. In der Stellenausschreibung nannte die Arbeitgeberin als Dienstsitz den Betrieb Stuttgart. Nachdem der passende Kandidat gefunden war, bat die Arbeitgeberin den Betriebsrat der Hauptniederlassung um Zustimmung und gab nun als vorgesehenen Beschäftigungsort die Hauptniederlassung an. Der Betriebsrat Stuttgart wurde nicht beteiligt und beantragte die Aufhebung der Einstellung des Mitarbeiters, da er nach Ansicht des Betriebsrats zumindest auch im Betrieb Stuttgart ohne Zustimmung des Betriebsrats eingegliedert sei. Das Arbeitsgericht Stuttgart wies den Antrag des Betriebsrats Stuttgart zurück und lehnte eine Eingliederung in den Betrieb Stuttgart ab. Das LAG Baden-Württemberg wies die Beschwerde des Betriebsrats Stuttgart zurück und lehnte ebenfalls eine Eingliederung in den Betrieb Stuttgart ab.

Ab und zu vor Ort sein und tätig werden genügt nicht für Zuständigkeitsbegründung

Das LAG forderte eine tatsächliche Einbindung in die Arbeitsprozesse bzw. die operativen Aufgaben des Betriebs. Der Ort des Schreibtisches des Mitarbeiters sei nicht das ausschlaggebende Kriterium. Die Aufgabe des Mitarbeiters sei schließlich auch nicht gewesen, direkter Ansprechpartner in IT-Angelegenheit der Mitarbeiter aus dem Betrieb in Stuttgart zu sein. Eine Eingliederung in einen Betrieb liege nicht dann schon vor, wenn der Mitarbeiter – so wie im dortigen Fall – gelegentlich Vor- oder Zuarbeiten übernehme. Erforderlich sei vielmehr eine regelmäßige Zusammenarbeit mit den Arbeitnehmern des jeweiligen Betriebs. Eine solche regelmäßige Zusammenarbeit konnte das LAG hier nicht erkennen. Der Betriebsräte hätte nicht dargelegt, dass eine solches regelmäßiges Zusammenwirken zwischen den Mitarbeitern in Stuttgart und dem betroffenen Mitarbeiter gegeben sei. Auch wenn der Mitarbeiter vor Ort gelegentlich als Ansprechpartner für IT-Probleme agierte, sei die Erheblichkeitsschwelle nicht erreicht. Derartige Randumstände könnten nicht bei der Frage der Eingliederung entscheidend sein. Andernfalls würden sich Arbeitnehmer in Querschnittsfunktionen in hohem Umfang in mehrere Betriebe eingegliedert wiederfinden. Den hieraus entstehenden betriebsverfassungsrechtlichen Folgeproblemen stünde kein beachtlicher Vorteil gegenüber.

Neues Praktikabilitätskriterium auch bei Matrixfällen?

Besondere Herausforderungen ergeben sich bekanntlich bei der Zuständigkeit vor allem bei großen Unternehmen und Konzernen in Matrixorganisationen (siehe dazu „Mitbestimmung in der Matrix“ oder „Matrixstruktur: Deutscher Arbeitnehmer mit internationaler Rolle klagt gegen Kündigung“). Eine Matrixstruktur lag im Fall des LAG Baden-Württemberg zwar nicht vor, denn die fachliche als auch die disziplinarische Leitung erfolgte in Personenidentität durch einen Mitarbeiter der Hauptniederlassung. Dennoch lassen sich aus der Entscheidung Folgerungen ziehen für Matrixkonstellationen. Denn das LAG Baden-Württemberg zeigt in seiner Entscheidung, worauf es bei der betriebsverfassungsrechtlichen Zuordnung und deren Auswirkungen (auch) ankommt bzw. ankommen kann. Es führt ein Praktikabilitätskriterium ein: Unverhältnismäßige und kaum umsetzbare Erschwerungen bei der Anwendung des BetrVG sind nicht gerechtfertigt. Zutreffend führt das LAG aus, dass diesen praktischen Erschwerungen kein beachtlicher Vorteil gegenübersteht. Übertragen auf Matrixfälle, könnte dies eine deutlichere Grenzziehung ermöglichen und unpraktikable Zuständigkeitsstreitigkeiten im Sinne von Unternehmen auflösen. Denn die vom LAG Baden-Württemberg genannten Erheblichkeitskriterien bzw. Randumstände sind schließlich jeder Matrixstruktur immanent.

Kein Freifahrtschein

Dennoch sollten Unternehmen die Entscheidung des LAG Baden-Württemberg nicht als Freifahrtschein für beliebige Einstellungen verstehen und weiter Vorsicht walten lassen. Insbesondere sollten Arbeitgeber vor Einstellungen prüfen, in welchen Betrieb der zukünftige Mitarbeiter tatsächlich eingegliedert werden soll. Davon ausgehend müssten dann ggf. der Vorgesetzte und die Tätigkeit (Vermeidung regelmäßiger Zusammenarbeit) angepasst werden, um Zuständigkeitsdoppelungen zu vermeiden.

Nikita Bretz

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Associate
Nikita Bretz berät und vertritt nationale und internationale Unternehmen sowie Führungskräfte in sämtlichen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Neben Restrukturierungsprojekten berät er seine Mandanten zudem in Kündigungsrechtsstreitigkeiten, im Bereich des Betriebsverfassungsrechts sowie in der Vertragsgestaltung.
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