Geplante Betriebsänderungen gemäß § 111 Abs. 1 BetrVG lösen Unterrichtungs- und Beratungsrechte des Betriebsrats aus. Damit erfährt der Betriebsrat sehr früh von anstehenden Restrukturierungen. Es kann im Interesse des Arbeitgebers sein, die Weitergabe von Informationen zu vermeiden. Eine aktuelle Entscheidung des LAG Hessen (Beschluss v. 20.3.2017 – 16 TaBV – 12/17) befasst sich nun mit der Frage, ob Personalabbaumaßnahmen als geheimhaltungspflichtig deklariert werden können.
Welche Informationen können überhaupt geheimhaltungspflichtig sein?
Geheimhaltungspflichtig sind gem. § 79 Abs. 1 BetrVG Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse. Betriebsgeheimnisse beziehen sich auf den technischen Betriebsablauf, insbesondere Herstellung und Herstellungsverfahren. Geschäftsgeheimnisse betreffen hingegen den allgemeinen Wirtschaftsverkehr des Unternehmens, also wirtschaftliche und kaufmännische Tatsachen. Dies sind etwas die Absatzplanung, Auftragslage sowie die Liquidität des Unternehmens.
Zusätzlich muss zudem stets ein sachliches und objektiv berechtigtes Geheimhaltungsinteresse des Arbeitgebers vorliegen. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn die Tatsache für die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens von Bedeutung ist.
Ein geplanter Personalabbau erfasst Tatsachen, die mit der wirtschaftlichen Tätigkeit des Arbeitgebers im allgemeinen Geschäftsverkehr im Zusammenhang stehen. Die Kenntnis der Wettbewerber oder Kunden von einer geplanten Restrukturierung ist für die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens insoweit durchaus von Bedeutung. Daher dürfte es naheliegen, die Planung eines Personalabbaus als Geschäftsgeheimnis im Sinne von § 79 BetrVG zu qualifizieren. Das LAG Hessen entschied jedoch anders.
Der Fall
Im dem vom LAG Hessen entschiedenen Fall hatte der Arbeitgeber den Betriebsrat über die geplante Einstellung einer Produktlinie nebst Schließung von drei Abteilungen unterrichtet und mitgeteilt, dies sei vertraulich zu behandeln. Hieran hielt sich ein Betriebsratsmitglied nicht und informierte die Gewerkschaft. Arbeitgeber und Betriebsrat betrieben daraufhin gemeinschaftlich das Ausschlussverfahren gem. § 23 Abs. 1 BetrVG gegen das Betriebsratsmitglied. Der Arbeitgeber vertrat hierbei die Ansicht, der geplante Personalabbau stelle ein Betriebs- bzw. Geschäftsgeheimnis dar. Das LAG Hessen verneinte jedoch das Vorliegen eines sachlichen und objektiv berechtigten Geheimhaltungsinteresses.
Keine Geheimhaltungspflicht (mehr) bei Einleitung des Mitbestimmungsverfahren
Das LAG Hessen führte insoweit aus, personelle Vorgänge wie Entlassungen, Einstellungen sowie Versetzungen seien zwar bis zu ihrer Durchführung Geschäftsgeheimnisse. Hier habe der Arbeitgeber jedoch mit der Unterrichtung über die Einstellung der Produktlinie und Schließung von drei Abteilungen das Mitbestimmungsverfahren nach § 111 BetrVG eingeleitet. Jedenfalls ab diesem Zeitpunkt könne keine Geheimhaltungspflicht (mehr) bestehen. Denn ab Beginn der Unterrichtung im Sinne des § 111 Abs. 1 Satz 1 BetrVG müsse der Arbeitgeber mit den betroffenen Arbeitnehmern kommunizieren können. Andernfalls sei eine sachgerechte Wahrnehmung der Rechte des Betriebsrats nicht denkbar.
Dogmatische Schwächen der Begründung
Der Beschluss des LAG Hessen ist insbesondere wegen seiner dogmatischen Schwächen zu kritisieren. So hat das LAG Hessen – wie auch das LAG Schleswig-Holstein in einem vergleichbaren Fall – zum Vorliegen des Geheimhaltungsinteresses darauf abgestellt, ob der Betriebsrat seine Rechte und Pflichten noch ordnungsgemäß ausüben kann (vgl. LAG Schleswig-Holstein v. 20.5.2015 – 3 TaBV 35/14). Hierdurch wurden jedoch schutzzweckfremde Erwägungen in die Interessenabwägung eingestellt. Denn maßgeblich für das Vorliegen eines Geheimhaltungsinteresses ist allein, ob die Tatsache für die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens von Bedeutung ist oder nicht. Die Beeinträchtigung von Betriebsratsaufgaben ist vielmehr durch eine restriktive Auslegung des Umfangs der Schweigepflicht zu begegnen. Dort wo die ordnungsgemäße Durchführung der Betriebsratsaufgaben es erfordert, darf der Betriebsrat mit den Arbeitnehmern über die geplante Betriebsänderung sprechen. Dies hätte vorliegend zu dem Ergebnis geführt, dass der Betriebsrat zwar mit den Arbeitnehmern über den geplanten Personalabbau sprechen darf, mit externen Dritten wie der Gewerkschaft jedoch nicht.
Möglichkeiten für Arbeitgeber
Arbeitgeber müssen sich darauf einstellen, dass eine geplante Betriebsänderung als solcher sowie deren Umfang nicht der Geheimhaltungspflicht nach § 79 Abs. 1 BetrVG unterliegt. Dem kann der Arbeitgeber zum einen dadurch begegnen, indem er im Hinblick auf sensible Informationen individuelle Verschwiegenheitserklärungen von einzelnen Betriebsratsmitgliedern einfordert.
Zum anderen sollten Arbeitgeber im Blick behalten, dass die Einzelheiten einer Betriebsänderung durchaus der Geheimhaltungspflicht unterfallen können. Hier ist stets eine genaue Prüfung notwendig, ob Tatsachen geeignet sind, die Geheimhaltungspflicht nach § 79 Abs. 1 BetrVG auszulösen. Sollte dies der Fall sein, muss der Arbeitgeber die geheim zu haltende Tatsache gegenüber dem Betriebsrat so konkret wie möglich bezeichnen. Zudem ist es erforderlich, die Tatsache zu einem sog. „formellen Geheimnis“ zu erklären. Dies bedeutet, der Arbeitgeber muss den Betriebsrat ausdrücklich darauf hinweisen, dass er die betreffende Angelegenheit als „geheim“ ansieht.
Missachtet ein Betriebsratsmitglied in diesem Falle die Geheimhaltungspflicht, kann der Arbeitgeber erwägen, nach § 120 Abs. 1 und 3 BetrVG (Strafantrag) vorzugehen. Zudem ist das Ausschlussverfahren nach § 23 Abs. 1 BetrVG zu prüfen. Werden zugleich Plichten aus dem Arbeitsvertrag verletzt, kommen arbeitsrechtliche Sanktionen bis hin zur außerordentlichen Kündigung in Betracht.