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Massenentlassung

Massenentlassungsanzeige: Neue Stolpersteine

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Massenentlassungsanzeige

Kaum jemand hätte wohl je für möglich gehalten, dass man sich eines Tages nach dem „gewohnten“ Formular zur Anzeige von Massenentlassungen der Agentur für Arbeit zurücksehnen würde. Doch mit Veröffentlichung eines neuen Formulars scheint der Zeitpunkt gekommen. Ende 2016 gab die Bundesagentur für Arbeit neue Formulare für die Massenentlassungsanzeige nach § 17 KSchG heraus. Eine Vielzahl von Änderungen im Detail (zwei Formulare statt einem; 1286 Berufsklassen statt 144 Berufsgruppen) wäre das Eine – jedoch bringt das neue Formular auch zusätzliche rechtliche Schwierigkeiten mit sich.

Berufsgruppen vs. Berufsklassen

Auffälligster Unterschied zwischen altem und neuem Formular: Die Anlage zum Formular, in dem die Berufsgruppen der zu entlassenden und der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer anzugeben waren, entfällt. Auch die bisherige Unterscheidung nach männlichen und weiblichen Mitarbeitern sowie Angestellten und Arbeitern ist nicht mehr vorgesehen. Stattdessen sieht Ziffer 31 des neuen Formulars eine Tabelle mit sog. „Berufsklassen“ vor und verweist auf die systematische Klassifikation der Berufe „KldB 2010“.

Die neuen Berufsklassen entsprechen den ersten fünf Stellen des neunstelligen Tätigkeitsschlüssels, den Arbeitgeber im Rahmen der DEÜV-Meldung ohnehin an die Sozialversicherungsträger melden müssen. Die früheren 144 Berufsgruppen entsprachen den ersten drei Stellen dieses Tätigkeitsschlüssels.

Es stellt sich allerdings die Frage, ob es die Agentur für Arbeit in Hand hat, mit einem neuen Formular die gesetzlichen Anforderungen an die Wirksamkeit einer Massenentlassungsanzeige zu ändern. Eine wirksame Anzeige erfordert gemäß § 17 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, 3 und Abs. 3 S. 1 KSchG die Angabe der Zahl und der Berufsgruppe der zu entlassenden sowie der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer. Eine gesetzliche Definition des in § 17 Abs. 2 KSchG verwendeten Begriffs „Berufsgruppen“ fehlt jedoch.

In der Praxis wurde bislang auf die in der Anlage zum Formular vorgesehenen, wenig aussagekräftigen 144 Berufsgruppen von „Unteroffiziere mit Portopee“ bis „Museumstechnik &
-management“ zurückgegriffen. Diese waren so allgemein, dass einzelne Arbeitnehmer regelmäßig nicht identifizierbar waren. Nunmehr sind detaillierte Angaben zu machen und Arbeitgeber, die die Berufsklassen angeben, sind laut Agentur für Arbeit an diese Angaben gebunden.

Verzichtet ein Arbeitgeber auf die Angabe der Berufsklasse und stellt sich auf den Standpunkt, dass das Gesetz nach seinem Wortlaut lediglich die Angabe der Berufsgruppe verlange, ist in der Praxis stets zu besorgen, dass die Anzeige durch den zuständigen Sachbearbeiter wegen angeblicher Unvollständigkeit zurückgewiesen wird.


30 Tage vs. 90 Tage

Die Agentur für Arbeit verlangt unter Ziffer (richtig: Nummer) 31 Angaben zu den Kündigungen/Entlassungen innerhalb der nächsten 30 Kalendertage. Sie behauptet weiter, dass alle Kündigungen, die weiter in der Zukunft liegen, gesondert anzuzeigen seien. Dies ist nicht nur irreführend, sondern schlicht falsch und wäre im Übrigen auch impraktikabel.

Richtig ist, dass es für die Frage des Schwellenwerts, d.h. ob überhaupt eine Massenentlassung vorliegt, auf einen Zeitraum von 30 Tagen (berechnet für jede Entlassung) ankommt. Der Arbeitgeber hat aber nach einer erstatteten Massenentlassungsanzeige mindestens 90 Tage Zeit, die Entlassungen durchzuführen, d.h. die Kündigungen auszusprechen (sog. „Freifrist“). Dies ergibt sich unmittelbar aus § 18 Abs. 4 KSchG. Die 90-Tages-Frist beginnt mit Ablauf der Sperrfrist, d.h. in der Regel nach einem Monat nach Eingang der Anzeige bei der Agentur für Arbeit.

Wurde bis zum Ablauf der Freifrist von der Möglichkeit der Kündigung kein Gebrauch gemacht, muss eine erneute Anzeige erstattet werden, sofern wiederum die Schwellenwerte überschritten werden.

Beim Ausfüllen des Formulars ist zudem nach der neusten Rechtsprechung darauf zu achten, Arbeitnehmer mit Sonderkündigungsschutz mit in die Anzeige aufzunehmen, auch wenn die ihnen gegenüber auszusprechenden Kündigungen aufgrund eines behördlichen Zustimmungsverfahrens nicht in den 30-Tages-Zeitraum des § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG fallen (s. hierzu kürzlich der Beitrag von Dr. Alexa Paehler). Ein Hinweis hierauf fehlt im Formular der Agentur der Arbeit (noch).

Betriebsbegriff

Das neue Formular unterscheidet richtigerweise künftig zwischen „Betrieb“ und „Unternehmen“ und fordert auch nicht mehr die Angabe „Haupt“- oder „Zweigbetrieb“. Im Übrigen sind die Hinweise der Agentur für Arbeit hinsichtlich des Betriebsbegriffs aber irreführend:

Die Bundesagentur für Arbeit verweist in ihrem ebenfalls neu veröffentlichen Merkblatt darauf, dass (nach ihrer Auffassung) Voraussetzung für einen Betrieb eine Organisationsstruktur einschließlich arbeitstechnischer Leitung, wie etwa einer Filialleitung, sei. Gleichzeitig bietet sie im Formular unter Ziffer 22 auf die Frage, ob der Betrieb, für den die Anzeige erstattet wird, eine arbeitstechnische Leitung hat, wie etwa eine Filialleitung, auch die Antwortmöglichkeit „nein“. Welche Logik sich dahinter verbirgt, ist unklar.

Tatsächlich ist der Betriebsbegriff des § 17 KSchG zunehmend unionsrechtlich geprägt und stellt inzwischen weniger auf die Leitung in personellen und sozialen Angelegenheiten als auf die wirtschaftliche Einheit ab.

Entlassung vs. Kündigung

Problematisch ist auch, dass im neuen Formular zum Teil von Kündigungen statt von Entlassungen die Rede ist. Zwar wird gleichzeitig darauf hingewiesen, dass auch Aufhebungsverträge hierzu zählen, die Erläuterungen dazu sind jedoch wenig hilfreich. So käme es folgt man den Erläuterungen auf den Zeitpunkt an, an dem ein Aufhebungsvertrag angeboten werden soll. Richtigerweise muss jedoch auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Aufhebungsvertrags abgestellt werden, d.h. auf den Zeitpunkt der letzten Unterschrift.

Darüber hinaus bleibt auch unerwähnt, dass auch arbeitgeberseitig veranlasste Eigenkündigungen Entlassungen im Sinne des § 17 KSchG darstellen.

Fazit

Dass der praktische Aufwand einer Massenentlassung zum eigentlichen vom Gesetzgeber vorgesehenen Zweck nicht mehr in Verhältnis steht, ist seit langem Konsens. Die Praxis wird sich dennoch an den neuen Vorgaben zu orientieren haben und dabei sowohl die praktische Handhabung (gegenüber der Agentur für Arbeit) als auch die rechtliche Absicherung (Erfüllung der Anforderungen des § 17 KSchG) unter einen Hut bringen müssen.

Vertiefungshinweise:

Mehr zu Stolperfallen bei der Massenentlassung lesen Sie in den Beiträgen von Christoph Crisolli (hier und hier) sowie Dr. Sebastian Bröckner (hier) sowie zur Berücksichtigung von Elternzeitlern bei der Massenentlassung den Beiträgen von Dr. Alexa Paehler (hier und hier), bereits veröffentlicht auf diesem Blog.

KLIEMT.Arbeitsrecht




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