In der Praxis kommt immer wieder vor, dass Arbeitnehmer im Rahmen von Umstrukturierungen gekündigt werden, bevor ein Interessenausgleich und Sozialplan abgeschlossen wurde. Hierzu kann es beispielsweise dann kommen, wenn Interessenausgleichsverhandlungen nach wochen- oder gar monatelangen Verhandlungen für gescheitert erklärt werden. In diesem Fall können die gekündigten Arbeitnehmer nach § 113 BetrVG gerichtlich einen Anspruch auf Zahlung einer Abfindung geltend machen (sog. Nachteilsausgleich). Wird anschließend doch noch (etwa in einer Einigungsstelle) ein Interessenausgleich und Sozialplan abgeschlossen, so stellt sich die Frage, ob diesen Arbeitnehmern dann zusätzlich noch eine Abfindung nach dem Sozialplan zusteht. Dies wird vom BAG in ständiger Rechtsprechung mit der Begründung verneint, Sozialplanabfindung und Nachteilsausgleich seien verrechenbar. In seiner aktuellen Entscheidung hat sich das BAG dabei erstmals ausführlich mit der Vereinbarkeit mit Unionsrecht auseinandergesetzt (Urt. v. 12.2.2019 – 1 AZR 279/17).
Worum ging es in dem Fall?
Die beklagte Arbeitgeberin fasste den Entschluss, den Betrieb, in dem der klagende Arbeitnehmer beschäftigt war, stillzulegen. Sie unterrichtete den Betriebsrat über die damit verbundene Massenentlassung. Noch bevor die Betriebsparteien in einer Einigungsstelle über einen Interessenausgleich verhandeln konnten, kündigte die Beklagte sämtlichen in dem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmern. Nach Rücknahme der gegen die Kündigung erhobenen Kündigungsschutzklage erstritt der Kläger vor dem ArbG und LAG einen Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 1 und Abs. 3 BetrVG in Höhe von rund 16.000,- €. Diesen zahlte die Beklagte in vier Raten an den Kläger aus. Vor Zahlung der vierten Rate vereinbarte die Beklagte mit dem Betriebsrat einen Sozialplan. Nach diesem Sozialplan steht dem Kläger eine Abfindung in Höhe von 9.000,- € zu. Nachdem die Beklagte die Zahlung der Sozialplanabfindung an den Kläger unter Hinweis auf den gezahlten Nachteilsausgleich abgelehnt hatte, machte der Kläger diese gerichtlich geltend. Seine Klage hatte indes keinen Erfolg.
Die Entscheidung des BAG: Abfindungen aufgrund eines Sozialplans und aufgrund eines gesetzlichen Nachteilsausgleichs sind verrechenbar
Nach Auffassung des BAG habe die Beklagte mit der Zahlung des Nachteilsausgleichs an den Kläger auch dessen Anspruch auf Sozialplanabfindung erfüllt. Zwischen beiden Ansprüchen bestehe – zumindest teilweise – Zweckidentität. Da die letzte Rate des Nachteilsausgleichs nach Zustandekommen des Sozialplans und damit nach Entstehen des Abfindungsanspruchs gezahlt wurde, können die Ansprüche im Wege der Erfüllungswirkung gem. § 362 Abs. 1 BGB miteinander verrechnet werden.
Welche Zwecke verfolgen Sozialplan einerseits und Nachteilsausgleich andererseits?
Ein Sozialplan dient nach § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG dem Ausgleich oder der Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die den Arbeitnehmern infolge der Betriebsänderung entstehen.
Der Nachteilsausgleich nach § 113 BetrVG verfolgt gleich mehrere Zwecke: Er sanktioniert das betriebsverfassungswidrige Verhalten des Arbeitgebers und dient der Prävention und Sicherstellung der Wahrung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats. Darüber hinaus stellt er eine Entschädigung für Arbeitnehmer dar, die infolge der unternehmerischen Maßnahme ihren Arbeitsplatz verlieren oder sonstige wirtschaftliche Nachteile erleiden. Damit erfüllt er jedenfalls auch die Zwecke, die ein Sozialplan verfolgt.
Aufgrund dieser – zumindest teilweisen – Zweckidentität komme der Zahlung des Nachteilsausgleichs nach Auffassung des BAG von Rechts wegen Erfüllungswirkung auch für einen Anspruch auf Sozialplanabfindung zu.
Kein Verstoß gegen EU-Recht
Den Einwand des Klägers, die Beklagte habe das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG nicht ordnungsgemäß durchgeführt, so dass eine Verrechnung aufgrund Art. 6 der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20.7.1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (MERL) ausgeschlossen sei, wies das BAG mit überzeugender Begründung zurück.
Nach Art. 6 MERL sind die Mitgliedstaaten zur Einrichtung von Verfahren verpflichtet, mit denen die Einhaltung der von der Richtlinie vorgesehenen Verpflichtungen gewährleistet werden kann. Nach der Rechtsprechung des EuGH müssen die Mitgliedstaaten darauf achten, dass die Verstöße gegen das Unionsrecht nach sachlichen und verfahrensrechtlichen Regeln geahndet werden, die denjenigen entsprechen, die für ähnliche Verstöße gegen nationales Recht gelten. Diese Sanktion muss wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.
Die MERL verlangt im Fall einer Massenentlassung die Durchführung eines Konsultationsverfahrens mit der Arbeitnehmervertretung. Dem entspricht das in § 17 Abs. 2 KSchG geregelte Konsultationsverfahren. Bei einem Verstoß ist die im Zusammenhang mit der Massenentlassungsanzeige erfolgte Kündigung nach § 134 BGB unwirksam. Mit dieser Unwirksamkeit existiere nach Auffassung des BAG eine Rechtsfolge, die eine wirksame Sanktion i.S.d. Art. 6 MERL darstelle. Eine Geldentschädigung für Verstöße gegen die Konsultationspflicht sei weder geboten noch adäquat, da sie den Ausspruch von Kündigungen vor Abschluss des Konsultationsverfahrens nicht effektiv verhindern könne. Abgesehen davon seien unterschiedliche Sanktionen für Verstöße im Rahmen des Konsultationsverfahrens – Unwirksamkeit der Kündigung einerseits und Geldentschädigung andererseits – ohnehin nicht zu rechtfertigen.
Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung des BAG verdient Zustimmung. Arbeitgeber, die eine Abfindung aufgrund des gesetzlichen Nachteilsausgleichs an einen Arbeitnehmer zahlen, müssen nicht befürchten, zusätzlich aus einem Sozialplan in Anspruch genommen zu werden. Denn mit der Zahlung des Nachteilsausgleichs werden gleichzeitig etwaige Ansprüche aus einem späteren Sozialplan erfüllt.