Die Untersuchung von Compliance-Verstößen ist leider keine „Kür für bessere Zeiten“. Auch und gerade in Pandemiezeiten trifft jedes Unternehmen die Pflicht, Hinweise auf regelwidriges Verhalten zu untersuchen und abzustellen. Internen Ermittlern begegnen dabei neue Herausforderungen, unter anderem: Wie lässt sich ein Verdacht bitte aufklären, wenn keiner im Betrieb ist?
Erhöhte Compliance-Risiken in Pandemiezeiten
Das generelle Risiko für Compliance-Verstöße im eigenen Unternehmen ist zu Pandemiezeiten stark gestiegen. Grund hierfür sind nicht nur viele verschiedene neue gesetzliche Regelungen, sondern auch die schlagartige Veränderung der Arbeitswelt. Vorn mit dabei sind Themen wie Kurzarbeit, Arbeitszeit, Gesundheitsmanagement und Datenschutz, derer sich Geschäftsleitungen dringend annehmen mussten (im schlechteren Fall: noch müssen), um Risiken vom Unternehmen und schließlich von sich selbst abzuwenden. Wir berichteten im vergangenen Jahr zu „Compliance im Ramp-up“.
Untersuchungspflicht gilt auch unter „erschwerten Bedingungen“
Geht ein Hinweis auf mögliche Compliance-Verstöße im Unternehmen ein, ist die Unternehmensleitung rechtlich und tatsächlich verpflichtet, diesem Hinweis nachzugehen. Typischerweise findet dann sehr zeitnah nach Eingang des Hinweises eine interne Ermittlung statt. Diese Untersuchungspflicht duldet auch (oder gerade) in Pandemiezeiten keinen Aufschub, insbesondere ist im Falle einer Betriebsprüfung oder gar staatsanwaltlichen Ermittlung kein „Pandemiebonus“ zu erwarten. Die Compliance-Abteilung bzw. die von ihr beauftragten interne Ermittler sind stattdessen gefragt, sich an die „erschwerten Bedingungen“ anzupassen.
Ermittlungsmethoden auf „Remote“ umstellen
Damit die interne Untersuchung zum Ziel führt, auch wenn pandemiebedingt kein Mitarbeiter oder nur wenige Teile der Belegschaft im Betrieb sind, hat es in der Praxis bewährt, Ermittlungsmethoden auf eine „Remote Investigation“ umzustellen. Teilweise sind hierfür bestimmte Voraussetzungen und betriebliche Regelungen erforderlich, die idealerweise geschaffen wurden, bevor es zum Ermittlungsfall kommt. In Vorbereitung auf eine (mögliche) Ermittlung sowie bei der Durchführung ist insbesondere an folgendes zu denken:
- E-Search trotz Home Office: Kaum eine (größere) Ermittlung kommt ohne E-Search aus. Nutzt der Mitarbeiter eigene Geräte oder speichert Daten auf eigenen Servern ab, wird das sehr schwierig. Nicht nur dürfte ein Herausgabeverlangen schwer durchzusetzen sein, auch wird es in der Regel an einer Einwilligung für die Verarbeitung (Auswertung) der auf dem privaten Gerät gespeicherten Daten fehlen. Fazit: Mitarbeiter sollten auch im Home Office nur auf Firmengeräten bzw. -servern arbeiten und speichern, und zwar ausschließlich für berufliche Zwecke.
- Durchsuchung am Arbeitsplatz: Bestandteil einer „normalen“ Ermittlung ist unter anderem auch die Durchsuchung des Arbeitsplatzes im Betrieb. Schwieriger wird es, wenn der Mitarbeiter seinen Arbeitsplatz pandemiebedingt oder dauerhaft zuhause hat. Zwar kann der Arbeitgeber ein Zutrittsrecht geltend machen, dagegen steht jedoch stets der verfassungsrechtlich geschützte Wohnraum des Mitarbeiters. Eine Verhältnismäßigkeitsabwägung dürfte nur in gut begründeten Fällen zugunsten des Arbeitgebers ausfallen und im schlechten Fall sogar zu Beweisverwertungsverboten führen. Fazit: Das Zutrittsrecht sollte in der vertraglichen Vereinbarung zur Remote-Arbeit geregelt und im konkreten Fall gut begründet werden.
- Mitarbeiterbefragung „auf Abstand“: Mitarbeiterbefragungen in Form eines Personalgesprächs sind bei internen Ermittlern beliebt. Jedenfalls bis zum Inkrafttreten des Verbandssanktionengesetzes (siehe hierzu unseren Beitrag „Ende des Personalgesprächs bei internen Ermittlungen“) eignet sich dieser Weg für Ermittler, um einen Verdacht durch eigene Beobachtungen und Aussagen des befragten Mitarbeiters auszuermitteln. Geht das auch von zuhause? Fazit: Ja. Ein Personalgespräch ist auch „remote“ denkbar, insbesondere wenn Mitarbeiter ohnehin mit virtuellen Treffen vertraut sind. Es sollte für beide Seiten transparent sein, wer bei dem Gespräch mithören kann, ob es aufgezeichnet wird, welchen Gegenstand das Interview hat und ob gezeigte Dokumente zur Verfügung gestellt können.
- Einbeziehung von Arbeitnehmervertretern: Arbeitnehmervertreter sind in verschiedenen Stadien einer internen Ermittlung einzubeziehen, u.a. vor Durchführung einer E-Search aber auch bei der Befragung von Mitarbeitern. Häufig sehen Betriebsvereinbarungen sogenannte „4-Augen-Termine“ oder die physische Teilnahme von Arbeitnehmervertretern an Mitarbeitergesprächen vor. Geht das auch „remote“? Fazit: Arbeitnehmervertreter lassen sich bei einer „remote“ Untersuchung ebenso gut einbeziehen wie „live“ im Betrieb. Empfehlenswert sind entsprechende Gestaltungen oder Ergänzungen von Betriebsvereinbarungen. Und natürlich ein technisch gut ausgestatteter und geübter Betriebsrat.
Remote Investigations als neuer Standard?
Dass sich die „Ermittlungen aus der Ferne“ als neuer Standard in der Compliance-Praxis etablieren wird, ist eher unwahrscheinlich. Fest steht jedoch, dass sich auch unter den aktuellen Bedingungen die Anforderungen an eine pflichtgemäße Compliance-Organisation (und damit auch an eine effiziente Ermittlung) nicht etwa gelockert haben. Im Gegenteil: Mit gestiegenen Haftungsrisiken und neuen gesetzlichen Vorgaben sind sowohl die Risiken für die Geschäftsführung als auch die Herausforderungen für die Compliance-Organisation noch gestiegen. Zielführende Ermittlungen verlangen deshalb eine rasche und durchdachte Umstellung auf „Remote“-Methoden, um das Unternehmen aus der Compliance-Falle zu führen.
Hinweis weiterführende Literatur: Naber/Ahrenz, CB 2020, 465