Der Betriebsrat kann die Einigungsstelle anrufen, wenn zwischen ihm und dem Arbeitgeber Meinungsverschiedenheiten über die Berechtigung einer Beschwerde von Arbeitnehmern herrschen. Bekanntlich gilt das aber nicht, wenn der Beschwerde ein Rechtsanspruch zugrunde liegt. Rechtsansprüche gehören vor die Arbeitsgerichte – ausnahmslos?
Was ist, wenn der Rechtsanspruch seinerseits „schwer konkretisierbar“ ist oder der Arbeitgeber einen Entscheidungsspielraum für eine Abhilfeentscheidung hat – und die innerbetriebliche Konfliktlösung damit sinnvoller erscheint? Das LAG Köln hatte kürzlich (Beschluss vom 6.8.2021 – 9 TaBV 26/21) über diese Abgrenzungsfrage zu entscheiden.
Worum ging es?
Anlässlich einer Beschwerde der Bürokraft des Betriebsrats beantragte dieser die Anrufung der Einigungsstelle. Die Bürokraft fühlte sich ungerecht behandelt und beeinträchtigt, da sie im Falle einer Erkrankung die Personalabteilung vor Dienstbeginn über ihre Erkrankung zu unterrichten habe. So müsse sie in einer Situation, in der sie ohnehin bereits gesundheitlich beeinträchtigt sei, zwei Stellen im Betrieb kontaktieren. Denn den Betriebsratsvorsitzenden habe sie in jedem Fall zu informieren, da er die Arbeit im Betriebsratsbüro erforderlichenfalls umorganisieren müsse.
Das Arbeitsgericht gab dem Antrag des Betriebsrats im Einigungsstellenbesetzungsverfahren statt. Die Beschwerde des Arbeitgebers vor dem LAG Köln hatte hingegen Erfolg.
Die Entscheidung des LAG Köln
Die Einigungsstelle sei für die Behandlung der Beschwerde der Bürokraft offensichtlich unzuständig. Der Beschwerde liege ein Rechtsanspruch zugrunde, den die Einigungsstelle nach § 85 Abs. 2 Satz 3 BetrVG nicht behandeln dürfe. Denn dem Arbeitgeber sollte zumindest für die Zukunft die Befugnis genommen werden, der Bürokraft entsprechende Weisungen bei Arbeitsunfähigkeit aufzuerlegen. Die Einigungsstelle sollte also ggf. gegen die Stimme des Arbeitgebers bindend festlegen, dass sich die Bürokraft im Krankheitsfall nicht vor Dienstbeginn bei einer vom Arbeitgeber benannten Stelle melden müsse. Damit würde das Recht des Arbeitgebers, diese Stelle bestimmen zu können, ausgeschlossen. Auch die Frage, ob die Arbeitsunfähigkeit vor Dienstbeginn anzuzeigen sei oder ob eine Anzeige in den ersten Arbeitsstunden noch „unverzüglich“ iSv. § 5 Abs. 1 EFZG sei, wäre einer gerichtlichen Überprüfung entzogen. Entscheidend sei auch nicht, ob der Rechtsanspruch „schwer konkretisierbar“ sei oder nicht. Denn ob Arbeitgeberpflichten „schwer konkretisierbar“ seien, lasse sich regelmäßig nicht anhand objektiver Kriterien ermitteln, sondern hänge weitgehend von der subjektiven Einschätzung des Gerichts ab.
Gegenteilige Rechtsprechung des LAG Hessen
Das LAG Köln ist damit anderer Ansicht als bspw. das LAG Hessen (Beschluss vom 16.5.2017 – 4 TaBV 75/17). Nach der ständigen Rechtsprechung des LAG Hessen sei der Begriff „Rechtsanspruch“ dann eingeschränkt auszulegen, wenn es in der Beschwerde um einen Anspruch gehe, der auf regelmäßig nur schwer konkretisierbaren Pflichten des Arbeitgebers beruhe – etwa dessen Fürsorgepflicht oder dessen Verpflichtung zur Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes und zur Wahrung billigen Ermessens. Anderenfalls könne das Mitbestimmungsrechts nach § 85 BetrVG leerlaufen, denn jedes Verhalten des Arbeitgebers sei letztlich an den unbestimmten Rechtsbegriffen der Fürsorgepflicht, des billigen Ermessens oder der Gleichbehandlung messbar.
Fazit
Die Entscheidung des LAG Köln verdient Zustimmung. Bei einer justiziablen Angelegenheit scheidet die Anrufung der Einigungsstelle aus. Die Frage, wen ein Arbeitgeber als Adressaten einer Arbeitsunfähigkeitsmeldung benennt, ist problemlos justiziabel – und gehört damit vor die Arbeitsgerichte. Dasselbe gilt für die Frage des Zeitpunkts der Meldung. In der Praxis besteht Rechtsunsicherheit, da der Begriff des „Rechtsanspruchs“ im Sinne von § 85 Abs. 2 Satz 3 BetrVG von der Rechtsprechung nicht einheitlich ausgelegt wird.