Ein Aufhebungsvertrag ist unwirksam, wenn er unter Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns zustande gekommen ist. Diesen Grundsatz hat das BAG im Jahr 2019 aufgestellt. Seitdem fragt sich die Praxis: Wann genau liegt ein solcher Verstoß vor? Dies war angesichts der vom BAG sehr allgemein formulierten Voraussetzungen weitgehend unklar. Eine neue Entscheidung des BAG gibt der Praxis wertvolle Hinweise und tritt einer ausufernden Anwendung dieses Gebots entgegen.
Was können Arbeitnehmer tun, die sich von einem abgeschlossenen Aufhebungsvertrag lösen möchten? Ein gesetzliches Widerrufsrecht steht ihnen nicht zu. Auch für eine Anfechtung wegen Irrtums, arglistiger Täuschung oder widerrechtlicher Drohung bestehen hohe Hürden. Viele Arbeitnehmeranwälte greifen in solchen Fällen daher zu einem neuen Wundermittel: Dem Gebot fairen Verhandelns. Seit das BAG diese Rechtsfigur im Jahr 2019 „erfunden“ hat (siehe unseren Beitrag vom 12.2.2019), mussten sich bereits viele Arbeitsgerichte hiermit befassen – mit teilweise sehr unterschiedlichen Ergebnissen.
In der Praxis hat dies für erhebliche Verunsicherung gesorgt. Sind nur recht ungewöhnliche Fälle wie der aus dem damaligen Fall des BAG erfasst (Arbeitgeber besucht kranken Arbeitnehmer zu Hause und „überrumpelt“ den durch die Krankheit geschwächten Arbeitnehmer mit einem Aufhebungsvertrag)? Oder greift die Rechtsprechung auch für eher typische Konstellationen? Wann ist ein Überraschungseffekt eine unzulässige Überrumpelung? Die Entscheidung des BAG vom 24.2.2022 zeigt: Vieles wird nicht so heiß gegessen, wie es in der arbeitsrechtlichen Diskussion gekocht wird (siehe zur Vorinstanz unseren Beitrag vom 30.8.2021).
Das Gebot fairen Verhandelns
Das Gebot fairen Verhandelns wird – so das BAG im Jahr 2019 – missachtet, wenn die Entscheidungsfreiheit des Vertragspartners in zu missbilligender Weise beeinflusst wird. Dabei betont das BAG, es komme auf die konkrete Situation im jeweiligen Einzelfall an. Vom BAG genannte Beispiele sind:
- Die Schaffung besonders unangenehmer Rahmenbedingungen, die erheblich ablenken oder sogar den Fluchtinstinkt wecken.
- Die Ausnutzung einer objektiv erkennbaren körperlichen oder psychischen Schwäche oder unzureichender Sprachkenntnisse.
- Überrumpelung
Angesichts dieser Häufung unbestimmter Rechtsbegriffe verwundert die in der Praxis verbreitete Unsicherheit nicht.
Der Fall des BAG vom 24.2.2022
Gelegenheit, etwas höchstrichterliches Licht ins Dunkel zu bringen bot dem BAG ein Fall, wie er sich so oder so ähnlich vielfach abspielt: Eine Arbeitnehmerin wurde in das Büro des Geschäftsführers ihrer Arbeitgeberin gerufen. Dort wartete neben dem Geschäftsführer auch der Rechtsanwalt der Arbeitgeberin. Sie warfen ihr vor, sie habe unberechtigt Einkaufspreise in der EDV der Arbeitgeberin abgeändert bzw. reduziert, um so einen höheren Verkaufsgewinn vorzuspiegeln.
Die Arbeitnehmerin unterzeichnete nach einer etwa zehnminütigen Pause, in der die drei anwesenden Personen schweigend am Tisch saßen, den von der Arbeitgeberin vorbereiteten Aufhebungsvertrag. Dieser sah eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum Monatsende (d.h. acht Tage nach dem Gespräch) vor. Weitere Einzelheiten waren strittig. Die Arbeitnehmerin behauptete: Ihr sei für den Fall der Nichtunterzeichnung des Aufhebungsvertrags die Erklärung einer außerordentlichen Kündigung sowie die Erstattung einer Strafanzeige in Aussicht gestellt worden. Ihrer Bitte, eine längere Bedenkzeit zu erhalten und Rechtsrat einholen zu können, sei nicht entsprochen worden.
Die Arbeitnehmerin erklärte die Anfechtung des Aufhebungsvertrags und machte den Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses gerichtlich geltend. Der Aufhebungsvertrag sei u.a. deshalb unwirksam, weil die Arbeitgeberin gegen das Gebot fairen Verhandelns verstoßen habe. Das Arbeitsgericht Paderborn hat ihrer Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht Hamm (siehe unseren Blogbeitrag vom 30.8.2021) hat die Klage dagegen auf die Berufung der Beklagten abgewiesen.
Die Entscheidung des BAG
Das BAG bestätigte die Entscheidung des LAG Hamm. Der Aufhebungsvertrag sei auch dann wirksam, wenn die Sachverhaltsdarstellung der Arbeitnehmerin zutreffend sein sollte. Ein Anfechtungsgrund bestehe nicht. Ein verständiger Arbeitgeber habe im vorliegenden Fall sowohl die Erklärung einer außerordentlichen Kündigung als auch die Erstattung einer Strafanzeige ernsthaft in Erwägung ziehen dürfen. Daher sei eine Drohung mit diesen Schritten auch keine widerrechtliche Drohung im Sinne des § 123 BGB. Auch ein Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns liege nicht vor. Die Entscheidungsfreiheit der Klägerin sei nicht dadurch verletzt, dass die Beklagte den Aufhebungsvertrag (entsprechend § 147 Abs. 1 Satz 1 BGB) nur zur sofortigen Annahme unterbreitet hat und die Klägerin über die Annahme deswegen sofort entscheiden musste.
Das Gebot fairen Verhandelns: Hier um zu bleiben
Das LAG Hamm hatte bereits grundsätzliche Zweifel am Gebot des fairen Verhandelns artikuliert und letztlich offen gelassen, ob diese Rechtsfigur überhaupt anzuerkennen sei. Diese grundsätzlichen Bedenken scheint das BAG in der (bislang nur als Pressemitteilung vorliegenden) Entscheidung nicht aufzugreifen. Vielmehr hält es – insoweit wenig überraschend – an seiner noch recht jungen Rechtsprechung hierzu fest.
Aber: Keine ausufernde Anwendung
Die Entscheidung zeigt aber, dass dieses Gebot vom BAG restriktiver gesehen wird als von Teilen der Instanzrechtsprechung (im konkreten Fall z.B. des erstinstanzlichen Gerichts). Für ein unfaires Verhandeln genügen demnach nicht:
- Eine fehlende vorherige Ankündigung des Gesprächsinhalts.
- Eine Überzahl auf Arbeitgeberseite (Zwei zu Eins Situation).
- Das Beisein eines anwaltlichen Vertreters auf Arbeitgeberseite, auch wenn die Arbeitnehmerin ihrerseits keine Möglichkeit hat, einen rechtlichen Beistand hinzuzuziehen.
- Die Bedingung, der Aufhebungsvertrag könne nur sofort unterzeichnet werden, sonst werde gekündigt („Pistole auf die Brust“). Dies gilt auch dann, wenn die Arbeitnehmerin hierdurch keine Bedenkzeit hat und ihr die erbetene Möglichkeit, Rechtsrat einzuholen, verwehrt wird.
Auch wenn die vollständigen Entscheidungsgründe abzuwarten bleiben (die ggf. weitere Erkenntnisse liefern werden) bleibt bereits jetzt festzuhalten: Diese Entscheidung wird in vielen rechtlichen Auseinandersetzungen der Arbeitgeberseite nützen.