In der Beraterbranche finden sich häufig Dienstleistungsverträge mit Ein-Personen-Kapitalgesellschaften. Eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung der für die Gesellschaft handelnde natürliche Person war in einer solchen Konstellation regelmäßig abzulehnen. Eine neue Entscheidung des Bundessozialgerichts (Pressemitteilung BSG, Urteil vom 20.07.2023, Az.: B 12 BA 4/22 R, Volltext liegt noch nicht vor) durchbricht diese Rechtssicherheit: Auch bei einem vertraglichen Dazwischenschalten einer Ein-Personen-Kapitalgesellschaft kann nun eine abhängige Beschäftigung der für diese handelnde natürliche Person anzunehmen sein.
Sachverhalt
Das Bundessozialgericht hatte in seiner Entscheidung vom 20.07.2023 über das Vorliegen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses in der Beraterbranche zu entscheiden. Die Rechtsvorgängerin der auftraggebenden Gesellschaft (im Folgenden: „Auftraggeberin“) beauftragte eine Unternehmergesellschaft (UG) (im Folgenden „Auftragnehmerin“) mit der Optimierung betrieblicher Strukturen und Unterstützung im Rahmen des Vertriebs. Dazu schlossen die Parteien einen befristeten Vertrag über eine freie Mitarbeit. Vertraglich geschuldet waren u.a. eine Analyse der Ist-Situation sowie Planung und Strategie des Vertriebs. Ziel war es, den Umsatz zu erhöhen bei gleichzeitiger Minimierung der Aufwendungen durch zielgerichtete Kundenpflege. Vereinbart waren drei Beratertage mit einem festen Tagessatz in Höhe von 500,00 EUR. Der einzige Gesellschafter und Geschäftsführer der Auftragnehmerin erbrachte die vertraglich geschuldeten Tätigkeiten persönlich, wie etwa die Kontaktpflege zu bestehenden und neuen Händlern. Seitens der Auftraggeberin wurden die jeweils vorgeschlagenen Maßnahmen lediglich auf Wirtschaftlichkeit und Plausibilität hin geprüft.
Kurzer Ausschnitt – Verfahrensgang
Die Deutsche Rentenversicherung Bund nahm eine sozialversicherungspflichtige abhängige Beschäftigung des Geschäftsführers der Auftragnehmerin an. Dieser Einschätzung folgte die erste und zweite Instanz. Mit der Revision rügte die Auftraggeberin die Annahme eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses. Das Dazwischenschalten der UG stehe dieser Annahme entgegen. Ein institutioneller Rechtsmissbrauch läge nicht vor; die UG sei nicht zur Vermeidung der Sozialversicherungspflicht gegründet worden. Der Geschäftsführer sei weder auf Weisungen hin tätig geworden noch in die Arbeitsorganisation der Auftraggeberin eingegliedert gewesen.
Bisherige Prüfung der Statusbeurteilung
Ob eine abhängige Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit vorliegt, ist anhand bestimmter Kriterien zu ermitteln (vgl. hierzu auch den Blogbeitrag vom 9. Juli 2019).
Eine abhängige Beschäftigung liegt stets bei einem persönlichen Abhängigkeitsverhältnis des Auftragnehmers vom Auftraggeber vor. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dieses regelmäßig bei Vorliegen der folgenden Kriterien anzunehmen:
- Eingliederung in den Betrieb
- Bestehen eines umfassenden Weisungsrechts des Auftraggebers gegenüber dem Auftragnehmer hinsichtlich Zeit, Ort, Dauer und Art der Ausführung der Tätigkeit
Demgegenüber sind nachfolgende Kriterien spezifisch für die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit:
- Tragen eines eigenen Unternehmerrisikos
- Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte
- Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft
- Eine im Wesentlichen freie Gestaltung von Tätigkeit und Arbeitszeit
Für die Abgrenzung zwischen selbstständiger Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung kommt es darauf an, welche Merkmale das Gesamtbild der zu beurteilenden Tätigkeit prägen. Entscheidend ist, welche Merkmale überwiegen. Um diese Merkmale im Einzelnen zu ermitteln, ging die Rechtsprechung bislang anhand einer bestimmten Prüfreihenfolge vor:
- Inhalt der zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarungen
- Änderungen der getroffenen Vereinbarungen (auch mündlich oder konkludent, soweit rechtlich zulässig)
- Kein Etikettenschwindel
- Zuordnung als abhängige Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit auf Grundlage des (wahren) Inhalts der Vereinbarungen zwischen den Parteien
- : Berücksichtigung besonderer Umstände, die zu einer abweichenden Beurteilung führen
Entscheidung des Bundessozialgerichts
Das Bundessozialgericht hat in diesem Fall eine abhängige Beschäftigung des Beraters angenommen.
Diese Entscheidung ist aus zwei Gründen beachtenswert:
- Die getroffenen Vereinbarungen zwischen den Parteien scheinen nicht mehr primäre Entscheidungsquelle zu sein.
- Das Tätigwerden einer für eine Ein-Personen-Kapitalgesellschaft handelnde Person kann eine sozialversicherungspflichtige abhängige Beschäftigung darstellen.
Das Bundessozialgericht stellt fest, dass primär die tatsächlichen Umstände nach einer Gesamtabwägung über das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung entscheiden. Die Abgrenzung richte sich nach dem Geschäftsinhalt, der sich aus den ausdrücklichen Vereinbarungen der Vertragsparteien und der praktischen Durchführung des Vertrags ergibt. Die von den Parteien gewählte Bezeichnung und/oder gewünschte Rechtsfolge ist dabei irrelevant. Stattdessen wird das Vertragsverhältnis anhand der tatsächlichen Umsetzung beurteilt. Überwiegen die Merkmale einer abhängigen Beschäftigung, unabhängig davon, ob der Berater selbst Vertragspartner ist oder im Namen einer Kapitalgesellschaft handelt, liegt eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vor. Das vertragliche Dazwischen-Schalten einer Ein-Personen-Kapitalgesellschaft ist also sozialversicherungsrechtlich ohne Bedeutung.
Ausblick
Die Entscheidungsgründe stehen noch aus. Aus der Pressemitteilung wird jedoch bereits deutlich, dass das Dazwischenschalten einer Ein-Personen-Kapitalgesellschaft nicht mehr zwangsläufig vor der Annahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung schützt. Unternehmen wie auch Berater sollten sich auf diese Entwicklung einstellen.