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Vergütung von Betriebsräten: Müssen Arbeitgeber (un)begrenzt nachzahlen?

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Wer sich wie wir aktuell mit der anstehenden Gesetzesnovelle zur Betriebsratsvergütung (Blogbeitrag vom 17.10.2023) und den Auswirkungen auf die arbeitsrechtliche Compliance auseinandersetzt, wird früher oder später auch an dieser Frage nicht vorbeikommen: Dürfen und müssen sich Arbeitgeber auf eine vertragliche Ausschlussfrist berufen, wenn ein Betriebsrat einen Anspruch wegen einer in der Vergangenheit zu gering bemessenen Vergütung geltend macht? Welche Rolle spielt § 242 BGB? Und das Strafrecht?

Ausgangspunkt: Begünstigungs- und Benachteiligungsverbot

Betriebsratsmitglieder dürfen nach § 78 S. 2 BetrVG wegen der Ausübung ihres Amtes weder besser noch schlechter behandelt werden als andere Arbeitnehmer. Eine rechtswidrige Begünstigung liegt vor, wenn das Betriebsratsmitglied sachgrundlos bessergestellt wird. Daraus folgt insbesondere, dass die tatsächliche Vergütung und ihre Entwicklung über die Amtszeit des Betriebsratsmitglieds im Vergleich zu Arbeitnehmern ohne Amt einerseits nicht zurückfallen (keine Benachteiligung) und andererseits maximal nur dieser entsprechen (keine Begünstigung) darf.

Folgen bei Verstoß gegen das Verbot

Verstößt der Arbeitgeber gegen das Begünstigungsverbot, kann er die überzahlten Beträge von dem betroffenen Betriebsratsmitglied gem. § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB zurückfordern. Dies gilt jedenfalls, soweit eine Rückforderung nicht gesetzlich, vertraglich oder aufgrund eines besonderen Vertrauensschutzes ausgeschlossen ist. Für den Arbeitgeber stellt sich zudem personalpolitisch die Frage, ob er auf die Rückzahlung verzichten kann oder er verpflichtet ist, seinen Anspruch geltend zu machen. Höchstrichterliche Rechtsprechung zu dem Thema steht noch aus. In vielen Fällen wird es jedoch vertretbar sein, dass der Arbeitgeber unter ausführlicher Dokumentation seiner Abwägungsentscheidung auf die Rückforderung verzichtet. (siehe dazu Giese/Schomburg, NJW 2022, 1415)

Spiegelbildlich stellt sich die Frage, welche Ansprüche eine Betriebsratsmitglied gegen seinen Arbeitgeber hat, wenn sich herausstellt, dass es (möglicherweise über Jahre) zu wenig Gehalt bekommen hat. In der Praxis wird sich der Arbeitgeber insbesondere auf die vertragliche Ausschlussklausel berufen wollen, um die Zahlung nicht grenzenlos vornehmen zu müssen. Das Betriebsratsmitglied könnte dann den Vergütungsnachzahlungsanspruch nur noch für den Zeitraum innerhalb der vertraglichen Ausschlussfrist geltend machen – üblicherweise also nur für die letzten drei oder sechs Monate. Für länger zurückliegende Kalendermonate wäre der Anspruch ausgeschlossen. Wird die fehlerhafte Vergütung erst nach langer Amtszeit festgestellt, kann es hier durchaus um erhebliche Summen gehen. Anlass genug für das betroffene Betriebsratsmitglied die Frage zu stellen, ob sich der Arbeitgeber in diesem Fall überhaupt zulässigerweise auf die Ausschlussfrist berufen darf.

Darf der Nachzahlungsanspruch begrenzt werden?

Der Anspruch des Betriebsratsmitglieds auf Vergütungsnachzahlung ist ein „Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis“, sodass die vertragliche Ausschlussklausel greift. Sinn und Zweck der Klausel sprechen ebenfalls dafür, alle Ansprüche – also auch Nachzahlungsansprüche des Betriebsrats – zu erfassen. Eingewandt werden könnte allerdings, dass eine Begrenzung durch die Ausschlussfrist die eingetretene Benachteiligung nicht „wiedergutmacht“. Und auch, dass in der Begrenzung wiederum eine strafbare Benachteiligung im Sinne des § 119 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG zu sehen sein könne. Beide Einwände tragen jedoch nicht:

  • Bei der strafbaren Betriebsratsbenachteiligung handelt es sich um ein Erfolgsdelikt. Mit Eintritt der Benachteiligung ist das gesamte tatbestandliche Unrecht verwirklicht. Dieses Unrecht kann auch durch Nachzahlung der geschuldeten Vergütung über den gesamten Zeitraum nicht nachträglich beseitigt werden.
  • Die strafbare Betriebsratsbenachteiligung ist auch kein Dauerdelikt. Der Unrechtsgehalt verstärkt sich weder mit der Aufrechterhaltung der Benachteiligung durch Nichtzahlen der Differenzvergütung, noch wird er geringer, wenn der Betriebsrat eine Nachzahlung erhält.
  • Beruft sich der Arbeitgeber auf die Ausschlussfrist, stellt dies wiederum auch keine neue Benachteiligung dar, wenn der Arbeitgeber auch mit anderen Arbeitnehmern Ausschlussfristen vereinbart hat und sich auf diese beruft.
Vertrauen geht vor?

Je nachdem wie lange das Unternehmen für die Bildung oder Überprüfung der Vergleichsgruppen und der Ermittlung der zulässigen Betriebsratsvergütung braucht, kann unter Umständen jedoch der Lauf der vertraglichen Ausschlussfrist wegen unzulässiger Rechtsausübung gemäß § 242 BGB gehemmt sein. Hieran sind allerdings derart strenge Anforderungen zu stellen, dass es in der Praxis kaum vorkommen dürfte. Die bloße arbeitgeberseitige Mitteilung darüber, dass das Unternehmen die zutreffende Vergütung ermittelt und prüft, dürfte insbesondere allein noch nicht ausreichen, um einen Vertrauenstatbestand zu schaffen. Erst dann, wenn der Arbeitgeber gegenüber dem betroffenen Betriebsratsmitglied erklärt oder durch sein sonstiges Verhalten zu erkennen gibt, dass die Prüfung nicht nur zukunfts- sondern auch vergangenheitsbezogen ist und er auch ohne eine gerichtliche Geltendmachung rückwirkend etwaige Vergütungsdifferenzen zahlen wird – und diese Darlegung dem Amtsträger vor Gericht gelingt – kann der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung greifen.

Begrenzung des Anspruchs sogar Pflicht!

Ein Verzicht auf die Ausschlussfrist und die grenzenlose Nachzahlung von Vergütung würde zum einen den Vorwurf einer Strafbarkeit wegen Begünstigung gegenüber Arbeitnehmern ohne Amt wecken, wenn sich der Arbeitgeber in anderen Fällen auf die Ausschlussfrist beruft. Zum anderen könnte die grenzenlose Nachzahlung den Vorwurf der Untreue gemäß § 266 StGB provozieren und sich verwirklichen, wenn der Verzicht auf die Ausschlussfrist pflichtwidrig war. Pflichtwidrig wäre ein Verzicht aber z.B. dann nicht, wenn begründete Zweifel an der Wirksamkeit der Ausschlussfrist bestehen und der Verzicht auf die Begrenzung im überwiegenden Unternehmensinteresse steht – z.B. weil die zu erwartenden Prozesskosten höher liegen als der streitige Betrag ausfällt.

Neues Gesetz: To-dos und Empfehlungen

Mit der anstehenden Gesetzesnovelle (Blogbeitrag vom 17.10.2023) wird das Thema Betriebsratsvergütung erneut in den Fokus rücken – und jenseits von prominenten Fällen und Unternehmen auch ganz „normale“ Arbeitgeber betreffen, bei denen eine Arbeitnehmervertretung existiert. Unabhängig vom Inkrafttreten der Novelle ist die Überprüfung der Methodik und tatsächlichen Gegebenheiten der Betriebsratsvergütung im Unternehmen unerlässlich für eine arbeitsrechtliche Compliance. Das bezieht sich je nach Ergebnis auch auf eine konsequente Rückforderung zu viel gezahlter oder eine Nachzahlung zu wenig gezahlter Vergütung, jeweils unter Berücksichtigung der Ausschlussfrist.

Mehr zum Thema lesen Sie in der NZA 2023, 1437 (Giese/Seker „Rechtswidrige Betriebsratsvergütung – Erfassen Ausschlussklauseln auch Nachzahlungsansprüche wegen zu niedriger Vergütung?“)

Katja Giese, LL.M.

Rechtsanwältin
Fach­an­wäl­tin für Arbeitsrecht / Attorney-at-Law (NY)
Partnerin
Katja Giese berät Arbeitgeber vor allem in Zusam­men­hang mit inter­na­tio­na­len Unter­neh­mens­trans­ak­tio­nen, der anschlie­ßenden Integration und Umstruk­tu­rie­run­gen. Sie verfügt außerdem über umfassende Erfahrungen im inter­na­tio­na­len Projektmanagement. Katja Giese ist zugelassen als Attorney-at-Law (NY) in den Vereinigten Staaten, wo sie Teile ihrer bisherigen beruflichen Laufbahn verbrachte. Besondere Branchenkenntnis besitzt sie im Technologiesektor.
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