Für das Arbeitsrecht fehlt in Deutschland ein Arbeitsgesetzbuch, in dem alle arbeitsrechtlichen Gesetze gebündelt sind. Stattdessen sind die für das Arbeitsverhältnis relevanten Regelungen in einer Vielzahl von Gesetzen vom Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz über das Bundesurlaubsgesetz, das Kündigungsschutzgesetz, das Bürgerliche Gesetzbuch bis hin zum Tarifvertragsgesetz verstreut. Außerdem hat die Arbeitsgerichtsbarkeit angesichts der zahlreichen unbestimmten Rechtsbegriffe und der fehlenden Kodifikation wichtiger Teile des Arbeitsrechts zum Teil eigene Rechtsregeln und Rechtsinstitute entwickelt. Aus diesen Gründen bestehen im deutschen Arbeitsrecht eine Vielzahl von Rechtsirrtümern, die per „Mund-zu-Mund-Propaganda“ weitergegeben, statt kritisch geprüft werden. Diese Blog-Serie (zu Teil 1) soll populäre Rechtsirrtümer unter die Lupe nehmen und aufdecken.
Arbeitsrechtliche Vorschriften sind für den Laien schwer auffindbar und zu durchschauen. Dies führt in nahezu allen Bereichen zu populären Rechtsirrtümern. Diese betreffen auch die Folgen eines Betriebsübergangs für die noch mit dem Betriebsveräußerer abgeschlossenen Arbeitsverträge. So hält sich hartnäckig das Gerücht, Arbeitsverträge würden nach einem Betriebsübergang nur noch für ein Jahr gelten. Hinsichtlich geleisteter Überstunden heißt es, diese seien immer zu bezahlen. Und schließlich müssten sich alle Arbeitnehmer vor Aufnahme einer Nebentätigkeit diese vom Arbeitgeber genehmigen lassen. Diese drei Rechtsirrtümer möchten wir in diesem zweiten Teil der Serie zu den populären Rechtsirrtümern vorstellen und aufklären.
Platz 12: Arbeitsverträge gelten nach einem Betriebsübergang nur noch für ein Jahr
Falsch! Der Erwerber eines Betriebs tritt in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein, wenn ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber übergeht. Daher gelten auch die Arbeitsverträge wie bisher weiter. Eine zeitliche Begrenzung besteht nicht. Der Erwerber wird so gestellt, als habe er den Arbeitsvertrag selbst abgeschlossen.
- § 613a BGB verbietet es einem Arbeitnehmer und dem Betriebserwerber allerdings nicht, nach einem Betriebsübergang einzelvertraglich eine Änderung der weitergeltenden Arbeitsbedingungen, wie bspw. die Wochenarbeitszeit oder die Vergütung, zu vereinbaren. Lediglich die anlässlich des Betriebsübergangs transformierten Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge, die nicht bereits kollektivrechtlich fortgelten, sind für die Dauer eines Jahres bestandsgeschützt. Für einzelvertragliche Regelungen gibt es keinen vergleichbaren Schutz. Deshalb können die Arbeitsvertragsparteien die einzelvertraglich geregelten Arbeitsbedingungen gleichermaßen vor und nach dem Betriebsübergang ändern. Der Erwerber und der Arbeitnehmer können also auch neue Arbeitsverträge abschließen, eine Verpflichtung besteht hierzu jedoch nicht.
Platz 11: Überstunden müssen immer bezahlt werden
Falsch! Es gibt keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz, nach dem jede Mehrarbeit oder jede dienstliche Anwesenheit außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit zu vergüten ist (BAG, Urteil vom 21.9.2011 – 5 AZR 629/10, NZA 2012, 145, 148). Erforderlich ist vielmehr eine Regelung im Arbeitsvertrag oder in einem auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifvertrag, aus der sich die Vergütungspflicht ergibt. Liegt eine solche ausdrückliche Regelung nicht vor, kann der Arbeitnehmer ggf. einen Anspruch auf § 612 Abs. 2 BGB stützen. Danach gilt eine Vergütung als stillschweigend vereinbart, wenn die Arbeitsleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Die nach § 612 Abs. 2 BGB erforderliche objektive Vergütungserwartung wird nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts zwar in weiten Teilen des Arbeitslebens gegeben sein. Da jedoch Überstunden nicht generell zu vergüten sind, ist die Vergütungserwartung stets anhand eines objektiven Maßstabs unter Berücksichtigung der Verkehrssitte, der Art, des Umfangs und der Dauer der Dienstleistung sowie der Stellung des Arbeitsgebers und des Arbeitnehmers zueinander festzustellen, ohne dass es auf deren persönliche Meinung ankäme. Darlegungs- und beweispflichtig für das Bestehen einer Vergütungserwartung ist der Arbeitnehmer.
Platz 10: Keine Nebentätigkeit ohne Genehmigung
Falsch! Möchte ein in der Privatwirtschaft tätiger Arbeitnehmer eine Nebentätigkeit aufnehmen, ist eine Genehmigung durch den Arbeitgeber nicht erforderlich. Der Arbeitnehmer ist jedoch verpflichtet, eine geplante Nebentätigkeit anzuzeigen, soweit durch die Ausübung der Nebentätigkeit die Interessen seines Arbeitgebers berührt werden können (BAG, Urteil vom 18.1.1996, NZA 1997, 41, 42). Ein Interessenkonflikt ist bspw. dann zu bejahen, wenn der Arbeitnehmer eine Wettbewerbstätigkeit aufnehmen will oder mit der zusätzlichen Ausübung einer beruflichen Nebentätigkeit die Grenzen des Arbeitszeitgesetzes überschreitet. Eine im Arbeitsvertrag vereinbarte Anzeigepflicht, wonach sämtliche Nebentätigkeiten dem Arbeitgeber anzuzeigen bzw. von diesem zu genehmigen sind, ist zulässig (BAG, Urteil vom 11.12.2001 – 9 AZR 464/00). Ein solcher Vorbehalt dient aber nur dazu, dem Arbeitgeber die Prüfung zu ermöglichen, ob die Ausübung der Nebentätigkeit betriebliche Interessen berühren könnte. Der Arbeitnehmer hat daher einen Anspruch auf die Genehmigung der Nebentätigkeit, wenn die betrieblichen Interessen der Nebentätigkeit nicht entgegenstehen (BAG, Urteil vom 11.12.2001, a.a.O.).
Achtung! Für Beamte ist gesetzlich angeordnet, dass diese vor Aufnahme einer Nebentätigkeit anders als die in der Privatwirtschaft tätigen Arbeitnehmer eine Genehmigung einholen müssen (§ 99 Bundesbeamtengesetz und ggf. die entsprechenden Vorschriften der Landesbeamtengesetze).
Fazit
Als Ergebnis lässt sich damit für den zweiten Teil der Serie zu populären Rechtsirrtümern im Arbeitsrecht festhalten, dass der Bestandsschutz nach einem Betriebsübergang differenziert zu sehen und die Geltung der Arbeitsverträge nach einem Betriebsübergang nicht auf ein Jahr befristet ist, dass Überstunden nicht immer zu vergüten sind und dass Nebentätigkeiten zwar anzeigepflichtig sein können, aber nicht zwingend einer Genehmigung bedürfen.