Unsere Beitragsreihe rund um ein agiles Transformationsprojekt beschäftigt sich heute mit den Herausforderungen, vor denen die betriebsverfassungsrechtlichen Partner stehen – rechtlich wie tatsächlich. Denn das Denken in „klassischen“ Strukturen funktioniert schlicht nicht, bedenkt man die Besonderheiten der agilen Arbeitswelt.
Die Agile Transformation verhandeln und umsetzen
Agil zu werden im Sinne einer Mitnahme- und Beteiligungskultur bedeutet für den Arbeitgeber, auch jenseits der streng juristischen Mitbestimmungsfragen den Wandel so denken zu müssen, dass die relevanten Mitbestimmungsorgane „abgeholt“ werden und das neue Konzept bestmöglich unterstützen.
Das ist durchaus herausfordernd, denken Betriebsräte doch genauso wie viele Arbeitgeber in den hergebrachten betriebsverfassungsrechtlichen Instrumenten und Verfahren.
Interessenausgleich „classic“ oder völlig neues Mitbestimmungsformat?
Dies beginnt bei der Frage, in welchem Format überhaupt die betriebsverfassungsrechtlichen Fragen thematisiert werden. Agile Organisationsformen setzen voraus, dass Vorgesetzte und Mitarbeiter sich selbst organisieren, eigenverantwortliche Strukturen schaffen und auch ständig anpassen. Können hier wie in einem „klassischen“ Interessenausgleich überhaupt Strukturen fixiert, nach Vollzeitarbeitsplätzen konkretisiert und mit detaillierten Angaben zu Funktionszuordnungen versehen werden?
Anders als bei einer klassischen Maßnahmenplanung „top down“ werden die agilen Organisationseinheiten häufig durch die verantwortlichen Führungskräfte zugeschnitten, abgegrenzt und mit Stellenprofilen bzw. Mitarbeitern befüllt. Hier steht die Maßnahmenplanung also nicht am Anfang einer Interessenausgleichsverhandlung, sondern läuft mit ihr parallel und wird in einem stetigen Austausch mit dem Betriebsrat verfeinert und aktualisiert.
Für den Arbeitgeber birgt dies ein Risiko: Wann liegt erstmals eine (einigungsstellenfähige) Maßnahmenplanung vor, wenn die Verhandlungen ins Stocken geraten? Und wie kann eine Stellenbesetzung von Führungskräften in der Neuorganisation erfolgen, wenn die Stellenbesetzung schon Maßnahmenumsetzung ist? Hier helfen u.A. ausdifferenzierte Verfahrensvereinbarungen.
Auf Seiten des Betriebsrats wiederum stellt sich die Frage, wie ein (ggf. erforderlicher) Sozialplan strukturiert werden kann, der Nachteile abdecken soll, welche im Einzelnen noch gar nicht in letzter Konsequenz absehbar sein können.
Organisationswechsel leicht gemacht?
Auch das schlichte „Umklappen“ einer Organisation von alt auf neu funktioniert in den seltensten Fällen. Wo IT-Einheiten schon heute in SCRUM und Projektarbeitsformen aktiv sind, wird sich relativ wenig verändern. Überall sonst aber verschieben sich Aufgaben, Verantwortlichkeiten und Berichtswege.
Arbeitgeber sind verständlicherweise daran interessiert, die bestmögliche Mannschaft an den Start zu bringen – die richtigen Skills also im Zielbild am richtigen Ort zu platzieren. Die Interaktion dieser Anforderung mit Sozialauswahlprozessen, internen Bewerbungs- und Stellenbesetzungsprozessen ist höchst komplex und bedarf einer sorgfältigen und strategisch durchdachten Lösung. Zudem bringt eine Neuverortung von Berichtswegen ihre ganz eigenen Herausforderungen, insbesondere wenn das zu transformierende Unternehmen in einer länderübergreifenden Konzernmatrix eingebunden ist.
„Nebenkriegsschauplätze“ – wer ist eigentlich Verhandlungspartner?
Schließlich wird die organisatorische Transformation häufig von einer Vielzahl weiterer Themen flankiert, für die die Zuständigkeit nicht zwingend bei dem (für den Interessenausgleich verantwortlichen) Gesamt- oder Konzernbetriebsrat liegt (siehe unser früherer Beitrag zum Thema).
Es empfiehlt sich daher, gut zu überlegen: Welche Themen können abgeschichtet und auf später verlegt werden? Welche Themen müssen zwingend zeitgleich mit dem Interessenausgleich abgehakt werden? Und: wie gelingt es für diese letzteren Themen, alle zuständigen Gremien mit ins Boot zu holen und sicherzustellen, dass diese einheitlich agieren? Dies erfordert juristischen, aber auch strategischen und diplomatischen Sachverstand. Im besten Fall gelingt ein „großer Wurf“.
Der Beitrag wird fortgesetzt.