Eine der wichtigsten Fragen seit Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes (MiLoG) ist (endlich) entschieden: „Wie hältst Du es mit Ausschlussklausel und Mindestlohn?“ bzw. müssen arbeitsvertragliche Verfallklauseln den Mindestlohnanspruch ausdrücklich ausnehmen, um wirksam zu sein? Das BAG hat hierzu eine klare Antwort parat. Was wurde genau entschieden? Und was bedeutet das für die Vertragsgestaltung in der Praxis? Dazu nachfolgend mehr.
Der Mindestlohn, das unverzichtbare Wesen
Wie kaum eine andere arbeitsrechtliche Materie ist der Mindestlohnanspruch gesetzlich in besonderer Weise geschützt. Stein des Anstoßes ist § 3 Satz 1 MiLoG, wo es kurz und knapp heißt: „Vereinbarungen, die den Anspruch auf Mindestlohn unterschreiten oder seine Geltendmachung beschränken oder ausschließen, sind insoweit unwirksam.“ Damit richtete sich der Blick des Praktikers seit der Geltung des Mindestlohnanspruchs ab dem 1.1.2015 unweigerlich auf arbeitsvertragliche Ausschlussfristen. Es stellte sich nämlich die Frage, wie diese „mindestlohnkonform“ zu gestalten sind, um nicht z.B. aus Transparenzgründen gem. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB für unwirksam erklärt zu werden. Eine wichtige Frage, bedenkt man die immense Bedeutung von Verfallklauseln. Denn so sehr der Umfang von Arbeitsverträgen stetig zugenommen hat, so entscheidend kommt es doch in vielen Fällen aus Arbeitgebersicht letztlich allein auf Folgendes an: „Haben wir eine wirksame Ausschlussfrist drin?“ Die Verfallklausel ist insoweit oft die einzig verlässliche Bastion, um sich finanziellen Ansprüchen der Arbeitnehmer erfolgreich erwehren zu können. Umso wichtiger also deren Wirksamkeit.
Hier prallten, was die Notwendigkeit einer Regelung zum gesetzlichen Mindestlohn angeht, nun die verschiedenen Ansichten aufeinander: Führt das Wörtchen „insoweit“ in § 3 Satz 1 MiLoG womöglich dazu, dass die Klausel auch ohne Herausnahme des Mindestlohnanspruchs zumindest im Übrigen, d.h. hinsichtlich sonstiger Ansprüche, wirksam ist? Oder verstößt die fehlende Herausnahme gegen § 3 Satz 1 MiLoG und führt deswegen gem. § 134 BGB zur Unwirksamkeit bzw. erfordern Transparenzgründe gem. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB diesbezüglich eine explizite Begrenzung des Geltungsbereichs? Für die Kautelarpraxis galt ungeachtet dessen freilich seit Bestehen des Mindestlohnanspruchs der Rat, vorsorglich immer eine solche Begrenzung vorzusehen. In der instanzgerichtlichen Rechtsprechung gab es dann zuletzt deutliche Ansätze, sich der erstgenannten Ansicht anzuschließen, wonach das Fehlen dieser Begrenzung nicht zur Unwirksamkeit der Klausel führen würde (vgl. LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 6.4.2018 – 11 Sa 40/17; LAG Nürnberg, Urt. v. 9.5.2017 – 7 Sa 560/16; anders wohl LAG Hamm, Urt. v. 1.6.2018 – 16 Sa 1442/17). Eine höchstrichterliche Klärung stand dagegen noch aus. Das hat sich am 18.9.2018 geändert.
Und was sagt das BAG jetzt dazu?
In der Entscheidung des BAG vom 18.9.2018 (Az. 9 AZR 162/18) zu der bislang nur die Pressemitteilung vorliegt, begehrte ein Arbeitnehmer Urlaubsabgeltung. Der Arbeitgeber berief sich demgegenüber auf den Verfall des Anspruchs, weil dieser nicht innerhalb der arbeitsvertraglichen Ausschlussfrist geltend gemacht worden wäre. Während die Vorinstanz (vgl. LAG Hamburg, Urt. v. 31.1.2018 – 33 Sa 17/17) die Klage noch abgewiesen hatte, „fackelte“ das BAG nicht lange:
Ausschlussklauseln ohne Mindestlohnausnahme sind unwirksam!
Das BAG stellte fest, die arbeitsvertragliche Ausschlussklausel sei gem. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB intransparent, d.h. nicht klar und verständlich, weil sie entgegen § 3 Satz 1 MiLoG den ab dem 1.1.2015 zu zahlenden Mindestlohn nicht ausnehmen würde. Auch für den streitgegenständlichen Urlaubsabgeltungsanspruch sei deswegen eine Aufrechterhaltung nicht möglich. Denn § 3 Satz 1 MiLoG schränke weder seinem Wortlaut noch seinem Sinn und Zweck nach die Anwendung der §§ 306, 307 Abs. 1 Satz 2 BGB ein. Diese Feststellungen sind, insbesondere angesichts der eigentlich wohl eher gegenläufigen Tendenz in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung, bemerkenswert. Dies gilt vor allem mit Blick auf den Wortlaut des § 3 Satz 1 MiLoG, der mit der Formulierung „insoweit“ gute Gründe bereithält, sich bei fehlender Herausnahme des Mindestlohnanspruchs zumindest im Übrigen auf die Wirksamkeit der Klausel berufen zu können. Auch ist fraglich, ob es angesichts der eindeutigen gesetzlichen Regelung zur Unverzichtbarkeit in § 3 Satz 1 MiLoG für den Arbeitnehmer tatsächlich an Transparenz bzw. am Verständnis der Klausel mangeln kann. Die Entscheidungsgründe bleiben daher mit Spannung abzuwarten.
Aber: Vertrauensschutz für Altverträge vor dem 1.1.2015?
In der Pressemitteilung des BAG vom 18.9.2018 heißt es, eine Klausel sei mangels Ausnahme für den gesetzlichen Mindestlohn „jedenfalls dann“ unwirksam, wenn der Arbeitsvertrag nach dem 31.12.2014 geschlossen worden wäre. Das klingt nach Vertrauensschutz für Altverträge. Zur Klärung der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen genau es diesen gibt, müssen allerdings die Entscheidungsgründe abgewartet werden. Möglich ist nämlich auch, dass das BAG diese Frage offen lassen konnte, weil es im entschiedenen Fall um einen Arbeitsvertrag vom 1.9.2015, d.h. um einen „Neuvertrag“, ging. Vertretbar erscheint aber schon jetzt ein Verständnis der Entscheidung vom 18.9.2018, wonach es für einen etwaigen Stichtag erfreulicherweise nicht auf das Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes am 16.8.2014, sondern auf das erstmalige Bestehen des gesetzlichen Mindestlohnanspruchs am 1.1.2015 ankommen dürfte.
Handlungsbedarf für die Praxis
Arbeitgeber müssen zwingend sicherstellen, dass arbeitsvertragliche Ausschlussklauseln den gesetzlichen Mindestlohn ausdrücklich aus ihrem Anwendungsbereich ausnehmen, anderenfalls ist die Klausel schon aus diesem Grund unwirksam. Ist das Kind bereits in den Brunnen gefallen, d.h. fehlt eine solche Ausnahme, muss im Einzelfall und vorbehaltlich der Entscheidungsgründe des BAG geprüft werden, ob die Berufung auf Vertrauensschutz in Betracht kommt. Größte Vorsicht dürfte insoweit auch bei Vertragsänderungen geboten sein. Wenn es darin – wie häufig – lediglich heißt „Die übrigen Bestimmungen bleiben unverändert“, könnte das nämlich u.U. die erneute Vereinbarung der bereits im Ursprungsvertrag enthaltenen Ausschlussklausel bedeuten. Wenn diese dann, z.B. weil es an einer Ausnahme für den gesetzlichen Mindestlohn fehlt, unwirksam ist, dürfte Vertrauensschutz nicht (mehr) in Betracht kommen. Vorsorglich sollten Vertragsänderungen in diesen Fällen daher auch zur Implementierung einer neuen, wirksamen Ausschlussklausel genutzt werden.