Die offene Videoüberwachung von Verkaufsräumen ist alltägliche Praxis. Arbeitnehmer geraten dabei zwangsläufig in den Fokus. In manchen Fällen werden auf diese Weise Straftaten aufgezeichnet, aufgedeckt und sanktioniert, die Arbeitnehmer zu Lasten ihres Arbeitgebers verüben. Die Verwertung dieser Aufzeichnungen in einem Kündigungsschutzverfahren wird zunehmend kritisch betrachtet – nicht zuletzt mit Blick auf die seit dem 25. Mai 2018 geltende Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Umso mehr überrascht eine aktuelle Entscheidung des BAG (v. 23. August 2018 – 2 AZR 133/18), die eine Auswertung und Verwertung solcher Daten im Prozess recht großzügig beurteilt – auch noch Monate nach dem kündigungsrelevanten Vorfall.
Aufbewahrung der Daten wird nicht durch bloßen Zeitablauf unzulässig
In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt hatte der Arbeitgeber den öffentlich zugänglichen Verkaufsraum – insbesondere den Kassenbereich – mit offener Videoüberwachung ausgestattet und sämtliche Aufnahmen monatelang gespeichert. Erst aufgrund eines konkreten Anlasses in Form von Warenschwund wertete der Arbeitgeber die Videoaufzeichnungen später aus. Dabei zeigte sich, dass die Arbeitnehmerin ca. sechs Monaten zuvor zu Lasten des Arbeitgebers Geld aus der Kasse unterschlagen hatte. Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis fristlos. Im anschließenden Kündigungsschutzverfahren machte die Arbeitnehmerin geltend, der Arbeitgeber hätte die Videoaufzeichnungen gar nicht so lange aufbewahren dürfen. Das LAG hatte der Arbeitnehmerin noch Recht gegeben. Die lange Speicherung der Daten sei unzulässig; die Videoaufzeichnung sei deswegen prozessual unverwertbar. Dies sah das BAG anders: Rechtmäßig erhobene Daten dürften bis zu ihrer Auswertung gespeichert werden. Allein durch Zeitablauf werde die Speicherung der Daten nicht unzulässig. Mit Blick auf die aktuelle Diskussion von Löschpflichten und dem Recht auf Vergessenwerden wohl ein überraschendes Ergebnis.
Rechtsgrundlage der Videoüberwachung von Arbeitnehmern in öffentlich zugänglichen Räumen
Die unterschiedlichen Auffassungen entfachen sich zunächst an der Frage der datenschutzrechtlichen Grundlage der Verwendung der Daten. Das LAG hat § 6b Abs. 1 BDSG-alt herangezogen. Danach war die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume zulässig, wenn dies zur Wahrnehmung berechtigter Interessen erforderlich war und keine Anhaltspunkte bestanden, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen. Solche Daten sind indes unverzüglich nach Zweckerreichung zu löschen. Das BAG stützt sich demgegenüber auf § 32 BDSG-alt. Im Falle der Erhebung von Arbeitnehmerdaten durch offene Videoüberwachung in öffentlich zugänglichen Räumen richtete sich die Zulässigkeit im Verhältnis Arbeitgeber/Arbeitnehmer allein nach § 32 BDSG-alt; die besonderen Anforderungen des § 6b BDSG-alt – einschließlich der Löschverpflichtung – seien insoweit unbeachtlich. Es könne nur eine einheitliche Rechtsgrundlage für die Beurteilung der datenschutzrechtlichen Zulässigkeit der Überwachung von Arbeitnehmern geben, die unabhängig von den jeweiligen Räumlichkeiten (öffentlich oder privat) sei.
Dies wird entsprechend auch für die neue Rechtslage gelten: Die Zulässigkeit einer offenen Videoüberwachung gegenüber Arbeitnehmern richtet sich daher allein nach § 26 BDSG, der nun die Datenverarbeitung für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses regelt. Auf die Voraussetzungen des § 4 BDSG, der wortlautidentisch wie zuvor § 6b Abs. 1 BDSG-alt dieselben Voraussetzungen statuiert, kommt es demgegenüber nicht an. Die offene Videoüberwachung und die Verwertung der Erkenntnisse bleibt danach unter der DSGVO und dem neuen Datenschutzgesetz nach Maßgabe der bisherigen Anforderungen zulässig.
Vorsicht: Auswertung gespeicherter Aufzeichnungen nur bei konkretem Anlass zulässig
Rechtmäßig erhobene Aufzeichnungen können demnach zunächst unbesehen einige Wochen oder auch Monate aufbewahrt werden. Eine Auswertung ist jedoch nur dann zulässig, wenn zu einem späteren Zeitpunkt der Verdacht einer Straftat oder erheblichen Pflichtverletzungen entsteht und dies den Anlass für die Auswertung der Aufzeichnungen begründet. Demgegenüber ist es nicht zulässig, die gesamten Aufzeichnungen zunächst unbesehen vorzuhalten, um sie anschließend – ohne besonderen Anlass – durchzusehen. Dies stellt nach Ansicht des BAG einen unzulässigen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers mit der Folge eines Beweisverwertungsverbotes und ggf. Schadensersatzanspruchs dar.
Achtung: Der Umfang der Datenspeicherung kann problematisch sein
Ein zentrales Argument in der Argumentation des BAG wirft zusätzliche Fragen auf: Denn nach Einschätzung des BAG ist nur die Speicherung und arbeitsgerichtliche Verwertung derjenigen Sequenzen der Videoaufzeichnung zulässig, die das pflichtwidrige Verhalten des Arbeitnehmers zeigen. Der Arbeitgeber sei zwar gleichwohl nicht dazu verpflichtet, seine gesamten Videoaufzeichnungen zeitnah zu sichten. Das datenschutzrechtliche Schicksal der weiteren (regelmäßig deutlich umfangreichen) Sequenzen der Videoaufzeichnung bleibt hingegen offen. Das BAG deutet insoweit an, dass bezüglich dieser Daten Löschpflichten und Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden und auch Bußgeldtatbestände vorliegen können.
Fazit
Die Videoüberwachung von Arbeitnehmern ist ein ebenso wichtiges wie heikles Thema. Das BAG möchte dem Arbeitgeber dieses Instrument zur Gewährleistung der Möglichkeit der Aufklärung von schweren Pflichtverletzungen nicht gänzlich aus der Hand nehmen. Daher geht es mit der Annahme von Beweisverwertungsverboten sparsam um, wie auch die jüngste Entscheidung zeigt. Damit ist jedoch nicht das volle rechtliche Bild mit allen datenschutzrechtlichen Facetten abschließend betrachtet. Arbeitgeber sind also gut beraten, die Fragestellungen des Umgangs mit Videoaufzeichnungen – am besten bereits im Vorfeld – umfassend zu beleuchten.