open search
close
Betriebsrat

Änderung der Personalstärke – Änderung der Anzahl freigestellter Betriebsratsmitglieder?

Print Friendly, PDF & Email

Zur Gewährleistung einer effektiven Arbeit besteht gesetzlich die Möglichkeit, dass eine bestimmte von der Größe des Betriebs abhängige Anzahl an Betriebsratsmitgliedern von ihrer beruflichen Tätigkeit freizustellen sind, damit diese ausschließlich Betriebsratsaufgaben nachgehen können.

Hierbei sieht § 38 BetrVG eine Staffelung im Hinblick auf die Mindestzahl der Freistellungen vor. Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 BetrVG richtet sich die Anzahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder nach der Anzahl der in der Regel im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer. In Betrieben mit in der Regel 200 bis 500 Arbeitnehmern ist ein Betriebsratsmitglied, in Betrieben mit 501 bis 900 Arbeitnehmern zwei Betriebsratsmitglieder freizustellen, usw. Doch was passiert, wenn sich die Personalstärke während der Amtszeit des Betriebsrates ändert?

Nachdem wir in unserem Blogbeitrag vom 18. Juli 2016 bereits über die konkreten Pflichten von freigestellten Betriebsratsmitglieder berichtet haben, wollen wir nun die – vielfach nicht bekannte – Möglichkeit des Arbeitgebers, auf eine Anpassung der freigestellten Betriebsratsmitglieder bei veränderter Personalstärke hinzuwirken, näher beleuchten.

Ist eine Anpassung der Betriebsratsgröße bei veränderter Personalstärke möglich?

Zur Beurteilung, wie viele Arbeitnehmer gemäß § 38 Abs. 1 BetrVG von einem Arbeitgeber in der Regel beschäftigt werden, ist auf den Zeitpunkt des Freistellungsbeschlusses abzustellen. Die gesetzliche Bestimmung regelt die Mindestanzahl freizustellender Betriebsratsmitglieder, um Streitigkeiten zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber darüber zu vermeiden, ob die Freistellungen im Einzelfall erforderlich sind. Die Erforderlichkeit wird deshalb – gestaffelt nach der regelmäßigen Arbeitnehmerzahl – unwiderleglich vermutet. Um damit Freistellungen rechtfertigen zu können, muss die Erforderlichkeit, d. h. also vor allem die Arbeitnehmerzahl, gegenwärtig sein. Künftige Veränderungen der Arbeitnehmerzahl, die nicht unmittelbar bevorstehen, können allenfalls eine spätere Anpassung der Zahl der Freizustellenden bedingen.

Nach Ansicht der Rechtsprechung (u.a. LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 14. Mai 2013 – 6 SaGa 2/13) kann sich die Zahl der Freistellungen daher im Laufe einer Amtszeit – in beide Richtungen – ändern:

  • Erhöht sich die Zahl der in der Regel beschäftigen Arbeitnehmer nicht nur vorübergehend, so ist die Zahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder entsprechend zu erhöhen.
  • Sinkt die Belegschaftsstärke nicht nur vorübergehend, so ist die Zahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder entsprechend zu reduzieren.

Auch das Bundesarbeitsgericht hält eine Anpassung der Zahl der Freistellungen nach § 38 Abs. 1 S. 1 BetrVG während der laufenden Amtszeit des Betriebsrats für möglich. Danach ist zwar für die Anzahl der Freistellungen grundsätzlich auf die Arbeitnehmerzahl im Zeitpunkt des Freistellungsbeschlusses abzustellen, spätere Veränderungen der Arbeitnehmerzahl können aber eine Anpassung der Zahl der Freizustellenden bedingen (vgl. BAG, Beschluss vom 26. Juli 1989 – 7 ABR 64/88).

Sinkt die Mitarbeiterzahl im Betrieb nicht nur vorübergehend, kann der Betriebsrat dazu angehalten sein, die Zahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder entsprechend zu verringern.

Aber: Was bedeutet „nicht nur vorübergehend“?

Welche Anforderungen an das Kriterium „nicht nur vorrübergehend“ zu stellen sind, ist bislang nicht entschieden worden. Orientiert man sich an der bislang vorliegenden Rechtsprechung, ist eine Prognose anzustellen. So sah das LAG Rheinland-Pfalz (Az.: 6 SaGa 2/13) die Prognose, dass der Schwellenwert bis zum Ende der aktuellen Amtszeit des Betriebsrates zum Zeitpunkt der nächsten Betriebsratswahl nicht mehr überschritten wird, im zugrundeliegenden Fall, in dem die letzten 4 Monate unterhalb des Schwellenwertes lagen und noch 1 Jahr und 3 Monate zur nächsten Betriebsratswahl verblieben, als gerechtfertigt an.

Besteht bereits eine Unterschreitung der Schwellenwerte, liegt es beim Arbeitgeber, im Streitfall darzulegen, dass sein Mitarbeiterbedarf auch innerhalb der noch andauernden Amtsperiode unter dem Schwellenwert liegen wird und deshalb auch die Anzahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder nach unten anzupassen ist. Gelingt dem Arbeitgeber diese Prognose, könnte die Verringerung allenfalls daran scheitern, dass der Betriebsrat konkret und detailliert nachweist, dass die geringere Personalstärke nicht mit einer Verringerung der Aufgaben des Betriebsrates einhergeht.

Fazit

Sollte es während der Amtsperiode des Betriebsrates zu einer rückläufigen Mitarbeiteranzahl kommen, die nicht nur auf eine vorübergehende Personalschwankung zurückzuführen ist, sollten Arbeitgeber ein waches Auge haben und prüfen, ob die im Gesetz angelegten Schwellenwerte des § 38 Abs. 1 BetrVG unterschritten werden, und somit die Möglichkeit besteht, die Anzahl der freigestellten Betriebsratsmitglieder zu reduzieren. Eine Verpflichtung zur Anpassung der Anzahl der nach § 38 Abs. 1 BetrVG freizustellenden Betriebsratsmitglieder ergibt sich jedenfalls aus dem Grundsatz zur vertrauensvollen Zusammenarbeit, die erforderlichenfalls arbeitgeberseitig auch im Wege des Beschlussverfahrens durchgesetzt werden kann.

Lisa Ryßok-Lösch

Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht
Senior Associate
Lisa Ryßok-Lösch berät und vertritt nationale und internationale Unternehmen in sämtlichen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Ein besonderer Schwerpunkt ihrer Tätigkeit liegt in der laufenden arbeitsrechtlichen Beratung von Unternehmen sowie der Betreuung von Kündigungsschutzstreitigkeiten.
Verwandte Beiträge
Individualarbeitsrecht Kollektivarbeitsrecht Neueste Beiträge Restrukturierung

Wir ziehen um! Zieht ihr mit? – Herausforderungen von Standortwechseln des Arbeitgebers

Das neue Bürogebäude ist fast fertiggestellt. Die Umzugskisten im alten Bürogebäude werden bereits gepackt. Was kann jetzt noch schiefgehen? Ein Umzug stellt auch für Arbeitgeber stets den Beginn eines neuen Abschnitts dar. Wir zeigen auf, woran Arbeitgeber denken sollten, damit auch möglichst alle Arbeitnehmer mitziehen. Verschiedene Gründe bewegen Arbeitgeber zu einem Standortwechsel. So können große Restrukturierungen oder auch nur das bloße Auslaufen des Bürogebäudemietvertrags einen…
Kollektivarbeitsrecht Neueste Beiträge Prozessrecht Restrukturierung

Betriebsabgrenzung statt Wahlanfechtung: Halbzeit zwischen Betriebsratswahl 2022 und 2026 richtig nutzen

Ist der Betriebsrat erst einmal gewählt, bleibt Arbeitgebern nur noch die Anfechtung der Wahl übrig. Bis zum rechtskräftigen Abschluss des Wahlanfechtungsverfahrens ist faktisch eine mehrjährige Amtszeit eines (ggf. rechtswidrig) gewählten Betriebsrats vorprogrammiert. Der risikobewusste Arbeitgeber sollte bis dahin den Betriebsrat beteiligen und Kosten für Einigungsstellen, Schulungen, Freistellungen für Betriebsratsarbeit etc. einkalkulieren. Arbeitgeber können jedoch vorausschauend unklare Betriebsstrukturen gerichtlich klären lassen und bei zügigem Handeln noch…
Arbeitsrecht 4.0 Digitalisierung in Unternehmen Kollektivarbeitsrecht Neueste Beiträge

Kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Nutzung privater ChatGPT-Accounts

Künstliche Intelligenz (KI) ist eines der wichtigsten digitalen Zukunftsthemen. Jedes achte Unternehmen in Deutschland setzt die Technologie bereits ein. Der Einsatz von KI soll Arbeitsprozesse beschleunigen und automatisieren, wirft aber auch viele rechtlich komplexe Fragen auf. Nun hat sich erstmals ein deutsches Arbeitsgericht mit der Frage befasst, ob der Betriebsrat beim Einsatz von ChatGPT und vergleichbaren Konkurrenzprodukten ein Mitbestimmungsrecht hat. In einem aktuellen Beschluss vom…
Abonnieren Sie den kostenfreien KLIEMT-Newsletter.
Jetzt anmelden und informiert bleiben.

 

Die Abmeldung ist jederzeit möglich.