Was früher unmöglich erschien, konnte in der Corona-Pandemie schnell und unbürokratisch gesetzlich durchgesetzt werden: Betriebsratssitzungen per Videokonferenz. Die pragmatische Übergangslösung in § 129 BetrVG soll jetzt durch das geplante Betriebsrätemodernisierungsgesetz abgelöst werden. Leider eine „bürokratische und praxisferne Rolle rückwärts“ – wie wir meinen.
129 BetrVG als pragmatische Lösung in der Pandemie
Um die geplante „Modernisierung“ beurteilen zu können, muss man den zum 30. Juni 2021 wieder auslaufenden § 129 BetrVG kennen. Dieser sieht vor, dass die Teilnahme an Betriebsratssitzungen sowie die Beschlussfassung mittels Video- und Telefonkonferenzen erfolgen können, wenn sichergestellt ist, dass Dritte keine Kenntnis vom Inhalt der Sitzung nehmen können. Ebenso können Sitzungen der Einigungsstellen und Wirtschaftsausschüsse digital stattfinden. Die Anforderungen sind demnach denkbar einfach zu verstehen und für die Gremien entsprechend leicht umzusetzen. Letzteres hat die betriebliche Praxis im vergangenen Jahr zudem eindrucksvoll unter Beweis gestellt, indem viele Betriebsparteien dankend selbst zu schwierigsten Themen – wie Personalabbau – auf virtuelle Formate umgestiegen sind – auch und oft sehr fokussiert und effektiv in der Einigungsstelle.
Rolle rückwärts durch „Vorrang der Präsenzsitzung“
Vor diesem Hintergrund ist die nun geplante „Modernisierung“ als ein praxisferner Rückschritt zu beurteilen. Digitale Betriebsratsarbeit soll zwar weiter möglich sein, aber nur noch unter dem sog. „Vorrang der Präsenzsitzung“. Einigungsstellen und Wirtschaftsausschüsse werden zudem in das analoge Zeitalter zurückverbannt, indem sie gar nicht mehr virtuell tagen dürfen. Nach dem geplanten § 30 Abs. 2 BetrVG darf eine Teilnahme an einer Betriebsratssitzung mittels Video- und Telefonkonferenz (nur noch) erfolgen, wenn
- die Voraussetzungen für eine solche Teilnahme in der Geschäftsordnung unter Sicherung des Vorrangs der Präsenzsitzung festgelegt sind,
- nicht mindestens ein Viertel der Mitglieder des Betriebsrats binnen einer von dem Vorsitzenden zu bestimmenden Frist diesem gegenüber widerspricht und
- sichergestellt ist, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können.“
Verpasste Chance für eine moderne Betriebsratsarbeit
Moderne Betriebsratsarbeit sieht anders aus. Beim Studium der Gesetzesbegründung (siehe Seite 15) wird überdies klar, dass der Gesetzgeber (bzw. das SPD-geführte BMAS) keine umfassende digitale Betriebsratsarbeit will, sondern virtuelle Betriebsratsarbeit offenbar nur aus bestimmten Gründen (aber nicht in Gänze) als sinnvoll erachtet, wie der Reduzierung der Reisetätigkeiten sowie Erhöhung der Attraktivität der Betriebsratsarbeit für körperlich benachteiligte Menschen, Menschen mit Betreuungspflichten sowie Teilzeitbeschäftigte. Die genaue Ausgestaltung der virtuellen Betriebsratsarbeit wiederum soll – unter dem Vorrang der Präsenzsitzung – dem Betriebsrat selbst obliegen. Damit ist klar: Viel verändern wird sich nicht. Und Arbeitgeber und einzelne Betriebsratsmitglieder haben keine Handhabe, ein virtuelles Tagen gegen die Mehrheit im Gremium durchzusetzen. Streitigkeiten – auch im Gremium selbst – sowie Rechtsunsicherheiten scheinen damit vorprogrammiert. Warum der § 129 BetrVG nicht einfach fortgeschrieben werden kann, erklärt die Gesetzesbegründung im Übrigen nicht. Auch nicht, weshalb nicht der digitalen Betriebsratsarbeit der Vorrang gebührt? Dies wäre innovativ gewesen. Bleibt zu hoffen, dass die Verbände (wie die BDA und der HDE), Landesregierungen sowie einzelne Bundestagsabgeordnete nicht locker lassen, um dem Betriebsrätemodernisierungsgesetz im weiteren Gesetzgebungsprozess doch noch zu einer einigermaßen brauchbaren Reform zu verhelfen. In der derzeitigen Form bleibt es bei einer „verpassten Chance“ (siehe hierzu auch die Einordnung vom 1. April 2021).
Mit freundlicher Unterstützung von Leonie Schönfelder, Associate.