Nach verlorenem Kündigungsschutzprozess müssen Arbeitgeber in der Regel für die Dauer des Prozesses Annahmeverzugslohn zahlen. Dabei muss sich der Arbeitnehmer böswillig unterlassenen Erwerb anrechnen lassen. Liegt ein böswilliges Unterlassen vor, wenn der erstinstanzlich obsiegende Arbeitnehmer ein zwischen den Instanzen angebotenes Prozessarbeitsverhältnis ablehnt, weil er auf der Grundlage des vorläufig vollstreckbaren Weiterbeschäftigungsanspruchs tätig werden will? Nein – meinte kürzlich das LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 26.1.2021 – 19 Sa 51/20).
Worum ging es?
Die Beklagte hatte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger betriebsbedingt zum 30.9.2019 gekündigt. Die Kündigungsschutzklage hatte Ende August 2019 Erfolg. Die Beklagte wurde außerdem verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Bedingungen weiter zu beschäftigen. Die zunächst eingelegte Berufung nahm die Beklagte Ende Dezember 2019 zurück. Bereits zuvor, mit E-Mail vom 26.9.2019, hatte die Beklagte an den Klägervertreter ein Angebot zur Begründung eines Prozessarbeitsverhältnisses übersandt. Der Klägervertreter reagierte umgehend. Er lehnte das Angebot ab und und forderte die Beklagte auf, den Kläger entsprechend der arbeitsgerichtlichen Entscheidung weiter zu beschäftigen. Man werde anderenfalls die Einleitung der Zwangsvollstreckung prüfen. Daher bestehe auch keine Notwendigkeit, eine gesonderte Vereinbarung über ein befristetes Prozessarbeitsverhältnis abzuschließen.
Der Kläger, der nach Rücknahme der Berufung seit dem 1.1.2020 wieder beschäftigt wurde, machte schließlich Annahmeverzugsvergütung für die Monate Oktober bis einschließlich Dezember 2019 geltend. Hiergegen wandte die Beklagte ein, der Kläger habe eine ihm angebotene und zumutbare Prozessbeschäftigung ausdrücklich abgelehnt.
In der ersten Instanz gewann die Arbeitgeberseite. Der Kläger müsse sich vorwerfen lassen, er habe die Aufnahme der Arbeit bei der Beklagten bewusst verhindert, weil er sich auf die Vereinbarung über ein befristetes Prozessarbeitsverhältnis nicht eingelassen habe.
Die Freude darüber währte nur kurz. Die vom Kläger eingelegte Berufung hatte Erfolg. Der Arbeitgeber „darf“ nun zahlen.
Ablehnung angebotener Prozessbeschäftigung
Kommt der Arbeitgeber mit der Annahme der Dienste gemäß § 615 Satz 1 BGB in Verzug, so kann der Verpflichtete für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein. Er muss sich jedoch nach § 615 Satz 2 BGB den Wert desjenigen anrechnen lassen, was er infolge des Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Dienste erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt.
Bietet der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer bis zur Rechtskraft des Urteils im Kündigungsschutzprozess ein befristetes Prozessarbeitsverhältnis an, kann in der Ablehnung eines solchen Angebots ein böswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbs gesehen werden – allerdings nicht immer.
Besonderheit: Vorläufig vollstreckbarer Beschäftigungstitel
Im vorliegenden Fall stellte das LAG auf die Besonderheit ab, dass der Kläger gerade auf der Grundlage des bereits erwirkten Beschäftigungstitels weiterarbeiten wollte. Demgegenüber beharrte die Beklage darauf, dass es vor Aufnahme der Arbeit zu der Vereinbarung über ein befristetes Prozessarbeitsverhältnis komme. Dem Kläger könne aber letztlich nach dem LAG kein Vorwurf aus der Ablehnung des Prozessarbeitsverhältnisses gemacht werden. Denn wolle man in einem solchen Fall den Arbeitnehmer für verpflichtet halten, sich auf eine Prozessbeschäftigung auf vertraglicher Grundlage einzulassen, würde der durch die gefestigte Rechtsprechung abgesicherte allgemeine Weiterbeschäftigungsanspruch nach obsiegenden Urteil im Kündigungsschutzverfahren entwertet. Der Arbeitnehmer handelt also hiernach nicht böswillig, wenn er darauf besteht, nur aufgrund des Titels tätig zu werden.
Fazit
Um die Kostenrisiken der Annahmeverzugslohnansprüche langandauernden Kündigungsschutzprozessen zu begrenzen, kommt der Abschluss eines Prozessarbeitsverhältnisses im Einzelfall auch weiterhin in Betracht. „Augen auf“ heißt es immer dann, wenn es um eine betriebsbedingte Kündigung geht und keine alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten existieren.
In den Fällen, in denen die erste Instanz verloren und ein vorläufig vollstreckbarer Weiterbeschäftigungstitel bereits in der Welt ist, sollten Arbeitgeber auch die erzwungene Prozessbeschäftigung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung als „Gegenmittel“ in den Blick nehmen (siehe hierzu unseren Blogbeitrag vom 15.1.2020). Dies gilt nach der vorliegenden Entscheidung insbesondere dann, wenn ein Prozessarbeitsverhältnis nicht zustande kommt. Damit wäre dem Arbeitgeber hier einiges erspart geblieben.