Die Ampel-Koalition unternimmt einen neuen Anlauf: Das Hinweisgeberschutzgesetz soll am 30. März 2023 vom Bundestag beschlossen werden und noch im Mai 2023 in Kraft treten. Diesmal will man sich nicht vom Bundesrat ausbremsen lassen. Ein Griff in die verfahrensrechtliche Trickkiste soll die Gesetzgebung im Eiltempo ermöglichen.
Überfällige Umsetzung der EU-Whistleblowing-Richtlinie
Wir erinnern uns: Deutschland hätte die Regelungen zum Hinweisgeberschutz bereits bis Dezember 2021 umsetzen müssen, wird daher aktuell von der EU-Kommission wegen Vertragsverletzung verklagt. Mehrere Gesetzgebungsverfahren sind gescheitert, zuletzt vor wenigen Wochen am Veto des unionsdominierten Bundesrats, nachdem der Bundestag das Gesetz bereits beschlossen hatte.
Ampel mit kompromissloser Linie
Nahegelegen hätte nunmehr, den Vermittlungsausschuss anzurufen, um einen Kompromiss auszuhandeln. Doch aus den Regierungsfraktionen hieß es schnell, man wolle den Gesetzentwurf „inhaltsgleich in einer nicht zustimmungspflichtigen Form“ erneut in den Bundestag einbringen – sich also nicht auf inhaltliche Zugeständnisse einlassen, sondern das Zustimmungserfordernis des Bundesrats schlichtweg umgehen. Die Zustimmung des Bundesrats war erforderlich, da unter den persönlichen Anwendungsbereich des Gesetzes auch Beamte der Länder und Kommunen fallen sollten. Dies ist der EU-Whistleblowing-Richtlinie geschuldet, die neben Arbeitnehmern auch alle Beamten erfasst.
Neuer Anlauf – aus eins mach zwei
Hier kommt die verfahrensrechtliche Trickkiste ins Spiel. Denn die Ampel-Koalition hat den bisherigen Gesetzentwurf nunmehr in zwei neue Gesetzentwürfe aufgespalten:
- (1) Das Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG), welches weitestgehend dem bisherigen Gesetzentwurf entspricht, Beamte der Länder und Kommunen jedoch ausdrücklich ausklammert und damit zustimmungsfrei sein dürfte.
- (2) Ein „Gesetz zur Ergänzung der Regelungen zum Hinweisgeberschutz“, dessen alleiniger Inhalt es ist, die Anwendung des HinSchG auf Beamte der Länder und Kommunen zu erweitern. Nur diesem Gesetz müsste der Bundesrat noch zustimmen.
Dieser Kunstgriff wird von der Opposition zwar als „verfassungsrechtlich fragwürdig“ kritisiert, bislang allerdings hat das Bundesverfassungsgericht in vergleichbaren Fällen die – auch strategisch motivierte – Aufspaltung von Gesetzen gebilligt.
Kommt das HinSchG jetzt wirklich im Eiltempo?
Beide Gesetzentwürfe sind bereits am 17. März 2023 in erster Lesung vom Bundestag behandelt und zunächst dem Rechtsausschuss überwiesen worden. Dabei tritt der Gesetzgeber jetzt kräftig aufs Gaspedal:
- Am 27. März 2023 soll sich der Rechtsausschuss in öffentlicher Anhörung mit dem Gesetzesvorhaben beschäftigen.
- Am 30. März 2023 soll der Bundestag in 2./3. Lesung die Gesetzentwürfe beschließen.
- Bereits am 31. März 2023 könnte sich der Bundesrat mit den Gesetzentwürfen befassen.
Nachdem der Rechtsausschuss zuletzt im Dezember 2022 Änderungsvorschläge eingebracht hat, die sich jetzt im fast inhaltsgleichen Entwurf des HinSchG wiederfinden, ist nicht mehr mit wesentlichen Anpassungen zu rechnen.
Derzeit ist daher zu erwarten, dass der Bundestag beide Gesetzentwürfe in der jetzt vorliegenden Fassung verabschieden wird. Anschließend könnte der Bundesrat zwar noch – auch bezogen auf das zustimmungsfreie HinSchG – den Vermittlungsausschuss anrufen und, soweit dieser keine zufriedenstellenden Änderungsvorschläge unterbreitet, Einspruch einlegen.
Von diesem „stumpfen Schwert“ (der Einspruch kann vom Bundestag überstimmt werden) wird in der Praxis äußerst selten Gebrauch gemacht – auszuschließen ist dies hier jedoch nicht. Dann würde das Gesetzgebungsverfahren einmal mehr in die Verlängerung gehen. Wahrscheinlicher erscheint derzeit, dass sich das Gesetzgebungsverfahren nun wirklich auf der Zielgeraden befindet und das HinSchG damit bereits im April 2023 verkündet werden könnte.
Wann tritt das HinSchG in Kraft?
Anders als im bisherigen Entwurf ist nicht mehr vorgesehen, dass das Gesetz erst drei Monate nach seiner Verkündung in Kraft tritt. Diese Frist wurde jetzt auf einen Monat verkürzt. Bei einer Verkündung im April würde das Gesetz somit bereits im Mai 2023 in Kraft treten.
Ab wann greifen welche Pflichten?
Nach wie vor ist insbesondere Folgendes vorgesehen:
- Ab Inkrafttreten: alle Unternehmen ab 250 Beschäftigten müssen sichere und zuverlässige Kanäle für die interne Meldung von Verstößen einrichten.
- Ab 17. Dezember 2023: alle Unternehmen ab 50 Beschäftigten müssen solche internen Meldekanäle einrichten.
- Ab 1. Januar 2025: die internen Meldekanäle müssen auch eine anonyme Kontaktaufnahme und Kommunikation zwischen Hinweisgeber und interner Meldestelle ermöglichen.
Die unterbliebene oder nicht rechtzeitige Einrichtung einer internen Meldestelle soll nach wie vor eine bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeit darstellen. Im neuen Gesetzentwurf findet sich hier ein – eher halbherziges – Moratorium: Die Bußgeldvorschrift soll erst rund sechs Monate nach Verkündung des Gesetzes Anwendung finden.
Was sollten Unternehmen jetzt tun?
Klar ist: Es geht nicht mehr um das „Ob“, sondern nur noch um das „Wann“. Unternehmen, die bislang den Ansatz „Wait and see“ verfolgt haben (und sich durch die gesetzgeberische Irrfahrt der letzten Jahre durchaus bestätigt sehen konnten), könnten nunmehr deutlich schneller als erwartet unter Druck geraten, die neuen Vorgaben umzusetzen. Auch da sich die Wahrscheinlichkeit zusehends verringert, dass noch wesentliche Änderungen an dem Gesetzentwurf vorgenommen werden, wird es höchste Zeit, sich mit den neuen Vorgaben auseinanderzusetzen.
Insbesondere wenn die erstmalige Einführung eines Hinweisgebersystems ansteht, besteht Handlungsbedarf. Wir unterstützen Sie gerne bei der Einführung und dem Betrieb eines gesetzeskonformen Hinweisgebersystems, das wir zusammen mit unserem Kooperationspartner EQS implementieren. Auch bei bereits bestehenden Hinweisgebersystemen kann sich erheblicher Anpassungsbedarf ergeben. Hier ist eine Gap-Analyse (Abgleich Ist/Soll) anzuraten.