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Reichweite und Grenzen des Schutzes für Hinweisgeber – 5 praxisrelevante Fragen

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Mit dem Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) kam der deutsche Gesetzgeber (verspätet) seiner Pflicht zur Umsetzung der EU-Whistleblowing Richtlinie nach und hat erstmals einen weitreichenden verbindlichen Schutz von Hinweisgebern geschaffen. An entscheidenden Stellen ließ der Gesetzgeber jedoch für die Praxis wichtige Probleme ungelöst (siehe hierzu auch unsere FAQ zum Hinweisgeberschutzgesetz Teil 1 und Teil 2). Wir beleuchten daher heute 5 praxisrelevante Fragen im Zusammenhang mit der Reichweite und den Grenzen des Schutzes für Hinweisgeber nach dem Hinweisgeberschutzgesetz.

1. Wer ist als „hinweisgebende Person“ geschützt?

Nach § 1 Abs. 1 HinSchG erfasst der persönliche Anwendungsbereich „hinweisgebende Personen“, welche definiert werden als „natürliche Personen, die im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit oder im Vorfeld einer beruflichen Tätigkeit Informationen über Verstöße erlangt haben und diese an die nach diesem Gesetz vorgesehenen Meldestellen melden oder offenlegen“.

Hinweisgebende Personen unterliegen also dem Schutz des HinSchG nur dann, wenn folgende drei Voraussetzungen vorliegen:

  • Ordnungsgemäße Meldung: Sie müssen ihre Meldung über die vom HInSchG vorgesehenen internen oder externen Meldestellen melden oder offenlegen, wobei die Voraussetzungen für letztes nur in Ausnahmefällen vorliegen, beispielsweise bei der Gefahr irreversibler Schäden wie z.B. im sog. „Gammelfleischskandal“. Eine hinweisgebende Person, die sich lediglich an den Betriebsrat wendet, um Informationen über Verstöße mitzuteilen oder diese im Intranet veröffentlicht, erfüllt diese Voraussetzung nicht ist daher nicht nach dem HinSchG geschützt.
  • Wahrheitsgemäße Meldung: Die hinweisgebende Person muss zum Zeitpunkt der Meldung oder Offenlegung hinreichenden Grund zu der Annahme haben, dass die von ihr gemeldeten oder offengelegten Informationen der Wahrheit entsprechen. Hierbei ist zu beachten, dass hinweisgebende Personen verpflichtet sind, den gemeldeten oder offengelegten Sachverhalt im Rahmen ihrer Möglichkeiten hinreichend aufzuklären.
  • Meldung eines Verstoßes im Rahmen des sachlichen Anwendungsbereichs des HinSchG: Die gemeldeten oder offengelegten Informationen müssen Verstöße betreffen, die in den Anwendungsbereich des HinSchG fallen. Das sind u.a. Verstöße, die straf- oder bußgeldbewehrt sind, soweit die verletzte Vorschrift dem Schutz von Leben, Leib oder Gesundheit dient. Hierbei reicht es aus, dass die hinweisgebende Person zum Zeitpunkt der Meldung oder Offenlegung hinreichenden Grund zu der Annahme hatte, dass dies der Fall sei.
2. Was ist Repressalienschutz und was bedeutet das für Unternehmen und Hinweisgeber?

Gegen die hinweisgebende Personen gerichtete Repressalien sind verboten. Erleidet eine hinweisgebende Person nach einer ordnungsgemäßen Meldung oder Offenlegung eine Benachteiligung z.B. Kündigung, Versetzung, Abmahnung oder versagte Beförderung, so wird gesetzlich vermutet, dass diese Benachteiligung eine Repressalie ist, wenn die hinweisgebende Person geltend macht, diese Benachteiligung in Folge einer Meldung oder Offenlegung nach dem HinSchG erlitten zu haben. In diesem Fall hat die benachteiligende Person bzw. das Unternehmen zu beweisen, dass die Benachteiligung entweder auf gerechtfertigten Gründen basierte oder dass sie nicht auf der Meldung oder Offenlegung beruhte (sog. Beweislastumkehr).

Die gesetzliche Vermutung kann also nur dann widerlegt werden, wenn die benachteiligende Maßnahme aus anderen, objektiv nachvollziehbaren Gründen erfolgte. In Betracht kommen insoweit etwa betriebsbedingte Gründe oder ein Fehlverhalten der hinweisgebenden Insbesondere kann die Vermutung auch dann widerlegt werden, wenn die Maßnahme erfolgte, weil die hinweisgebende Person selbst an einem gemeldeten Verstoß mitgewirkt hat. Schließlich handelt es sich auch dann nicht um eine Repressalie im Sinne des HinSchG, wenn das Unternehmen beweisen kann, dass die Meldung beziehungsweise die Offenlegung nicht kausal für das Ergreifen der benachteiligenden Maßnahme war. Eine solche Kausalität fehlt, wenn die benachteiligende Person – zB der direkte Vorgesetzte – keine Kenntnis davon hatte, dass die benachteiligte Person ein Hinweisgeber ist. Aus diesem Grund sind Arbeitgeber gut beraten, den Kreis derjenigen Personen, die wissen, dass ein Arbeitnehmer eine hinweisgebende Person ist, so klein wie möglich zu halten.

3. Was droht bei einem Verstoß gegen das Repressalienverbot?

Die als Repressalie eingestufte Maßnahme ist nichtig. Ferner droht dem Unternehmen eine Geldbuße von bis zu EUR 500.000. Bei einem Verstoß gegen das Repressalienverbot ist der Verursacher zudem verpflichtet, der hinweisgebenden Person den daraus entstandenen Schaden zu ersetzen. Nicht in das HinSchG übernommen worden ist die im Gesetzgebungsverfahren zunächst vorgeschlagene Regelung, wonach eine Entschädigung in Geld auch wegen eines Nicht-Vermögensschaden ist, verlangt werden kann. Dies ist als Ergebnis der Verhandlungen im Vermittlungsausschuss gestrichen worden, so dass der Ersatz eines immateriellen Schadens nach dem HinSchG ausgeschlossen ist. Ferner begründet ein Verstoß gegen das Repressalienverbot keinen Anspruch auf die Begründung eines Arbeits- oder Berufsausbildungsverhältnisses oder auf eine Beförderung.

4. Was droht nach einer Falschmeldung des Hinweisgebers?

Insbesondere im „belasteten“ Arbeitsverhältnis besteht ein Missbrauchsrisiko im Hinblick auf das zugunsten des Hinweisgebers geltende Repressalienverbot, denn auf das Motiv des Hinweisgebers für seine Meldung kommt es nicht an. Allerdings drohen einem Mitarbeiter, der die unter 1. genannten Voraussetzungen nachweislich nicht erfüllt, weil er z.B. eine Falschmeldung abgibt, ernsthafte Konsequenzen:

  • Die Identität des Hinweisgebers ist bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Falschmeldung nicht geschützt.
  • Der Hinweisgeber ist zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der aus einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Meldung oder Offenlegung unrichtiger Information entstanden ist. Dieser Anspruch auf Schadensersatz kann Kosten einschließen, die durch die Untersuchung und Aufklärung einer solchen Falschmeldung entstanden sind.
  • Auch dem Hinweisgeber droht neben arbeitsrechtlichen Disziplinarmaßnahmen – bis hin zur außerordentlichen Kündigung – ein Bußgeld bei wissentlicher Offenlegung unrichtiger Informationen.
5. Ist eine Selbstanzeige des Hinweisgebers möglich?

Das HinSchG enthält weder eine ausdrückliche Regelung zur „Selbstanzeige“ des Hinweisgebers, sofern er selbst an den gemeldeten Verstößen beteiligt war, noch sieht es eine „Kronzeugenregelung“ vor. Eine etwaige Selbstanzeige des Hinweisgebers schützt diesen also nicht von Gesetzes wegen vor arbeitsrechtlichen Konsequenzen. Allerdings können „Kronzeugen“ für die Aufklärung komplexer Sachverhalte eine entscheidende Rolle spielen, so dass im jeweiligen Einzelfall geprüft werden sollte, ob Unternehmen hier sinnvolle Anreize setzen können und dürfen.

Dr. Anja Dachner

Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht
Partnerin
Anja Dachner begleitet vorwiegend komplexe, auch grenzüberschreitende Restrukturierungsprojekte. Sie berät ihre Mandanten zudem in Kündigungsrechtsstreitigkeiten, im Bereich des Betriebsverfassungsrechts sowie in der Gestaltung von Anstellungs-, Aufhebungs- und Abwicklungsverträgen. Sie ist Mitglied der Fokusgruppen "Whistleblowing und Compliance" und "Private Equity / M&A".
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