Scheinselbständigkeit kann teuer werden. Als Beispiel mag nur ein in jüngerer Vergangenheit öffentlichkeitswirksam geführter Prozess gegen ein bekanntes deutsches Unternehmen dienen. Dieses hatte jahrelang Mitarbeiter als freie Vertreter bzw. Subunternehmer beschäftigt, obwohl tatsächlich abhängige Beschäftigung vorlag. Geschäftsführer sowie die Personalverantwortlichen wurden zu Bewährungs- und Geldstrafen in teils Millionenhöhe verurteilt. Doch wann liegt eigentlich „echte“ Selbständigkeit und wann abhängige Beschäftigung vor? Dies war in der Vergangenheit von den vertragsschließenden Parteien nicht immer leicht zu beurteilen. Mehr Rechtssicherheit könnte nun ein aktuelles Urteil des BSG vom 31. März 2017 (Az. B 12 R 7/15 R; Volltext liegt noch nicht vor.) schaffen.
Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und Selbständigkeit – die „Basics“
Sicher liegt nicht in jedem Fall von Scheinselbständigkeit zugleich auch strafbares Verhalten vor. Genauso sicher ist jedoch: Teuer wird es in der Regel trotzdem. Denn ist der vermeintlich freie Mitarbeiter eigentlich gar nicht „frei“, sondern abhängig beschäftigt, hätte das Unternehmen für ihn Sozialabgaben abführen müssen. Diese müssen unter Berücksichtigung der Verjährungsfristen von mindestens vier Jahren in aller Regel nachgezahlt werden. Umso wichtiger ist und war für Unternehmen stets die Rechtslage zu kennen und ihre Vertragsbeziehungen möglichst sicher aufzustellen.
Ob nun eine Tätigkeit in abhängiger Beschäftigung ausgeübt wird, richtet sich gem. § 7 Abs. 1 SGB IV danach, ob Weisungsgebundenheit und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation vorliegt. Die Rechtsprechung hat diese abstrakten Tatbestandsmerkmale „mit Leben ausgefüllt“ und eine Vielzahl konkreter Kriterien aufgestellt, die für bzw. gegen eine abhängige Beschäftigung sprechen. So sollen etwa Berichtspflichten des Erwerbstätigen, das Fehlen einer eigenen Betriebsstätte sowie die Gestellung wesentlicher Arbeitsmittel für eine abhängige Beschäftigung sprechen. Die weitgehend freie Wahl der Arbeitszeit sowie die Möglichkeit auch für andere Auftraggeber tätig zu werden, soll hingegen eher für Selbständigkeit sprechen. Ob eine Tätigkeit abhängig oder selbständig verrichtet wird, entscheidet sich sodann im Rahmen einer im Einzelfall durchzuführenden Gesamtabwägung danach, welche Merkmale überwiegen. Die vertragliche Vereinbarung zwischen den Parteien dient hierbei als Ausgangspunkt der Prüfung. Maßgeblich ist letztendlich aber insbesondere auch, wie das Vertragsverhältnis tatsächlich „gelebt“ wird.
Abgrenzung kann im Einzelfall schwierig sein
Bereits die stets vorzunehmende Einzelfallabwägung, welche Kriterien nun tatsächlich überwiegen, vermag Unternehmen vor nicht unerhebliche Herausforderungen stellen. Zugleich hat das Bundessozialgericht in seiner jüngeren Rechtsprechung einige bewährte Kriterien zur Abgrenzung zumindest in Frage gestellt. Dies betrifft beispielsweise das Recht Einzelaufträge abzulehnen oder Freiheiten bei der Gestaltung und der Bestimmung des Umfangs beim Einsatz der eigenen Arbeitskraft (vgl. BSG v. 18.11.2015 – B 12 KR 16/13 R). Dies zeigt einmal mehr, welchen Risiken und Unsicherheiten Unternehmen in der Zusammenarbeit mit freien Mitarbeitern ausgesetzt sind. Jetzt hat das Bundessozialgericht jedoch einen ersten Schritt in Richtung Rechtssicherheit gemacht.
Neu: Berücksichtigung der Honorarhöhe als „gewichtiges“ Kriterium
Der Entscheidung des Bundessozialgerichts lag die Tätigkeit eines Heilpädagogen im Auftrag eines Landkreises auf Grundlage von Honorarverträgen zugrunde. Die Deutsche Rentenversicherung Bund ging von einer abhängigen Beschäftigung aus und forderte Sozialversicherungsbeiträge nach. Das Bundessozialgericht wies die Klage – wie auch bereits die Vorinstanzen – ab. Denn der Heilpädagoge sei nicht abhängig beschäftigt gewesen. Die zwischen ihm und dem Landkreis geschlossenen Honorarverträge sähen vor, dass er weitgehend weisungsfrei arbeiten könne und zudem nicht in die Arbeitsorganisation des Landkreises eingegliedert sei. Die Verträge seien in der Praxis auch wie vereinbart „gelebt“ worden. Sodann betonte das Bundessozialgericht nachdrücklich, auch der Honorarhöhe käme eine gewichtige Rolle zu. Denn liege das Honorar deutlich über dem Arbeitsentgelt eines vergleichbar eingesetzten sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmers und lässt es dadurch Eigenvorsorge zu, sei dies ein gewichtiges Indiz für eine selbständige Tätigkeit.
BSG auf dem Weg zu mehr Rechtssicherheit
Die Einführung eines klar umrissenen Kriteriums wie die Honorarhöhe zur Abgrenzung gegen Scheinselbständigkeit schafft Rechtssicherheit. Denn fehlt es an klar abgrenzbaren Kriterien, sind Unternehmen die wirklich rechtssicher freie Mitarbeiter einsetzen wollen, letztlich darauf angewiesen stets die Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund anzurufen. Dies ist nicht zumutbar. Der bürokratische Aufwand solcher Statusfeststellungsverfahren kann auch nicht im Interesse der Sozialversicherungsträger sein.
Auch ansonsten überzeugt die Entscheidung des Bundessozialgerichts, die Honorarhöhe als gewichtiges Kriterium gegen Scheinselbständigkeit heranzuziehen. Denn die strenge Handhabung der Deutschen Rentenversicherung Bund im Zweifel eine abhängige Beschäftigung anzunehmen, ist bei hohen Honoraren mit Möglichkeit zur Eigenvorsorge nicht gerechtfertigt. Der „Gutverdiener“ mit Möglichkeit zur Eigenvorsorge ist auf den Schutz der Sozialversicherung gerade nicht angewiesen.
Fazit
Die Entscheidung des Bundessozialgerichts ist zu begrüßen. Schafft sie doch ein praktisch handhabbares Kriterium zur Abgrenzung zwischen echter Selbständigkeit und Scheinselbständigkeit.
Dennoch sollten sich Unternehmen allein durch die Vereinbarung von hohen Honoraren mit freien Mitarbeitern nicht auf der sicheren Seite wähnen. Denn ob eine Tätigkeit abhängig oder selbständig verrichtet wird, entscheidet sich auch weiterhin im Rahmen einer Gesamtabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls. Dies hat das Bundessozialgericht ausdrücklich klargestellt.
Ebenfalls unklar bleibt zudem zunächst die praktische Handhabe der Deutschen Rentenversicherung Bund mit Blick auf die neue Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Zumindest in dem von ihr veröffentlichen Kriterienkatalog fehlt derzeit – noch – jeglicher Hinweis auf die Höhe des Honorars als gewichtiges Abgrenzungskriterium. Dies mag sich jedoch schon bald ändern, als bereits erste Landessozialgerichte dem Bundessozialgericht gefolgt sind.
Abzuwarten bleibt auch, wie sich das Bundesarbeitsgericht zu der neuen Rechtsprechung des Bundessozialgericht positioniert. Mehr zu den Bemühungen des Gesetzgebers, den Missbrauch beim Einsatz von Fremdpersonal zu begegnen, finden Sie jedenfalls im Beitrag „Der neue § 611a BGB: Alles neu macht der … April“ von Dr. Frank Zaumseil.