Das Direktionsrecht des Arbeitgebers ist wesentlicher Inhalt eines jeden Arbeitsverhältnisses. Danach kann der Arbeitgeber nach billigem Ermessen näher bestimmen, welche Arbeitsleistungen der Arbeitnehmer wo und wann zu erbringen hat – soweit Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nicht bereits anderweitig festgelegt sind (z.B. durch Gesetz, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung, Arbeitsvertrag). Dementsprechend häufig steht das Direktionsrecht im Fokus arbeitsrechtlicher Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Erst kürzlich lösten zwei aufsehenerregende Entscheidungen des 5. und des 10. Senats des Bundesarbeitsgerichts zur „Folgepflicht“ des Arbeitnehmers bei unbilligen Arbeitgeberweisungen ein veritables Rauschen im arbeitsrechtlichen Blätterwald aus (wir haben hier berichtet).
Darauf, ob eine konkrete Arbeitgeberweisung billigem Ermessen entspricht oder nicht, kommt es allerdings erst im zweiten Schritt an. Zunächst muss eine konkrete Weisung überhaupt durch das Direktionsrecht des Arbeitgebers gedeckt sein. Auch hier sind viele Fragen noch nicht abschließend geklärt – unter anderem die Frage, ob das Direktionsrecht (auch) eine Anordnung von Dienstreisen ins Ausland umfasst. Der 10. Senat des Bundesarbeitsgerichts hat nunmehr Gelegenheit, auch diese Frage zum Direktionsrecht im Rahmen eines Revisionsverfahrens zu klären (Az. 10 AZR 514/17). Denn das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hat kürzlich einen passenden Fall – zu Gunsten des Arbeitgebers – entschieden und die Revision zugelassen (Urteil vom 6. September 2017, Az. 4 Sa 3/17).
… das Gute liegt so nah.
Dem Fall liegt – komprimiert und vereinfacht – folgende Sachlage zu Grunde: Die beklagte Arbeitgeberin entwickelt und konstruiert Maschinen und verkauft diese weltweit – unter anderem nach China. Der Kläger ist seit 1980 bei der beklagten Arbeitgeberin als Projekt- und Konstruktions-Ingenieur beschäftigt. Dienstreisen waren beim Kläger bislang eher die Ausnahme und auf das nahe europäische, zumeist deutschsprachige, Ausland beschränkt. Der Arbeitsvertrag des Klägers regelt weder einen festen Arbeitsort, noch eine explizite Verpflichtung zu Dienstreisen. Er enthält allerdings eine allgemeine Regelung zur Erstattung von Reisekosten.
Im April 2016 schickte die Beklagte den Kläger auf eine dreitägige Dienstreise nach China. Diese verlief offenbar nicht zur Zufriedenheit des Klägers. Denn die Arbeitgeberin habe – aus Sicht des Klägers – nicht für eine angemessene Betreuung vor Ort gesorgt und ihn in einem fragwürdigen Hotel untergebracht. Dies sei Teil einer Strategie, ihn aus dem Betrieb zu drängen. Um zukünftig weitere „unangenehme“ Dienstreisen dieser Art zu vermeiden, trat der Kläger die Flucht nach vorne an: Das Arbeitsgericht sollte feststellen, dass der Kläger schlechthin nicht verpflichtet ist, für die Beklagte im Ausland zu arbeiten.
Nachdem das Arbeitsgericht Stuttgart die Klage abgewiesen hatte, unterlag der Kläger auch in II. Instanz. Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hat dabei einen großzügigen Maßstab angelegt und das Direktionsrecht des Arbeitgebers sehr weitgehend interpretiert.
Der Reihe nach: Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung
Das Direktionsrecht des Arbeitgebers ist in § 106 Satz 1 der Gewerbeordnung geregelt. Danach kann der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung, Tarifvertrag oder gesetzliche Regelungen festgelegt sind. Mit anderen Worten: Auf das Direktionsrecht kommt es immer dort an, wo die zentralen Arbeitsbedingungen nicht anderweitig geregelt sind. Dementsprechend hoch ist die praktische Bedeutung des Direktionsrechts. Denn regelmäßig sind Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung gerade nicht in allen Einzelheiten festgelegt.
Im Fall des „reiseunwilligen“ Ingenieurs ergab die Auslegung des Arbeitsvertrags, dass der Ort der zu erbringenden Arbeitsleistung nicht festgelegt ist. Damit kam es entscheidend darauf an, wie weit das Direktionsrecht hinsichtlich des Arbeitsorts reicht. Insbesondere, ob daraus auch eine Pflicht zu Auslandsdienstreisen abgeleitet werden kann.
Auslandsdienstreisen als Pflicht des modernen Arbeitnehmers
Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hat zur Beantwortung dieser Frage an die – jedem Arbeitsverhältnis zugrundeliegende – Regelung des § 611 BGB angeknüpft. Danach ist jeder Arbeitnehmer „zur Leistung der versprochenen Dienste“ verpflichtet. Welche Dienste im Einzelnen „versprochen“ sind und ob insbesondere Auslandsdienstreisen dazu zählen, sei durch Auslegung zu ermitteln. Dabei komme es maßgeblich auf das Berufsbild und Tätigkeitsprofil des Arbeitnehmers an.
Bei bestimmten Berufsgruppen – wie z.B. Piloten oder Hochseekapitänen – steht außer Frage, dass die Arbeitsleistung (auch) im Ausland zu erbringen ist. Für viele andere Berufsgruppen wird das Auslegungsergebnis indes nicht so eindeutig sein. Einschlägige Rechtsprechung zu dieser Frage existierte bislang nicht.
Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hat sich nunmehr zu einem durchaus bemerkenswerten Vorstoß entschieden und die Auffassung vertreten, heutzutage dürfte ein Großteil der Arbeitnehmer auf Weisung des Arbeitgebers jedenfalls zu gelegentlichen, kurzfristigen Auslandsdienstreisen verpflichtet sein. Denn infolge der Entwicklungen des modernen und international ausgerichteten Wirtschaftslebens habe sich eine Vielzahl von Berufsbildern in den letzten Jahren tiefgreifend gewandelt. Auch Arbeitnehmern verlange dieser Wandel ein erhöhtes Maß an Flexibilität ab. Damit seien Auslandsdienstreisen regelmäßig vom Direktionsrecht abgedeckt. Dies gelte sogar für solche Berufsbilder, bei denen Auslandsdienstreisen früher kaum denkbar waren.
Revision anhängig
Mit seiner Entscheidung hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg einen – jedenfalls aus Arbeitgebersicht – erfreulichen Impuls gesetzt. Denn die Entscheidung trägt den Bedürfnissen vieler Arbeitgeber Rechnung, die in einem gewandelten und immer stärker internationalisierten wirtschaftlichen Umfeld agieren (müssen). Das erfordert Flexibilität – gerade beim vorübergehenden Mitarbeitereinsatz im Ausland und wenn eine ausdrückliche Regelung im Arbeitsvertrag dazu fehlt.
Ob dieser Vorstoß durch das Bundesarbeitsgericht gebilligt werden wird, bleibt abzuwarten. Ausgehend von der konkreten Frage zu Auslandsdienstreisen darf man vor allem darauf gespannt sein, ob und wie sich der 10. Senat grundsätzlich zum Wandel der Berufsbilder und den daraus folgenden Auswirkungen auf das Direktionsrecht und die Durchführung von Arbeitsverhältnissen positioniert. Wir bleiben dran und werden weiter über das Verfahren berichten.
Vertragsgestaltung als wichtige Weichenstellung
Auch dieser Fall macht deutlich: Das Direktionsrecht des Arbeitgebers und seine Begrenzung bzw. Erweiterung durch insbesondere arbeitsvertragliche Regelungen sind von zentraler Bedeutung. Eine klare Vertragsgestaltung ist daher unerlässlich. Je enger Inhalt, Zeit und Ort der Arbeitsleistung vertraglich festgeschrieben sind, desto weniger Flexibilität hat der Arbeitgeber.
Das kann sich auch bei der Beendigung von Arbeitsverhältnissen auswirken. So wird etwa bei betriebsbedingten Kündigungen der Kreis der Mitarbeiter, die in eine Sozialauswahl einzubeziehen sind, maßgeblich durch die Reichweite des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts gegenüber den einzelnen Mitarbeiter beeinflusst. Je enger das Direktionsrecht, desto kleiner der Kreis der in einer Sozialauswahl miteinander zu vergleichender Mitarbeiter – und umgekehrt. Vertragliche Erweiterungen des Direktionsrechts (z.B. durch Auslands- oder Konzernversetzungsklauseln) schaffen insoweit zwar höhere Flexibilität, können aber auch betriebsbedingte Kündigungen erheblich erschweren (diesen Aspekt haben wir hier näher beleuchtet).
Diese „Zweischneidigkeit“ sollten Arbeitgeber bei der Gestaltung von Arbeitsverträgen stets mit bedenken. Pauschale Lösungen verbieten sich hier. Vielmehr gilt es, eine auf die individuelle Struktur und Personalpolitik des Unternehmens abgestimmte Balance zwischen klarer vertraglicher Determinierung und notwendiger Flexibilität zu schaffen und in belastbaren arbeitsvertraglichen Regelungen abzubilden.