Alle Jahre wieder: Betriebsratswahlen. Eine der praktisch wichtigsten Fragen dabei seit jeher: Welche Rolle spielt eigentlich der Arbeitgeber? Ist sein Betrieb die Bühne und er selbst nur Zuschauer (wenn auch mit Logenplatz)? Darf er nur klatschen, oder sind auch Zwischenrufe erlaubt? Oder, um im Bild zu bleiben, kann er sogar Wünsche bei der künftigen Besetzung des Ensembles äußern? Das BAG gibt hierzu in einer aktuellen Entscheidung vom 25.10.2017 – 7 ABR 10/16 – wichtige, neue Hinweise.
Dein Betrieb, unsere Wahlen?
Was die Betriebsratswahlen angeht, benennt das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) eine ganze Reihe von Akteuren. Neben dem Betriebsrat selbst ist dies natürlich vor allem der Wahlvorstand, der die Wahl gem. § 18 Abs. 1 BetrVG einzuleiten, durchzuführen und das Wahlergebnis festzustellen hat. Gem. § 2 Abs. 2 Satz 1 WO hat der Arbeitgeber den Wahlvorstand bei der Aufstellung der Wählerliste zu unterstützen, und alle für deren Anfertigung erforderlichen Auskünfte zu erteilen sowie die erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen. So weit, so gut. Dann wären da ggf. noch der Gesamt- und Konzernbetriebsrat, die bei Fehlen eines Betriebsrats in einem Betrieb an dessen Stelle den Wahlvorstand bestellen können. Und schließlich die Arbeitnehmer, bzw. drei von diesen, die auch gegen den Willen der Mehrheit der Belegschaft eine Wahl initiieren können und selbstverständlich unter den Voraussetzungen der §§ 7, 8 BetrVG aktiv wie passiv an ihr teilnehmen und dabei z.B. im Betrieb für „ihre“ Liste werben dürfen. Im Rahmen einer anstehenden Wahl bzw. nach Bestellung des Wahlvorstands und insbesondere nach der Einleitung der Wahl durch Aushang des Wahlausschreibens, stellt sich dann die Frage aller Fragen: Was macht eigentlich der Arbeitgeber? Schaut er bloß zu, oder kann bzw. darf er sich an den Abläufen beteiligen?
Hier fällt der Blick schnell auf § 20 BetrVG, der u.a. mit „Wahlschutz“ überschrieben ist. In § 20 Abs. 1 BetrVG ist das sog. Wahlbehinderungsverbot geregelt. Demnach darf niemand die Wahl des Betriebsrats behindern, insbesondere darf kein Arbeitnehmer in der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts beschränkt werden. Weiter geht es in § 20 Abs. 2 BetrVG, dem Wahlbeeinflussungsverbot. Danach darf niemand die Wahl des Betriebsrats durch Zufügung oder Androhung von Nachteilen oder durch Gewährung oder Versprechen von Vorteilen beeinflussen. Insoweit wird davon ausgegangen, der Arbeitgeber unterliege bei der Betriebsratswahl einem sog. „Neutralitätsgebot“, d.h. er habe sich mehr oder weniger jeglicher, über allgemeine Wahlaufrufe hinausgehender Handlungen strikt zu enthalten. Anderenfalls riskiere er die Anfechtbarkeit oder sogar Nichtigkeit der Betriebsratswahl und mache sich überdies gem. § 119 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG strafbar (Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe). Wo aber liegt die Grenze? Welche Äußerungen bzw. Handlungen können im Einzelfall zulässig sein? Hierzu hat das BAG in der Entscheidung vom 25.10.2017 – 7 ABR 10/16 – jetzt einige bemerkenswerte Feststellungen getroffen.
Worum ging es in der Entscheidung?
Der der Entscheidung des BAG vom 25.10.2017 zugrundliegende Sachverhalt ist schnell erzählt und umfasst eine Vielzahl von Situationen, wie sie rund um die Betriebsratswahl auftreten können: Drei Arbeitnehmer fochten die Betriebsratswahl unter Berufung auf eine unzulässige Wahlbeeinflussung durch den Arbeitgeber an. Dieser, in Person des Personalleiters bzw. des Geschäftsführers, habe u.a. die Arbeit der damaligen Betriebsratsvorsitzenden auf einer Veranstaltung der außertariflichen Angestellten öffentlich diskreditiert, zur Aufstellung einer „gescheiten“ Liste bei der nächsten Wahl aufgefordert, die außertariflichen Mitarbeiter zur Suche nach geeigneten Mitarbeitern des Unternehmens für einen neuen Betriebsrat aufgefordert, Beschäftigte angesprochen, ob sie sich zur Wahl stellen und den Vorsitz übernehmen wollten, Mitarbeitern des Innendienstes das d’Hondtsche Höchstzahlverfahren präsentiert und geäußert, jeder, der der damaligen Betriebsratsvorsitzenden seine Stimme gebe, beginge „Verrat“. Die Intervention der Geschäftsleitung habe zur Gründung einer weiteren Liste geführt und damit entscheidenden Einfluss auf das Wahlergebnis gehabt. Nachdem das Arbeitsgericht die Anträge zurückgewiesen hatte, gab das Landesarbeitsgericht ihnen nach Beweisaufnahme statt. Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde zum BAG hatte Erfolg. Die Wahl sei nach Auffassung des BAG nicht anfechtbar.
Welches sind die zentralen Aussagen?
Mit Blick auf den Vorwurf der unzulässigen Wahlbeeinflussung sind dabei zunächst die folgenden Aussagen des BAG zu § 20 Abs. 2 BetrVG von grundsätzlicher Bedeutung:
- Aus der Vorschrift lasse sich nicht ableiten, dass jedes nicht strikt neutrale Verhalten des Arbeitgebers im Zusammenhang mit den Betriebsratswahlen zur Anfechtung berechtigen könne.
- Die Vorschrift untersage nicht jede Handlung oder Äußerung, die geeignet sein könne, die Wahl zu beeinflussen. Die Beeinflussung müsse vielmehr durch Zufügung oder Androhung von Nachteilen oder durch Gewährung oder Versprechen von Vorteilen erfolgen.
- Sie schütze die innere Willensbildung des Arbeitnehmers, um eine freie Wahlentscheidung zu gewährleisten. Dazu bedürfe es keiner allgemeinen „Neutralitätspflicht“ des Arbeitgebers.
- Aus § 20 Abs. 2 BetrVG folge keine Verpflichtung des Arbeitgebers, sich jeder kritischen Äußerung über den bestehenden Betriebsrat oder einzelner seiner Mitglieder im Hinblick auf eine zukünftige Wahl zu enthalten.
Welche konkreten Handlungen wurden wie beurteilt?
Mit Blick auf bestimmte Handlungen des Arbeitgebers führt das BAG weiter aus:
- Von einer unzulässigen Wahlbeeinflussung ginge das Gesetz nicht schon dann aus, wenn der Arbeitgeber nur seine Sympathie mit bestimmten Listen oder Kandidaten
- In der im konkreten Fall zu erkennenden „Gesamtstrategie“ des Arbeitgebers liege noch kein Verstoß gegen das Verbot der Wahlbeeinflussung gem. § 20 Abs. 2 BetrVG.
- Mit der Äußerung, wer die damalige Betriebsratsvorsitzende wähle, beginge „Verrat“, sie dürfe auf keinen Fall wiedergewählt werden, habe der Personalleiter deren möglichen Wählern keine Nachteile angedroht.
- Alleine die Anregung, eine alternative, möglicherweise „arbeitgeberfreundliche“ Liste aufzustellen und das gezielte Werben um die Kandidatur auf dieser Liste erfülle noch nicht die Voraussetzungen einer verbotenen Wahlbeeinflussung gem. § 20 Abs. 2 BetrVG.
- Auch mit einer „tendenziösen“ Präsentation des d’Hondtschen Höchstzahlverfahrens vor Führungskräften seien noch keine Vorteile für noch nicht existente zukünftige oppositionelle Wahlvorschlagslisten in Aussicht gestellt worden.
Warum in der Praxis dennoch Vorsicht geboten ist
Die Entscheidung des BAG erscheint bahnbrechend arbeitgeberfreundlich. Sie schafft erfreuliche Klarheit dahingehend, dass der Arbeitgeber sich im Zusammenhang mit den Betriebsratswahlen grundsätzlich auch kritisch äußern darf und insofern nicht zwingend „Zuschauer“ bleiben muss. Auch die konkrete Beurteilung einzelner Handlungsweisen (z.B. der Sympathiebekundung für eine bestimmte Liste) gibt den Unternehmen verlässliche Leitlinien an die Hand. Dennoch ist in der Praxis Vorsicht geboten. Es wäre nämlich unzutreffend und gefährlich, die Ausführungen des BAG zu verallgemeinern und daraus nun einen „Freibrief“ o.ä. für den Arbeitgeber abzuleiten. Stattdessen gilt unverändert der Grundsatz, dass jeder Fall anders liegt und ein beabsichtigtes Verhalten deswegen immer gesondert auf seine rechtliche Zulässigkeit in eben diesem Einzelfall geprüft werden muss. Die Betriebsratswahlen sind vom Gesetzgeber aus guten Gründen streng geschützt und die insoweit gezogenen Grenzen vom Arbeitgeber zwingend zu beachten. Bei Fehlverhalten droht nicht nur eine zeit- und kostenintensive Anfechtung der Wahl einschließlich Neuwahlen, sondern auch ein Strafverfahren.