open search
close
Betriebsratswahl 2022 Neueste Beiträge

Schulungsanspruch für Betriebsratsmitglieder – auch noch kurz vor der Wahl?

Print Friendly, PDF & Email

Noch bis zum 31. Mai 2022 finden in ganz Deutschland ordentliche Betriebsratswahlen statt. Auch unmittelbar vor der Wahl sehen sich Arbeitgeber noch mit Schulungsansprüchen von Betriebsratsmitgliedern konfrontiert, die diese noch kurz vor Ablauf der Amtszeit einfordern. Doch der Arbeitgeber muss die Schulungskosten insbesondere bei fehlender Erforderlichkeit so kurz vor der Wahl nicht mehr zwingend tragen.

Die Teilnahme von Betriebsratsmitgliedern an Schulungsveranstaltungen führt in der Praxis immer wieder zu Streit. Da Arbeitgeber die Kosten der Betriebsratsschulung einschließlich der Vergütungsfortzahlung vollständig zu übernehmen haben, besteht durchaus Missbrauchsgefahr. Insbesondere kurz vor den Wahlen und dem Ende der Amtszeit des Betriebsrats, wird das Betriebsratsmitglied womöglich keine Gelegenheit mehr haben, die vermittelten Kenntnisse während seiner Amtszeit einzusetzen. Muss der Arbeitgeber dennoch die Kosten für die Teilnahme von Betriebsratsmitgliedern an Schulungsveranstaltungen vor der Wahl tragen?

Kostentragungspflicht des Arbeitgebers nur bei Erforderlichkeit

Ist die Teilnahme an der Schulungsmaßnahme erforderlich, so hat der Arbeitgeber die Kosten der Betriebsratsschulung einschließlich einer ggf. erforderlichen Unterbringung am Schulungsort vollständig zu übernehmen. Zudem hat ein Betriebsratsmitglied für die Zeit der Teilnahme an einer erforderlichen Schulungsveranstaltung nicht nur Anspruch auf Freistellung von seiner Pflicht zur Arbeitsleistung, sondern auch auf die Fortzahlung seiner vertragsgemäßen Vergütung. Voraussetzung für die Kostentragungspflicht des Arbeitgebers ist jedoch, dass die Schulungsveranstaltung dem Betriebsratsmitglied Kenntnisse vermittelt, die für die Arbeit des Betriebsrats erforderlich sind.

Für die Beurteilung der Erforderlichkeit ist zwischen sog. Grundlagenschulungen, also solchen, die der Vermittlung von Grundkenntnissen, durch die das Betriebsratsmitglied erst in die Lage versetzt werden soll, seine sich aus der Amtsstellung ergebenden Rechte und Pflichten ordnungsgemäß wahrzunehmen, und anderen Schulungsveranstaltungen zu unterscheiden, bei denen ein aktueller, betriebsbezogener Anlass für die Schulung bestehen muss. Grundsätzlich bedarf es bei letzteren der Darlegung eines betriebsbezogenen Schulungsbedarfs durch den Betriebsrat. Bei den Grundschulungen wird der betriebsbezogene Schulungsbedarf hingegen vermutet, es sei denn das zu schulende Betriebsratsmitglied verfügt bereits über das erforderliche Grundwissen.

Fehlt es kurz vor der Wahl an der Erforderlichkeit?

An der Erforderlichkeit kann es fehlen, wenn die Schulung erst kurz vor Ende der Amtszeit des Betriebsrats stattfindet und der Betriebsrat zum Zeitpunkt seiner Beschlussfassung absehen kann, dass das zu schulende Mitglied bis zum Ablauf der Amtszeit die auf der Schulung vermittelten Kenntnisse nicht mehr einsetzen kann. Dem Betriebsrat kommt bei solchen Schulungen ein Beurteilungsspielraum zu. Dieser Beurteilungsspielraum ist nach Ansicht des BAG (BAG vom 7. Mai 2008 – 7 AZR 90/07) jedoch überschritten, wenn für den Betriebsrat im Zeitpunkt der Beschlussfassung absehbar war, dass das zu schulende Betriebsratsmitglied in seiner verbleibenden Amtszeit das vermittelte Wissen nicht mehr benötigt. Dies setzt eine hinreichend sichere Einschätzung des Betriebsrats über die bis zum Ende der Amtszeit noch anfallenden Betriebsratsaufgaben voraus. Dazu kann es auch eines Abgleichs des Themenplans der Veranstaltung mit den Vorkenntnissen des zu schulenden Betriebsratsmitglieds bedürfen.

Je kürzer die verbleibende Amtszeit, desto eher spricht dies gegen die Erforderlichkeit der Schulungsmaßnahme. Insbesondere bei Schulungen zu Spezialthemen wird man Hinblick auf die Frage der Erforderlichkeit stets die Frage nach dem aktuellen, betriebsbezogenen Anlass für die Schulungsmaßnahme stellen müssen. Unter Zugrundelegung diesen Grundsätzen ist die Frage der Erforderlichkeit der Teilnahme eines Betriebsratsmitglieds (nicht nur) kurz vor der Wahl immer eine Einzelfallentscheidung.

Praxishinweis

Auch wenn das BAG dem Betriebsrat einen weiten Beurteilungsspielraum bei der Frage der Erforderlichkeit von Schulungsmaßnahnahmen einräumt, so sollten Arbeitgeber dennoch – insbesondere so kurz vor der Wahl – im Einzelfall prüfen, ob eine Kostenübernahme tatsächlich angezeigt ist.

Ebenso relevant ist in der Praxis die Frage, welche konkreten Kosten bei der Durchführung der Schulung erforderlich sind. Dabei geht es meist um Fahrt- und Hotelkosten. Häufig stehen an den Veranstaltungsorten günstigere Hotels zur Verfügung als das vom Schulungsanbieter ausgewählte Tagungshotel. Hier gilt nach der Rechtsprechung des BAG der Grundsatz, dass etwaige Reiserichtlinien oder Betriebsvereinbarungen über die Durchführung von Dienstreisen auch für Betriebsratsmitglieder bei Schulungsveranstaltungen gelten (BAG vom 28. März 2007 – 7 ABR 33/06). Arbeitgeber können und sollten die Übernahme höherer Kosten unter Verweis auf das Begünstigungsverbot nach § 78 Satz 2 BetrVG ablehnen.

Verwandte Beiträge
Betriebsrat Individualarbeitsrecht Neueste Beiträge Weiterbildung

Webinar oder Präsenzschulung? – Freie Wahl für den Betriebsrat?

Webinare erfreuen sich bei Schulungsteilnehmern zunehmender Beliebtheit und gelten seit der COVID-19-Pandemie als Standardangebot bei Fortbildungsprogrammen in allen Themengebieten. Als wesentliche Vorteile stehen insbesondere Kosten- und Zeitersparnis sowie die Ortsunabhängigkeit im Vordergrund. Doch kann der Arbeitgeber Betriebsräte bei der Auswahl von Schulungsveranstaltungen auch auf digitale Angebote beschränken? Kostenübernahme und Freistellung für Betriebsratsschulungen Für eine ordnungsgemäße Betriebsratsarbeit muss der Betriebsrat nicht nur über die zur Amtsführung…
Betriebsrat Neueste Beiträge

Taktik und Demokratie bei der Betriebsratswahl

Der Presse war in den letzten Wochen zu entnehmen, dass bei dem US-amerikanischen Autohersteller Tesla an dessen Standort in Grünheide (Brandenburg) der Versuch einer Neuwahl des Betriebsrats unternommen und gescheitert war. Das Arbeitsgericht Frankfurt Oder hatte in einer Entscheidung vom 12.02.2024 einem Antrag der IG-Metall stattgegeben. Danach war der Wahlversuch aus förmlichen Gründen abzubrechen, weil die Neuwahl nach § 13 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG erst 24…
Betriebsrat Neueste Beiträge

Betriebsratsschulungen 2.0: Können Arbeitgeber den Betriebsrat auf kostengünstigere Webinare verweisen?

Nein, meint das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf in einem Beschluss vom 24.11.2022 (Az. 8 TaBV 59/21), zu dem bislang nur die Pressemitteilung vorliegt. Das LAG begründet dies damit, dass der Betriebsrat davon ausgehen dürfe, dass bei einer Präsenzschulung ein höherer „Lerneffekt“ bestehe. Dies wiederum rechtfertige erhebliche Mehrkosten für die Präsenzschulungen – also Kosten für Anreise, Verpflegung und Übernachtung. Eine nicht auf ganzer Linie überzeugende Entscheidung, wie…
Abonnieren Sie den kostenfreien KLIEMT-Newsletter.
Jetzt anmelden und informiert bleiben.

 

Die Abmeldung ist jederzeit möglich.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert