Erteilt ein Arbeitgeber ein Zwischenzeugnis, in dem er dem Arbeitnehmer insbesondere ein „immer einwandfreies Verhalten gegenüber Vorgesetzten und Kollegen“ bescheinigt, handelt er widersprüchlich, wenn er den Arbeitnehmer kurz darauf wegen angeblich groben Fehlverhaltens vor Zeugniserstellung kündigt. So entschied das LAG Hamm am 3. Mai 2022.
Bei der Erteilung von Zeugnissen besteht für Arbeitgeber ein Spannungsfeld. Einerseits hat die Erteilung eines Zeugnisses grundsätzlich mit verständigem Wohlwollen gegenüber dem Arbeitnehmer zu erfolgen. Dies bedeutet, dass der Inhalt des Zeugnisses dem Arbeitnehmer das weitere berufliche Fortkommen nicht ungerechtfertigt erschweren soll. Auf der anderen Seite muss das Zeugnis jedoch auch der Wahrheit entsprechen. Möchten sich Arbeitgeber von Arbeitnehmern trennen, ist ein gutes Zwischenzeugnis schnell ausgestellt. Dieses Vorgehen kann sich jedoch insbesondere im Rahmen verhaltensbedingter Kündigungen als fatal erweisen, da erteilten Zeugnissen in der gerichtlichen Prüfung eine hohe Bindungswirkung zukommt. Dies zeigte sich zuletzt an einem vor dem LAG Hamm verhandelten Kündigungsschutzrechtsstreit (Az.: 14 Sa 1350/21).
Der Fall
Der klagende Arbeitnehmer war seit 2012 bei dem beklagten Arbeitgeber beschäftigt. Bereits im Jahr 2015 hatte der Arbeitgeber gegenüber dem Kläger eine Kündigung ausgesprochen. Im Rahmen des sich daran anschließenden Kündigungsschutzverfahrens einigte man sich jedoch außergerichtlich über die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses. In der Folgezeit ereigneten sich jedoch weitere Vorfälle. Unter anderem soll der Kläger seinen damaligen Vorgesetzten beleidigt sowie eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu spät eingereicht haben. Im Jahr 2021 kam es zu einer weiteren Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und dem Geschäftsführer des Arbeitgebers u.a. betreffend die Erteilung eines Zwischenzeugnisses, welches der Kläger jedoch noch im Laufe desselben Tages vom Arbeitgeber erhielt. Das Zwischenzeugnis enthielt folgenden Passus hinsichtlich der Leistungs- und Verhaltensbeurteilung des Arbeitnehmers:
„Herr A. hat sich schnell in den Bereichen eingearbeitet. Er erledigt die ihm übertragenen Arbeiten stets zu unserer vollsten Zufriedenheit. Sein Verhalten gegenüber Vorgesetzten und Kollegen ist immer einwandfrei.“
Am darauffolgenden Tag kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise ordentlich und begründete dies mit dem vom Kläger gezeigten inakzeptablen Verhalten gegenüber seinem Vorgesetzten und seinen Kollegen.
Die Entscheidung des LAG Hamm
In erster Instanz hatte das Arbeitsgericht Bocholt der Kündigungsschutzklage des Klägers stattgegeben. Auch die Berufung des Arbeitgebers vor dem LAG Hamm blieb nun ohne Erfolg. Das LAG Hamm führte aus, dass sowohl die außerordentliche als auch die ordentliche Kündigung unwirksam sei.
Insbesondere sei es nicht entscheidungserheblich, ob in dem Verhalten des Klägers ein wichtiger bzw. verhaltensbedingter Grund zu sehen sei. Wegen des im Hinblick auf das erteilte Zwischenzeugnis widersprüchlichen Verhaltens des Arbeitgebers könne sich dieser nicht mehr auf die von ihm angeführten Gründe berufen. Darin läge ein Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben nach § 242 BGB, was im Ergebnis zur Unwirksamkeit der Kündigung geführt habe.
Bindungswirkung erteilter Zeugnisse
Erteilt ein Arbeitgeber nämlich ein Zeugnis, ist er an dessen Inhalt grundsätzlich gebunden und kann sich mit – insbesondere unmittelbar auf die Erteilung des Zeugnisses – folgenden (Rechts-)Handlungen grundsätzlich nicht in Widerspruch hierzu setzen. Der Arbeitgeber muss sich dann an seiner früheren Erklärung festhalten lassen.
Widersprüchliche Kündigungen sind unwirksam
Nach diesen Grundsätzen erweist sich eine Kündigung wegen widersprüchlichen Verhaltens als rechtsmissbräuchlich und damit unwirksam, wenn der Arbeitgeber ein Zwischenzeugnis mit überdurchschnittlicher Leistungs- und Verhaltensbeurteilung erteilt („stets zu unserer vollsten Zufriedenheit“ und „immer einwandfrei“) und unmittelbar nach der Erteilung des Zeugnisses eine Kündigung wegen vorangegangenen Verhaltens ausspricht.
Durch die verwendeten Formulierungen bringt der Arbeitgeber klar zum Ausdruck, dass das Verhalten des Arbeitnehmers bis zum Zeitpunkt der Zeugniserstellung nicht zu beanstanden war und begründet damit auch ein schutzwürdiges Vertrauen des Arbeitnehmers in diese Beurteilung. Auch wenn die Beurteilung – wie vom Arbeitgeber im vorliegenden Fall vorgetragen – nicht der Wahrheit entspricht, hat sich der Arbeitgeber durch die Aushändigung des Zeugnisses gegenüber seinem Arbeitnehmer dahingehend gebunden, eine möglicherweise schlechtere Leistungs- und Verhaltensbeurteilung nicht mehr zu seinen Lasten zu berücksichtigen. Die Berufung des Arbeitgebers auf einen vor Zeugniserstellung liegenden verhaltensbedingten (wichtigen) Kündigungsgrund ist daher nicht mehr möglich.
Praxishinweise
Die Bindungswirkung von (Zwischen)Zeugnissen sollten Arbeitgeber stets im Auge haben. Insbesondere sollten Arbeitgeber davon Abstand nehmen, Arbeitnehmern ungeprüft auf deren Verlangen „Gefälligkeits“-Zwischenzeugnisse zu erteilen. Vielmehr sollte vor der Erteilung eines Zwischenzeugnisses immer geprüft werden, ob der geltend gemachte Anspruch auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses tatsächlich besteht. Dies ist nämlich regelmäßig nur dann der Fall, wenn Arbeitnehmer ein berechtigtes Interesse vorweisen können. Ein solches berechtigtes Interesse besteht beispielsweise bei einer Versetzung, einem Wechsel des Vorgesetzten oder einer bevorstehenden Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Liegt ein solches berechtigtes Interesse vor, ist dringend zu empfehlen, sich bei der Erstellung des Zeugnisses an die Zeugniswahrheit zu halten.