Der Strukturwandel in der (Automobil)industrie treibt nicht nur die Wirtschaft um, sondern auch den Gesetzgeber. Das erst junge Qualifizierungschancengesetz wird nun bereits nachgebessert. Qualifikation als essentieller Baustein der Transformation und Qualifizierungsoffensive: Hat der Koalitionsausschuss mit seinem Maßnahmenpapier vom 29.01.2020 die Chancen für Arbeitgeber und Beschäftigte in der Transformation wirklich verbessert? Dies klärt der folgende Beitrag.
Änderungen am Qualifizierungschancengesetz
Die Frage, wie hilfreich das Gesetz bei den immensen Aufgaben ist, vor denen Arbeitgeber und auch Gewerkschaften und Betriebsräte stehen, wurde bereits in diesem Beitrag aus Juli letzten Jahres erörtert.
Zum einen soll die Förderung beruflicher Qualifizierung in Transfergesellschaften ausgebaut werden, um den Übergang in neue Beschäftigung besser als bislang zu unterstützen:
- Während des Bezugs von Transferkurzarbeitergeld können in kleineren und mittleren Unternehmen (weniger als 250 Beschäftigte) künftig bis zu 75 % der Weiterbildungskosten durch die Bundesagentur für Arbeit übernommen werden (bisher waren nur 50% möglich).
- Weiterbildung, die geeignet ist, den Übergang in neue Beschäftigung zu unterstützen, soll künftig unabhängig vom Lebensalter und von der bisher erworbenen formalen Qualifikation der Beschäftigten gefördert werden.
- Auch soll es ermöglicht werden, Qualifizierungen über das Ende des Bezugs von Transferkurzarbeitergeld hinaus zu fördern. Dadurch soll die Durchführung von längeren Weiterbildungsmaßnahmen schon während des Bezugs von Transferkurzarbeitergeld und deren Fortsetzung nach Ende der Zahlung dieser Leistung ermöglicht werden (zu den ergänzenden Maßnahmen im Hinblick auf den Bezug von Kurzarbeitergeld siehe dazu den letzten Blogbeitrag.
Zum anderen soll auch die Anwendung des Qualifizierungschancengesetzes für Unternehmen wie Beschäftigte besser handhabbar gemacht und die Förderung zielgenau verbessert werden:
- Am Prinzip der Individualförderung der beruflichen Weiterbildung soll zwar nach wie vor festgehalten werden, jedoch soll es auch die Möglichkeit geben, sogenannte Sammelanträge zu stellen. Diese können die Ausgabe von Bildungsgutscheinen im Einzelfall dann ersetzen, wenn eine Gruppe von Beschäftigten mit vergleichbarer Ausgangsqualifikation, vergleichbarem Bildungsziel und vergleichbarer Fördernotwendigkeit qualifiziert werden soll.
- Das Zertifizierungsverfahren wird entbürokratisiert und bei den Bundesdurchschnittskostensätzen wird sichergestellt, dass auch dass auch Weiterbildungsmaßnahmen mit geringeren Teilnehmerzahlen finanziert werden können.
- Zur Verbesserung der Förderung soll die Beteiligung der Bundesagentur für Arbeit an den Lehrgangskosten und der Arbeitsentgeltzuschuss unabhängig von der Betriebsgröße um jeweils 10 Prozentpunkte erhöht werden, wenn die beruflichen Kompetenzen von mindestens 20 Prozent der Beschäftigten eines Betriebes durch Weiterbildung angepasst werden müssen.
- Bei Vorliegen einer Betriebsvereinbarung über die berufliche Weiterbildung oder eines Tarifvertrages, der betriebsbezogen berufliche Weiterbildung vorsieht, wird eine um fünf Prozentpunkte höhere Förderung ermöglicht.
- Die Gewährung von Weiterbildungsprämien für erfolgreiche Zwischen- und Abschlussprüfungen wird bis zum Ende des Jahres 2023 verlängert.
Bewertung und Fazit
Die Verbesserungen sind allesamt zu begrüßen. Insbesondere die erhöhten Förderungen für kleinere Unternehmen, die Möglichkeit, Sammelanträge zu stellen und die Erhöhung der Förderung bei Vorliegen eines Qualifizierungstarifvertrages oder einer Betriebsvereinbarung treffen genau den Bedarf in der Praxis. Dennoch bleibt die grundlegende Kritik an dem Gesetz: Mit den von der Agentur für Arbeit bereitgestellten Bildungsmaßnahmen wird oft eben nicht der spezifische Bedarf in den Unternehmen gedeckt. Zur größtmöglichen Nutzung der staatlichen Fördermittel werden dennoch Maßnahmen angeboten, ob nun sinnhaft oder nicht. Es besteht das Risiko einer neuen „Weiterqualifizierungsindustrie“, die von den Fördermitteln lebt und bei der Bedarfe der Arbeitgeber unerkannt und Potentiale der Mitarbeiter ungenutzt bleiben. Dieser Gefahr sollten Betriebs- und Sozialpartner durch möglichst viele maßgeschneiderte Vereinbarungen wenigstens im Ansatz versuchen, zu begegnen.