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Durch Corona publik gewordene Missstände in Fleischindustrie: Das bringt das neue Gesetz

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Im Zuge der Corona-Pandemie sind zum Teil Missstände in der Fleischindustrie zutage getreten, nachdem es zu zahlreichen COVID-19-Fällen unter den Beschäftigten der Schlachthöfe kam. Grund hierfür waren unter anderem Verstöße gegen Hygiene-, Abstands- und Sicherheitsbestimmungen. Als Reaktion auf diese Vorfälle wurde das am 1. Januar 2021 in Kraft getretene Arbeitsschutzkontrollgesetz auf den Weg gebracht. Es soll vor allem die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie verbessern. Allerdings beschränken sich die Vorgaben nicht nur auf die Branche. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die Neuerungen und einen Ausblick auf die damit verknüpften Streitigkeiten vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG).

Mehr Kontrollen, höhere Bußgelder

Die branchenunabhängigen Regelungen beziehen sich auf die Kontrolle und Durchsetzung der Vorgaben des Arbeitsschutzgesetzes. Vor allem zwei Aspekte sind für die Praxis wichtig:

  • Nach dem neu eingefügten § 21 Abs. 1a ArbSchG sollen die zuständigen Landesbehörden künftig (und zwar in allen Branchen) sicherstellen, dass im Laufe eines Kalenderjahres eine Mindestanzahl an Betrieben kontrolliert wird. Ab dem Jahr 2026 beträgt diese „Mindestbesichtigungsquote“ 5 Prozent der im jeweiligen Land vorhandenen Betriebe. Dabei gilt: Je höher das „Gefährdungspotential“ des Betriebs, desto mehr Kontrollen sollen stattfinden.
  • Die Bußgelder für Ordnungswidrigkeiten gem. § 25 ArbSchG wurden außerdem auf bis zu 30.000 Euro.

Es bleibt abzuwarten, ob auch das Personal der zuständigen Landesbehörden für diese Kontrollen entsprechend aufgestockt wird. Nichtsdestotrotz müssen sich vor allem Arbeitgeber in Branchen mit einem höheren Risiko von Verstößen auf mehr Kontrollen in den kommenden Jahren einstellen.

Verbote von Fremdpersonal

Das Kernstück der Novelle sind die Regelungen für die Fleischwirtschaft. In der fleischverarbeitenden Industrie war der Fremdpersonalanteil – über Werkverträge und Leiharbeit – zuletzt oftmals hoch. Infolge dieser Auftragsstruktur hat sich eine eigene Branche von Kooperationspartnern der Fleischindustrie entwickelt, die auf Werkverträge sowie die Arbeitnehmerüberlassung in der Fleischindustrie spezialisiert ist.

Diese Praxis muss sich auf Grundlage des Arbeitsschutzkontrollgesetz grundlegend ändern. Das Gesetz enthält unter anderem ein generelles Verbot von Werkverträgen in der Schlachtung und Zerlegung seit dem 1. Januar 2021. Ab dem 1. April 2021 ist der Einsatz von Leiharbeitnehmern im Kerngeschäft nur noch sehr eingeschränkt und für einen Übergangszeitraum von drei Jahren möglich. Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem Schlachten, Zerlegen und der Fleischverarbeitung müssen künftig also von der Stammbelegschaft durchgeführt werden; es gilt der Grundsatz der „Direktanstellung“  – eine Vorgabe, die dem Arbeitsrecht bislang fremd war.

Elektronische Zeiterfassung in der Fleischindustrie

Eine bemerkenswerte Änderung enthält zudem § 6 Abs. 1 des Gesetzes zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft („GSA Fleisch“). Als weitere Maßnahme des Arbeitsschutzes wird dort festgelegt, dass „unmittelbar bei Arbeitsaufnahme sowie Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit jeweils am Tag der Arbeitsleistung elektronisch und manipulationssicher aufzuzeichnen und diese Aufzeichnung elektronisch aufzubewahren“ ist. Die gesetzlich angeordnete Pflicht zur elektronischen Zeiterfassung setzt somit in der Fleischwirtschaft erstmals die Vorgaben des EuGH-Urteils in der Rechtssache „CCOO“ (EuGH vom 14. Mai 2019, C-55/18) zur Zeiterfassung um. Zugleich macht die Gesetzesbegründung deutlich, dass auch eine manuell ausgefüllte Excel-Tabelle den Anforderungen an eine angemessene „elektronische und manipulationssichere Aufzeichnung“ genügt.

Streit vor dem Bundesverfassungsgericht

Die dargestellten Vorgaben zur Fremdvergabe und der Zeiterfassung sind keineswegs abschließend, sondern werden ergänzt z.B. durch Vorschriften zu den zu recht bemängelten Gemeinschaftsunterkünften der Beschäftigten. Ausnahmen von den Vorgaben zur Arbeitszeiterfassung und der Fremdvergabe gelten lediglich für Betriebe mit weniger als 50 Beschäftigten im „Fleischerhandwerk“.

Erwartungsgemäß trifft das Arbeitsschutzkontrollgesetz auf wenig Gegenliebe in der Fleischindustrie. Bereits vor Inkrafttreten hatte das Bundesverfassungsgericht daher über mehrere Eilanträge zu entscheiden. Die in den Kernbereichen der Fleischwirtschaft tätigen Antragsteller wandten sich insbesondere gegen das Fremdpersonal- und das Kooperationsverbot. Ein Teil der Anträge wurde als unzulässig abgewiesen, da die für ein verfassungsgerichtliches Eilverfahren drohenden schweren Nachteile nicht hinreichend dargelegt wurden. Mehrbelastungen, die durch das Einstellen von Personal entstehen, genügen hierfür nach Auffassung des BVerfG nicht. Ebenso blieben die von den Inhabern von Werkvertrags- und Leiharbeitsunternehmen eingelegten Anträge in der Sache erfolglos. Im Rahmen der Folgenabwägung überwiegen die dargelegten Interessen nicht eindeutig die Ziele des Gesetzes, so das BVerfG (BVerfG vom 29. Dezember 2020 – 1 BvQ 152/20; 1 BvQ 165/20).

Ausgang der Hauptverfahren offen

Im noch folgenden Hauptverfahren wird das Bundesverfassungsgericht zu prüfen haben, ob die Begrenzung von Leiharbeit und das Verbot von Werkverträgen mit der unternehmerischen Freiheit aus Art. 12 GG vereinbar sind. Ohne Frage stellen die Maßnahmen einen Eingriff dar. Welche Dringlichkeit das Gericht für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie erkennt, und ob es die beschriebenen Regelungen für geeignet und erforderlich hält, wird daher mit Spannung erwartet.

Mit freundlicher Unterstützung von Fiora Wällermann, Referendarin am Standort Hamburg

KLIEMT.Arbeitsrecht




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