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Schließlich gibt’s Homeoffice: Änderungskündigung zwecks Versetzung an anderen Ort unwirksam?

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Ist eine Änderungskündigung zwecks Versetzung an einen anderen Ort zulässig, wenn der Arbeitnehmer seiner Tätigkeit aus dem Homeoffice weiterhin hätte nachgehen können? Nach Ansicht des Arbeitsgerichts Berlin: Nein! So jedenfalls in einer Einzelfallentscheidung vom 10.08.2020 (19 Ca 13189/19), in der das Arbeitsgericht einer Änderungskündigung zur Zuweisung eines anderen Arbeitsortes (Wuppertal statt Berlin) eine Absage erteilt hat, weil die betroffene Arbeitnehmerin ihre Arbeit bei den vorhandenen technischen Voraussetzungen ebenso aus dem Homeoffice in Berlin hätte verrichten können. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie spielten – in arbeitsrechtlicher Hinsicht – in der Entscheidung eine nicht unerhebliche Rolle.

Worum ging es?

Gegenstand der Entscheidung war die Frage der sozialen Rechtfertigung einer ordentlichen Änderungskündigung, durch die eine Änderung des Arbeitsortes herbeigeführt werden sollte. Die Arbeitnehmerin arbeitete in der Berliner Niederlassung der mit Hauptsitz in Wuppertal ansässigen Arbeitgeberin. Infolge der Stilllegung der Berliner (und vier weiterer) Niederlassung(en) kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis und bot die ansonsten unveränderte Fortsetzung der Tätigkeit in Wuppertal an. Zukünftig sollten alle Vertriebstätigkeiten in Wuppertal angesiedelt werden. Bei der Arbeitgeberin existiert eine Rahmenrichtlinie, die die Möglichkeit der Telearbeit grundsätzlich vorsieht. Die Arbeitnehmerin lehnte das Änderungsangebot mit dem Hinweis auf die Telearbeit-Rahmenrichtlinie sowie darauf ab, sie könne ihre Tätigkeit auch aus dem Homeoffice erbringen. Denn sie arbeite bereits vollständig digital mittels elektronischer Aktenführung. Auch ihr Ehemann arbeite bei derselben Arbeitgeberin am häuslichen Arbeitsplatz im gemeinsamen Haushalt.

Entscheidung des Arbeitsgerichts Berlin

Das Arbeitsgericht sah in der Homeoffice-Tätigkeit eine zulässige Weiterbeschäftigungsmöglichkeit, die als milderes Mittel dem Ausspruch der Änderungskündigung mit Versetzung nach Wuppertal vorginge. Grundsätzlich habe die Arbeitnehmerin zwar keinen Anspruch auf eine Tätigkeit auf dem häuslichen Arbeitsplatz. Maßgeblich seien jedoch immer sämtliche Umstände des Einzelfalls. Diese sprachen hier nach Ansicht des Gerichts für eine Weiterbeschäftigung im Homeoffice. Denn erstens habe die Arbeitnehmerin substantiiert dargelegt, dass ihre Tätigkeit insoweit digitalisiert sei, dass sie diese von zu Hause aus erbringen könne; zweitens sei die Tätigkeiten im Homeoffice aufgrund der kollektivrechtlichen Vereinbarung im Unternehmen üblich. Die Arbeitgeberin hingegen – und das dürfte für die Entscheidung zugunsten der Klägerin entscheidend gewesen sein – habe trotz eines schriftlichen Hinweises des Gerichts nicht dargelegt, warum die physische Präsenz in Wuppertal zur Erfüllung der arbeitsvertraglich geschuldeten Pflichten notwendig war. Letztlich schließt das Arbeitsgericht Berlin seine Entscheidungsgründe mit den Worten: „Angesichts der nunmehr deutlich stärker erfolgten Verbreitung elektronischen Arbeitens von zu Hause aus durch die Corona-Krise erscheint das Verhalten der Beklagten als aus der Zeit gefallen und letztlich willkürlich.“.

Bewertung der Entscheidung

Ist dies das Ende der betriebsbedingten Änderungs-/Beendigungskündigung infolge der Verlagerung von Arbeitsaufgaben? Wir meinen nein! Es handelt sich hier um eine Einzelfallentscheidung, die sich nicht pauschal auf andere Sachverhalte übertragen lässt. Folgende Grundsätze, die auch das Arbeitsgericht Berlin in seiner Entscheidung bestätigt, gelten weiterhin:

  • Die vom Arbeitgeber getroffene unternehmerische Entscheidung (hier die Schließung der Niederlassung Berlin) ist von den Arbeitsgerichten nur sehr eingeschränkt überprüfbar.
  • Die konkreten Maßnahmen zur Umsetzung der unternehmerischen Entscheidung unterliegen indes der gerichtlichen Kontrolle im Einzelfall.
  • Eine Kündigung, gleich ob Änderungs- oder Beendigungskündigung, ist daher stets am Übermaßverbot auszurichten, d. h. sie muss in ihrer konkreten Ausgestaltung das mildeste Mittel darstellen, welches erforderlich ist, um die unternehmerische Entscheidung durchzuführen.
  • Für Arbeitnehmer besteht jedoch (bisher) kein Anspruch auf Homeoffice (etwas anderes kann sich aktuell, allerdings nur befristet bis zum 15.03.2021, aus der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung ergeben; ebenso gibt es politische Pläne zur Einführung eines Rechts auf Arbeit an einem außerbetrieblichen Arbeitsplatz).

Die grundrechtlich geschützte unternehmerische Organisationsfreiheit, ob Telearbeit/Homeoffice eingeführt oder gestattet wird, muss weiterhin beim Arbeitgeber verbleiben. Dieser Aspekt kommt im Urteil des Arbeitsgerichts zu kurz. Das Arbeitsgericht schweigt u. a. dazu, wie vielen Arbeitnehmern tatsächlich Homeoffice ermöglicht wurde und ob deren Tätigkeiten mit denen der Klägerin vergleichbar waren, damit eine Beschränkung der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit aufgrund des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes denkbar wäre. Auch lassen sich die Inhalte der Rahmenrichtlinie zur Telearbeit, aus der das Gericht ohne nähere Begründung eine Selbstbindung der Arbeitgeberin ableitet, dem Urteil nicht entnehmen. Das Vorhandensein der erforderlichen technischen Infrastruktur am Wohnort der Klägerin reicht allein nicht aus, um die vorzunehmende Interessenabwägung zu ihren Gunsten ausfallen zu lassen. Schließlich ist die zwangsweise während der Corona-Krise veränderte Arbeitsorganisation – die vor allem dem Gesundheitsschutz geschuldet ist –  nicht pauschal als für die Zukunft verbindlich anzusehen.

Ausblick

Dem Urteil ist bis auf weiteres keine generelle Bedeutung beizumessen. Insbesondere lassen die Entscheidungsgründe eine differenzierte Auseinandersetzung mit den tatsächlichen Gegebenheiten vermissen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Gegen die Entscheidung wurde Berufung beim LAG Berlin-Brandenburg (4 Sa 1243/20) eingelegt. Die Arbeitgeberin hat dort mithin die Möglichkeit zu weiterem Sachvortrag. Aber machen wir uns nichts vor: Mobiles Arbeiten und Homeoffice werden – auch als Auswirkung der Corona-Pandemie – die Arbeitswelt von morgen verändern. Auf die guten Erfahrungen des mobilen Arbeitens während der Krise werden sich Arbeitnehmer und Betriebsräte zukünftig berufen – was wiederum auch Arbeitgeber in ihre Überlegungen zur Attraktivität der bei ihnen vorhandenen Arbeitsplätze einbeziehen müssen.

Isabell Flöter

Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht
Counsel
Isabell Flöter berät Unternehmen und Führungskräfte in allen Fragen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts, sowohl gerichtlich als auch außergerichtlich. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf dem Bereich des Betriebsverfassungs- und Tarifrechts, der Betreuung von Kündigungsschutzstreitigkeiten und Unternehmenstransaktionen sowie in der Erstellung und Gestaltung von Arbeits-, Änderungs- Abwicklungs- und Aufhebungsverträgen. Sie ist Mitglied der Fokusgruppeen "ESG" und "Unternehmensmitbestimmung".
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