Das BAG erachtet eine krankheitsbedingte Kündigung ohne Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (kurz: bEM) zwar nicht per se als unwirksam, überträgt dem Arbeitgeber* im Falle eines unterbliebenen bEM aber die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass ein bEM „objektiv nutzlos“ gewesen wäre (siehe z. B. BAG v. 18.11.2021 – 2 AZR 138/21). Damit führt das unterbliebene bEM in der Regel zur Unwirksamkeit der ordentlichen krankheitsbedingten Kündigung. Doch was gilt bei einer „Probezeitkündigung“? Ist auch vor Ausspruch einer solchen zwingend ein bEM durchzuführen?
Kündigungsschutz und „Probezeit“
1 Abs. 1 KSchG sieht vor, dass der allgemeine Kündigungsschutz nach dem KSchG erst dann greift, wenn das Arbeitsverhältnis ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat. Diese ersten sechs Monate werden häufig mit dem Begriff der Probezeit gleichgesetzt, juristisch korrekt handelt es sich um die sog. Wartezeit.
Während der Wartezeit bedarf die Kündigung keiner sozialen Rechtfertigung, d. h. sie muss nicht durch Gründe in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers oder durch dringende betriebliche Erfordernisse gerechtfertigt sein (§ 1 Abs. 2 KSchG). Der Arbeitgeber ist innerhalb der Wartezeit nur an einen Mindestkündigungsschutz gebunden (Willkürverbot, AGG oder auch Sonderkündigungsschutzregelungen, wie etwa das MuSchG).
Stolperfalle Betriebsratsanhörung
Dennoch passieren auch bei der Kündigung während der Wartezeit regelmäßig Fehler. Häufig wird z.B. übersehen, dass der Betriebsrat nach § 102 Abs. 1 S. 1 BetrVG vor jeder Kündigung anzuhören ist – also auch bei Kündigungen innerhalb der Wartezeit. Ohne eine solche Anhörung ist die Kündigung unwirksam und eine Folgekündigung häufig erst nach Ablauf der Wartezeit möglich, da die Wartezeitkündigung regelmäßig erst kurz vor Ende der sechsmonatigen Frist ausgesprochen wird: ein teurer Fehler, da der Arbeitnehmer dann i. d. R. allgemeinen Kündigungsschutz genießt und die Kündigung somit der sozialen Rechtfertigung bedarf.
Stolperfalle bEM
Vor dem Hintergrund stellt sich die Frage, ob ein solcher Fehler auch dann droht, wenn bei einer Kündigung während der Wartezeit wegen der Erkrankung des Arbeitnehmers das bEM, welches in § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX geregelt ist, unterlassen wird.
Dies lässt sich nach der aktuellen Rechtslage mit einem nein beantworten. Ein unterlassenes bEM-Verfahren während der Wartezeit führt grundsätzlich weder dazu, dass die Kündigung unwirksam ist, noch muss der Arbeitgeber darlegen und beweisen, dass ein solches objektiv nutzlos gewesen wäre.
bEM als Konkretisierung der Verhältnismäßigkeit
Das BAG versteht das BEM als eine Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und nicht als formelle Voraussetzung für die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten ordentlichen Kündigung (BAG v. 28.06.2007 – 6 AZR 750/06). Mit der Verpflichtung des Arbeitgebers, sich mit möglichen Problemen am Arbeitsplatz auseinandersetzten zu müssen und ggf. entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, wird das Ziel verfolgt, ein dauerhaftes Beschäftigungsverhältnis zu begünstigen und letztlich ein Kündigungsausspruch zu verhindern.
Im Rahmen der Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz aber gerade kein gegenständliches Verfahrensprinzip. Dies hat das BAG bereits explizit im Jahre 2007 entschieden und ausgeführt, dass eine unterbliebene Durchführung der in § 167 Abs. 2 S. 2 SGB IX genannten Verfahren keine rechtlichen Folgen für Kündigungen haben, die innerhalb der sechsmonatigen Wartezeit erfolgen (BAG v. 28.06.2007 – 6 AZR 750/06). Selbst wenn der Arbeitgeber das bEM-Verfahren durchführt, ist dieser innerhalb der Wartezeit darüber hinaus auch nicht verpflichtet, den Arbeitnehmer auf Grund der hierdurch gewonnenen Erkenntnisse zur Vermeidung eines Kündigungsausspruches auf einem entsprechend angepassten Arbeitsplatz oder unter anderen Bedingungen zu beschäftigen. Das BAG stellt dabei außerdem klar, dass das Unterlassen eines bEM-Verfahrens innerhalb der Wartezeit auch keinen Verstoß gegen Treu und Glauben gem. § 242 BGB darstelle (BAG v. 24.01.2008 – 6 AZR 96/07).
Ähnlich hierzu hat das Unterbleiben des bEM-Verfahrens im Falle einer ordentlichen krankheitsbedingten Kündigung in aller Regel keine Auswirkung auf deren Wirksamkeit, wenn das KSchG von vornherein gar nicht anwendbar ist (BAG v. 22.10.2015 – 2 AZR 720/14). Große Relevanz hat dies hinsichtlich der Unterschreitung des Schwellenwertes der Kleinbetriebsklausel, § 23 Abs. 1 S. 2, 3 KSchG. Es wird zwar teilweise auch vertreten, dass das bEM-Verfahren unabhängig der Betriebsgröße anwendbar sei. Zugleich wird allerdings auch festgestellt, dass ein nicht erfolgtes bEM-Verfahren lediglich über den Mindestkündigungsschutz beachtet werden kann und hierbei wiederum die allgemeinen (hohen) Anforderungen zu gelten. Zum Beispiel wäre an ein Verstoß gegen Treu und Glauben gem. § 242 BGB etwa erst dann denkbar, wenn ein bEM-Verfahren auf berechtigte Anfrage des Arbeitnehmers hin willkürlich durch den Arbeitgeber verweigert werden würde (vgl. insofern die noch immer häufig zitierte Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein v. 17.11.2005 – 4 Sa 328/05).
Mit Blick auf eine ordentliche krankheitsbedingte Kündigung im Anwendungsbereich des KSchG und außerhalb der Wartezeit waren bereits vor der gesetzlichen Einführung des bEM-Verfahrens gewisse Anforderungen durch die Rechtsprechung festgelegt worden (vgl. etwa BAG v. 22.02.1980 – 7 AZR 295/78). Mit der Einführung des bEM nach § 167 Abs. 2 SGB IX als Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hat das BAG stetig höhere Anforderungen an die Durchführung des bEM gestellt. So etwa in Bezug auf die zu wahrenden Förmlichkeiten bei der Einladung zum bEM-Gespräch. Das BAG urteilte z. B., dass es Sache des Arbeitgebers sei, die Durchführung des bEM zu initiieren, wozu auch das Hinweisen auf bzw. das Darstellen der Ziele und der erhobenen und verwendeten Daten in Art und Umfang gehören (BAG v. 20.11.2014 – 2 AZR 755/13). Zudem entschied das BAG, dass grundsätzlich ein neuerliches bEM durchgeführt werden muss, wenn der Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres nach Abschluss eines bEM erneut länger als sechs Wochen arbeitsunfähig erkrankt war (siehe etwa BAG v. 18.11.2021 – 2 AZR 138/21).
Insbesondere die 2007er Entscheidung des BAG stellt aber eben ausdrücklich klar, dass das bEM-Verfahren aus § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX nicht im Rahmen der Wartezeitkündigung Anwendung findet und somit auch die rechtlichen Genauigkeiten und Ausprägungen durch die Rechtsprechung zum bEM-Verfahren nicht berücksichtigt werden müssen.
Zusammenfassung
Auch bei Kündigungen während der Wartezeit existieren Stolperfallen, in die man besser nicht tappt. Die strengen Anforderungen an das bEM zählen indes nicht dazu. Die Kündigung muss nicht sozial gerechtfertigt sein i. S. d. § 1 Abs. 1, 2 KSchG. Auch auf betriebliche Eingliederungsmöglichkeiten kommt es nicht an.
Der Verfasser dankt Herrn Leonard Elsbroek, Dipl.-Jur. und wissenschaftlicher Mitarbeiter bei KLIEMT.Arbeitsrecht in Hamburg, für die Mitarbeit bei diesem Beitrag.
* Für die leichtere Lesbarkeit wird die grammatikalisch männliche Form verwendet, gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität.