Laut einer Schätzung des Instituts der deutschen Wirtschaft beliefen sich die Entgeltfortzahlungskosten für Arbeitgeber in Deutschland allein für das Jahr 2022 auf insgesamt EUR 70,2 Milliarden – ein neuer Rekordwert. Für die Jahre 2023 und 2024 werden aufgrund der in vielen Branchen gestiegenen Lohnkosten und einer erwartet weiterhin hohen Anzahl an krankheitsbedingten Fehltagen von durchschnittlich 15 pro Kalenderjahr noch höhere Kosten prognostiziert. Angesichts dieser Zahlen ist der arbeitgeberseitige Wunsch, den Krankenstand nachhaltig und effektiv zu senken, verständlich. Welche Möglichkeiten aber stehen Arbeitgebern zur Verfügung?
1. Schritt: Ursachenanalyse
Ein hoher Krankenstand kann vielfältige Ursachen haben. Daher ist es in einem ersten Schritt wichtig herauszufinden, worin die Ursachen der krankheitsbedingten Abwesenheit der eigenen Arbeitnehmer liegen. Neben allgemeinen Ursachen wie z.B. eine gesunkene Immunität der Bevölkerung als Folge der Coronapandemie oder eine ungesunde Lebensführung kommen zahlreiche spezifische Ursachen in Betracht, die mit dem Arbeitsverhältnis zusammenhängen können. Denkbar sind z.B. fehlende Motivation, eine hohe Arbeitsbelastung oder ein verbesserungswürdiges Betriebsklima.
2. Schritt: Ergreifen von Maßnahmen
In einem zweiten Schritt sollten individuelle, auf das Ergebnis der Ursachenanalyse zugeschnittene Maßnahmen ergriffen werden. Regelmäßig wird es einer Kombination von Maßnahmen bedürfen, um den Krankenstand langfristig und effektiv zu senken. Dabei sind Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats (etwa nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG) zu berücksichtigen.
So kann es unter Umständen sinnvoll sein, das Betriebsklima und die Führungskultur zu überdenken und in diesem Zusammenhang Führungskräfte zu sensibilisieren, um Stress und Leistungsdruck bei den Arbeitnehmern sowie mangelnder Wertschätzung und, damit verbunden, psychischen Krankheiten entgegenzuwirken. Darüber hinaus sollte eine individuelle, persönliche und positive Kommunikations- und Feedbackkultur geschaffen werden, sofern es an einer solchen fehlt. Eine solche Kultur ermöglicht es den Arbeitgebern, Ursachen für Fehlzeiten frühzeitig zu erkennen und abzustellen.
Darüber hinaus dient die Einrichtung eines wirksamen betrieblichen Wiedereingliederungsmanagements der Vorbeugung eines erneuten krankheitsbedingten Ausfalls sowie der langfristigen Integration von erkrankten Arbeitnehmern.
Auch eine Flexibilisierung der Arbeitszeit durch die Ermöglichung von Gleitzeit, Vertrauensarbeitszeit und attraktiven Teilzeitmodellen kann einen Beitrag zur Reduzierung von krankheitsbedingtem Arbeitsausfall leisten.
Weiterhin kommen betriebliche Angebote zur Stärkung der Gesundheit, darunter etwa Seminare zur Stressbewältigung, Lehrgänge zum Thema Zeitmanagement und Angebote zur Stärkung der körperlichen Gesundheit, in Betracht. So können Arbeitgeber gemäß § 3 Nr. 34 EstG pro Mitarbeiter jährlich EUR 600 steuerfrei zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn zur Verhinderung und Verminderung von Krankheitszeiten und zur Förderung der Gesundheit unter den dort genannten Voraussetzungen erbringen. Der Arbeitgeber kann sich zudem an den Beiträgen einer Fitnessstudiomitgliedschaft im Rahmen eines Sachbezugs in Höhe von EUR 50 monatlich steuerfrei beteiligen.
Eine weitere Möglichkeit liegt in der Incentivierung von Führungskräften. Beispielsweise kann die Reduzierung des Krankenstands im Team als Bonusziel vereinbart werden. Auch das Inaussichtstellen von kollektiven Belohnungen, wie etwa eines Events, eines neuen Sozialraums o.Ä. können einen solchen Anreiz darstellen.
Zur Förderung der Motivation der Mitarbeiter eignet sich auch die Einführung einer Anwesenheitsprämie. Hierbei gilt es aus Sicht des Arbeitgebers jedoch einige Besonderheiten zu beachten:
- So ist darauf zu achten, dass die Prämie zusätzlich zum laufenden Arbeitsentgelt und gerade nicht als Bestandteil der laufenden Vergütung gezahlt wird. Nur in ersterem Fall handelt es sich um eine nach 4a EFZG im Krankheitsfall – mit entsprechender Vereinbarung – kürzungsfähige Sondervergütung. Dazu muss die Prämie reinen Gratifikationscharakter haben und darf nicht der Vergütung der Arbeitnehmer oder Belohnung der Betriebstreue dienen bzw. einen sonstigen Zweck verfolgen. Weiterhin sind der Gleichbehandlungsgrundsatz und das Diskriminierungsverbot des allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zu beachten.
- Die Vereinbarung kann dabei so ausgestaltet werden, dass der von vornherein bestehende Anspruch auf Zahlung einer Anwesenheitsprämie bei krankheitsbedingten Fehlzeiten um einen bestimmten Betrag gekürzt wird oder aber der Anspruch auf die Prämie erst entsteht, wenn der Arbeitnehmer eine bestimmte Anzahl von Anwesenheitstagen erreicht hat.
- Die Prämie darf in beiden Ausgestaltungsformen nur im Umfang des § 4a S. 2 EFZG gekürzt werden, d.h. für jeden Tag der Arbeitsunfähigkeit infolge von Krankheit um maximal ein Viertel des Arbeitsentgelts, das im Jahresdurchschnitt auf einen Arbeitstag entfällt. Vor diesem Hintergrund erscheint es auf den ersten Blick wirkungsvoll, die Prämie, gemessen an dem Jahresgehalt der Arbeitnehmer, der Höhe nach so anzusetzen, dass sie bereits bei wenigen Krankheitstagen erheblich oder vollständig reduziert wird. In diesem Zusammenhang ist allerdings auch zu berücksichtigen, dass eine sehr niedrig bemessene Prämie einen geringeren Anreiz darstellt und es zu Fehlanreizen dergestalt kommen kann, dass Arbeitnehmer arbeitsunfähig krank zur Arbeit erscheinen. Deshalb ist zu überlegen, eine Anwesenheitsprämie nicht zu niedrig anzusetzen bzw. zu regeln, dass eine Kürzung erst ab Überschreitung einer festgelegten Anzahl von Krankheitstagen vorgenommen wird.
Alternativ zur Zahlung einer Anwesenheitsprämie könnte bei keinen oder niedrigen Fehlzeiten auch die Gewährung von übergesetzlichen zusätzlichen Urlaubstagen in Aussicht gestellt werden. Ein solcher Anreiz hätte den Vorteil, dass nach derzeitiger Rechtsprechung des BAG die Kürzungsregelung des § 4a EFZG keine Anwendung findet. Vor dem Hintergrund der EuGH-Rechtsprechung, die dem Urlaub einen geldwerten Vorteil beimisst, erscheint es jedoch denkbar, dass das BAG in absehbarer Zeit der EuGH-Linie folgen wird.
Bei sämtlichen Leistungen zu Gunsten der Arbeitnehmer sollten Arbeitgeber zudem an eine arbeitsvertragliche Regelung denken, die das Entstehen einer betrieblichen Übung verhindert bzw. ein Loslösen von dieser ermöglicht (zur Entstehung und Verhinderung einer betrieblichen Übung siehe Video-Beitrag vom 24. November 2022).
Fazit
Maßnahmen zur Reduzierung des Krankenstandes sind zwar mitunter mit zeitlichem, organisatorischem und finanziellem Aufwand verbunden, ihre Umsetzung sollte jedoch nicht gescheut werden. Langfristig betrachtet können diese Maßnahmen dazu beitragen, die Motivation der Arbeitnehmer zu steigern und das Betriebsklima zu verbessern, so dass letztlich die Belastungen infolge krankheitsbedingten Arbeitsausfalls reduziert werden können.