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Arbeitnehmerbegriff Leitende Angestellte

Leitender Angestellter trotz „Vier-Augen-Prinzip“?

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Leitender Angestellter

„Leitende Angestellte“ – sie bilden das Bindeglied zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmerschaft. In der Praxis wird der Begriff häufig inflationär verwendet, doch wenn es im Arbeitsgerichtsprozess darauf ankommt, sind die Gerichte streng. Was genau macht einen „echten“ leitenden Angestellten aus? Und kann trotz der üblichen Unterschriftenregelungen, Vier-Augen-Prinzipien & Co. ein Leitendenstatus gegeben sein?

Allgemeine Definition

Die Definitionen des leitenden Angestellten im betriebsverfassungsrechtlichen und im kündigungsschutzrechtlichen Sinne sind unterschiedlich. Die Definition des Kündigungsschutzgesetzes ist dabei deutlich enger.

  • Leitender Angestellter im Sinne des § 14 KSchG ist nur, wer zur selbstständigen Einstellung oder Entlassung von Arbeitnehmern berechtigt ist.
  • Leitender Angestellter im Sinne des § 5 BetrVG kann hingegen auch sein, wer Prokurist ist oder sonst Aufgaben wahrnimmt, die für den Bestand und die Entwicklung des Unternehmens von wesentlicher Bedeutung sind.

Zur selbstständigen Einstellung und/oder Entlassung berechtigt oder nicht – diese auf den ersten Blick eindeutige Unterscheidung erweist sich in der Praxis häufig als schwierig. So kann sich etwa eine bloße Befugnis zur Unterzeichnung von Kündigungen als nicht ausreichend erweisen, um aus einen Arbeitnehmer einen leitenden Angestellten zu machen, wenn dahinter keine Alleinentscheidungsbefugnis im Innenverhältnis steht.

Die Unterscheidung hat jedoch wichtige Folgen, will sich ein Unternehmen von dem Mitarbeiter trennen. Leitende Angestellter treffen so wesentliche Entscheidungen, dass zwischen ihnen und der Geschäftsleitung ein besonderes Vertrauensverhältnis bestehen muss. Das Unternehmen kann das Arbeitsverhältnis eines leitenden Angestellten daher gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 KSchG u.U. auch gegen den Willen des Mitarbeiters gegen Zahlung einer Abfindung beenden. Diese Regelung trägt der Tatsache Rechnung, dass ein Arbeitgeber nicht gezwungen werden soll, das Arbeitsverhältnis mit einem Mitarbeiter in so vertrauensvoller Stellung fortzusetzen.

Auswirkungen eines „4-Augen-Prinzips“

Weithin verbreitet ist die Praxis, dass selbst (auf dem Papier) „leitende“ Angestellte nicht vollständig frei agieren können, sondern eine Zweitunterschrift zumindest bei Überschreitung bestimmter betragsmäßiger Grenzen erforderlich ist („Vier-Augen-Prinzip“). Zieht dies bereits den Status in Zweifel?


Sowohl § 14 KSchG als auch die erste Fallgruppe nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG verlangt, dass der leitende Angestellte zur selbstständigen Einstellung und Entlassung von im Betrieb oder in der Betriebsabteilung beschäftigten Arbeitnehmern berechtigt sein muss (wobei nach § 14 KSchG bereits eine der beiden Befugnisse ausreicht).

Ausgangspunkt der Diskussion ist die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG vom 27. September 2001 – 2 AZR 176/00, bestätigt durch BAG vom 16. April 2002 – 1 ABR 23/01), wonach die selbständige Einstellungs- oder Entlassungsbefugnis sowohl im Innen- wie auch im Außenverhältnis gegeben sein muss. Von einer Berechtigung zur „selbständigen“ Einstellung oder Entlassung im Sinne der Norm könne nicht mehr gesprochen werden, wenn die personelle Maßnahme von der Zustimmung einer anderen Person abhängig ist. An dem Merkmal der Selbständigkeit fehle es daher, wenn der leitende Angestellte nur im Verhältnis zu den Arbeitnehmern, nicht aber im Innenverhältnis zu seinen Vorgesetzten befugt sei, über Einstellungen und Entlassungen zu entscheiden.

Allerdings liegt keine Beschränkung der Einstellung- und Entlassungsbefugnis vor, wenn der leitende Angestellte lediglich Richtlinien oder Budgets zu beachten hat oder Zweitunterschriften einholen muss, die einer Richtigkeitskontrolle dienen, aber nicht mit einer Entscheidungsbefugnis des Dritten verbunden sind.

Ist zu Kontrollzwecken (sog. „4-Augen-Prinzip“) die Zustimmung eines weiteren Mitarbeiters erforderlich, ist in der Praxis also die oft schwierige Frage zu beantworten, wer bei der Personalentscheidung faktisch entscheidet, wer also „das letzte Wort hat“. Die Unterschrift eines Dritten allein zu Kontrollzwecken steht der eigenverantwortlichen Personalentscheidung nicht entgegen. Anders liegt es hingegen, wenn eine inhaltliche Abstimmung mit dem Kollegen über die Einstellung bzw. Entlassung erfolgen muss, weil dann nicht „selbstständig“ und allein entschieden wird. Hierbei kommt es auf die konkreten internen Vertretungs- und Unterschriftsregeln im Unternehmen an. Ist nicht sicher, wer sich im Konfliktfall durchsetzt, so tendieren die Gerichte dazu, eine selbständige Einstellungs- oder Entlassungsbefugnis abzulehnen.

Vor dem Hintergrund des enormen Vertrauensverhältnisses zu vielen „leitenden“ Angestellten – Zweitunterschrift hin oder her – ist die beschriebene, zum Teil sehr restriktive Handhabung der Gerichte weder nachvollziehbar noch praxisgerecht.

Rechtsfolgen des Status als „Leitender Angestellter“

Ein leitender Angestellter ist grundsätzlich „normaler Arbeitnehmer“, so dass die meisten arbeitsrechtlichen Bestimmungen uneingeschränkt Anwendung finden. Die wohl praxisrelevantesten Ausnahmen sind:

  • Das Arbeitszeitgesetz findet keine Anwendung.
  • Für leitende Angestellte im Sinne des § 5 BetrVG ist der Betriebsrat nicht zuständig. Vor einer Kündigung ist ein etwaig gebildeter Sprecherausschuss anzuhören.
  • Zum Teil werden an den wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung und an personen- oder verhaltensbedingte Gründe zur ordentlichen Kündigung geringere Anforderungen gestellt. Da das Arbeitsverhältnis von einem besonderen Vertrauen des Arbeitsgebers getragen werden muss, können sich auch schon verhältnismäßig geringe Dienstverfehlungen im Rahmen der Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung auswirken.
  • Leitende Angestellter im Sinne des § 14 KSchG genießen im Vergleich zu anderen Arbeitnehmern nur einen verminderten Bestandsschutz. Das KSchG findet zwar Anwendung, allerdings mit einer wichtigen Ausnahme: Selbst wenn sich eine Kündigung im Kündigungsschutzverfahren als sozial nicht gerechtfertigt, d.h. als unwirksam erweist, kann der Arbeitgeber mit einem Auflösungsantrag die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung erzwingen. Der Auflösungsantrag muss nicht begründet werden.

Besteht Unsicherheit, ob ein Mitarbeiter Arbeitnehmer oder leitender Angestellter ist, empfiehlt sich stets, bei der Anhörung der zuständigen Gremien „zweigleisig“ zu fahren und bei der Begründung einer etwaigen Kündigung das Risiko zu bewerten, ob die Rechtfertigungsgründe auch die Kündigung eines „nicht leitenden“ Arbeitnehmers tragen könnten.

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