Im Sommer 2016 hatte das Landesarbeitsgericht Düsseldorf über einen kuriosen Fall einer „Entfernung betriebsstörender Arbeitnehmer“ nach § 104 BetrVG zu entscheiden (Urteil vom 13. Juni 2016, 9 Sa 233/16). Unsere damalige Urteilsbesprechung finden sie hier: Derartige Fälle kommen in der Praxis nur äußerst selten vor. Daher waren wesentliche Aspekte zur Umsetzung von Beschlüssen nach § 104 BetrVG bislang höchstrichterlich nicht geklärt.
Umso erfreulicher war, dass das Landesarbeitsgericht für beide Parteien die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen hatte. Denn beide Parteien nutzen die Gelegenheit zur Revision, so dass sich auch der 2. Senat des Bundesarbeitsgerichts mit dem Fall beschäftigen durfte. Das Bundesarbeitsgericht hat das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf bestätigt und die Revisionen beider Parteien zurückgewiesen (Urteil vom 28. März 2017, 2 AZR 551/16; wir haben hier mit einem Kurzupdate berichtet).
Nunmehr liegt das Urteil des Bundesarbeitsgerichts im Volltext vor. Und das Warten auf die Entscheidungsgründe hat sich gelohnt. Das Bundesarbeitsgericht hat die seltene Gelegenheit genutzt, für klare Verhältnisse im Spannungsfeld zwischen § 104 BetrVG und Kündigungsschutzrecht zu sorgen.
1. klare Ansage: Keine fristlose Kündigung möglich
Die erste klare Ansage des Bundesarbeitsgerichts lautet: Durch Beschluss in einem Verfahren nach § 104 BetrVG kann dem Arbeitgeber keine fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses aufgegeben werden.
Das ist erfreulich deutlich. Denn die Frage, ob einem Arbeitgeber durch stattgebenden Beschluss nach § 104 BetrVG eine außerordentliche fristlose Kündigung aufgegeben werden kann, war bislang kontrovers diskutiert worden. Für die Zukunft ist diese Frage für Arbeitgeber und Praktiker nunmehr geklärt.
Genau das war offenbar auch das Ziel des Bundesarbeitsgerichts. Denn eine derart apodiktische allgemeine Aussage wäre im konkreten Fall nicht erforderlich gewesen. Das Bundesarbeitsgericht hätte sich auch mit der Feststellung begnügen können, lediglich im konkreten Fall habe der Arbeitgeber keine fristlose Kündigung aussprechen können. Denn durch den stattgebenden Beschluss im Verfahren nach § 104 BetrVG sei dem Arbeitgeber lediglich eine fristgemäße Kündigung aufgegeben worden.
So erfreulich diese klaren Verhältnisse auch sind: Begründung und dogmatische Herleitung der Entscheidung überzeugen nicht vollends. Im Wesentlichen leitet das Bundesarbeitsgericht sein Ergebnis aus der Gesetzeshistorie ab. So sei in der Vorgängernorm des heutigen § 104 BetrVG (dem § 66 Abs. 4 Satz 3 BetrVG 1952) bestimmt worden, der Arbeitgeber habe, wenn das Gericht dem Antrag des Betriebsrats stattgebe, die verlangte Maßnahme unverzüglich unter Beachtung der Kündigungsfristen durchzuführen. Mit dem im heutigen § 104 BetrVG genutzten Wort „Entlassung“ sei daher „allein eine fristgerechte Beendigung gemeint“. Den Gesetzesmaterialien lasse sich nicht entnehmen, dass die Neufassung („Entlassung“ statt „fristgerechte Beendigung“) daran etwas ändern sollte.
Das könnte man allerdings auch genau andersherum interpretieren. Denn unzweifelhaft hat der Gesetzgeber die Worte „unter Beachtung der Kündigungsfristen“ gestrichen. Das legt den Willen nahe, auf die Beachtung der Kündigungsfristen solle es gerade nicht (mehr) ankommen.
Zweckmäßiger dürfte es daher sein, das Ergebnis des Bundesarbeitsgerichts durch einen Rückgriff auf den Begriff der „Entlassung“ in § 17 KSchG zu stützen. Denn in § 17 KSchG wird zwischen „Entlassungen“ (§ 17 Abs. 1 bis 3 KSchG) und „fristlosen Entlassungen“ (§ 17 Abs. 4 KSchG) differenziert. Dem lässt sich das Verständnis des Gesetzgebers entnehmen, eine bloße „Entlassung“ ist gerade keine fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
2. klare Ansage: Betriebsbedingte Kündigung möglich
Die zweite klare Ansage des Bundesarbeitsgerichts lautet: Ein rechtskräftiger Beschluss in einem Verfahren nach § 104 BetrVG schafft einen eigenständigen betriebsbedingten Kündigungsgrund.
Denn der Arbeitgeber befindet sich in einer Zwangslage. Er muss dem rechtskräftigen Beschluss zur „Entlassung“ des Mitarbeiters nachkommen. Sonst droht für jeden Tag der Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld. Für den Arbeitgeber besteht somit keine andere zumutbare Reaktionsmöglichkeit als die Kündigung. Damit liegt ein „dringendes betriebliches Erfordernis“ für eine Kündigung vor.
Der Arbeitgeber kann daher eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung aussprechen. Ist der Arbeitnehmer ordentlich unkündbar, liegt in dem rechtskräftigen Beschluss nach § 104 BetrVG ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist.
In diesem Zusammenhang stellt das Bundesarbeitsgericht auch klar, dass es nicht darauf ankommt, ob die Gründe, die zum Beschluss nach § 104 BetrVG geführt haben, selbst eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung bzw. eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist rechtfertigen würden. Wenn ein rechtskräftiger Beschluss nach § 104 BetrVG vorliegt und der Arbeitgeber daraufhin kündigt, kommt es auf die Gründe für den Beschluss nach § 104 BetrVG nicht mehr an.
Faktisch bestehen für einen Mitarbeiter in einer derartigen Konstellation somit keine substantiellen Verteidigungsmöglichkeiten mehr. Allenfalls Formfehler (z.B. fehlende Schriftform) könnten den Arbeitgeber noch an einer wirksamen fristgerechten betriebsbedingten Kündigung hindern. Den Betriebsrat muss der Arbeitgeber vor einer solchen Kündigung nicht mehr anhören.
Fazit
Die Begründung der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist zu begrüßen. Denn sie ist deutlich erkennbar von dem Willen getragen, Arbeitgebern und Praktikern klare Leitlinien im Umgang mit § 104 BetrVG an die Hand zu geben. Bis auf weiteres sind damit klare Verhältnisse geschaffen. Wenn einem Arbeitgeber durch rechtskräftigen Beschluss nach § 104 BetrVG die Entlassung eines Mitarbeiters aufgegeben wird, ist die ordentliche fristgerechte betriebsbedingte Kündigung das Mittel der Wahl. Bei ordentlich unkündbaren Mitarbeitern kommt eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist in Betracht.