Schwangeren Arbeitnehmern kann grundsätzlich nicht gekündigt werden, es sei denn, die Kündigung wird von der zuständigen Landesbehörde ausnahmsweise für zulässig erklärt. Dieses Kündigungsverbot greift unzweifelhaft, wenn das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bereits in Vollzug gesetzt wurde, die Arbeitnehmerin ihre Tätigkeit also bereits aufgenommen hat. Doch gilt es auch bei neueingestellten Arbeitnehmerinnen in der Zeit zwischen Vertragsschluss und Tätigkeitsbeginn? Ja, so das BAG in einer neuen Entscheidung (Urt. v. 27.2.2020 – 2 AZR 498/19).
Worum ging es?
Der beklagte Arbeitgeber und die Klägerin schlossen im Dezember 2017 einen Arbeitsvertrag. Danach sollte das Arbeitsverhältnis am 1.2.2018 beginnen. Der Vertrag sah eine Vertragsstrafe für den Fall vor, dass die Klägerin die Tätigkeit schuldhaft nicht aufnehmen oder diese vertragswidrig beenden würde. Außerdem war die Klägerin verpflichtet, in der Zeit vom 27. bis 29.12.2017 für eine tägliche Arbeitszeit von mindestens fünf Stunden auf Abruf zur Verfügung zu stehen. Am 18.1.2018 informierte die Klägerin den Beklagten über eine festgestellte Schwangerschaft und ein vollständiges Beschäftigungsverbot. Daraufhin kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 30.1.2018 unter Einhaltung der individuellen Kündigungsfrist zum 14.2.2018. Die von der Klägerin erhobene Kündigungsschutzklage hatte Erfolg.
Entscheidung des BAG: Kündigung auch schon vor Tätigkeitsbeginn unwirksam
Das BAG schloss sich den Vorinstanzen an. Die Kündigung sei nach § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 MuSchG i.V.m. § 134 BGB nichtig.
Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 MuSchG ist die Kündigung gegenüber einer Frau während einer Schwangerschaft unzulässig, wenn dem Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigung die Schwangerschaft bekannt ist oder sie ihm innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wurde. Nach Ansicht des BAG greife das Kündigungsverbot auch bei einer Kündigung, die vor der vereinbarten Tätigkeitsaufnahme ausgesprochen wird. Dies folge aus der Auslegung von § 17 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 2 Satz 1 MuSchG.
Da der Wortlaut des § 17 Abs. 1 MuSchG insofern nicht eindeutig sei, müsse auf den persönlichen Anwendungsbereich des Gesetzes abgestellt werden. Nach § 1 Abs. 2 MuSchG gilt das Gesetz insbesondere für Frauen „in einer Beschäftigung i.S.v. § 7 Abs. 1 SGB IV“. Ein solches Beschäftigungsverhältnis entstehe bereits mit Abschluss des Arbeitsvertrages und zwar auch dann, wenn die Tätigkeit erst zu einem späteren Zeitpunkt aufgenommen werden soll.
Auch Sinn und Zweck des Kündigungsverbots sprechen nach Auffassung des BAG für dieses Verständnis. Der mit der Vorschrift verfolgte Gesundheits- und Existenzsicherungsschutz sei nur dann gewährleistet, wenn das Kündigungsverbot auch schon vor Tätigkeitsaufnahme gelte. Eine Kündigung könne negative Folgen für die physische und psychische Verfassung der Schwangeren nach sich ziehen – unabhängig davon, ob die schwangere Arbeitnehmerin ihre Tätigkeit bereits aufgenommen habe oder nicht. Daher müsse das Arbeitsverhältnis jedenfalls dann in seinem Bestand geschützt werden, wenn die beabsichtigte Tätigkeitsaufnahme innerhalb der Schutzzeiten des MuSchG liege.
Ob das Kündigungsverbot auch dann Anwendung findet, wenn die Tätigkeitsaufnahme erst zu einem Zeitpunkt erfolgen soll, zu dem die Schutzfristen schon wieder abgelaufen sein werden, ließ das BAG offen. Es deutete jedoch an, dass die in einem solchen Fall bestehenden psychischen Belastungen ebenfalls für eine Geltung des Kündigungsverbots sprechen könnten.
Die Auslegung unterliege auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Beschränkung der unternehmerischen Freiheit sei aufgrund des aus Art. 6 Abs. 4 GG folgenden Schutzes von Schwangeren und Müttern gerechtfertigt. Das Kündigungsverbot gelte nur zeitlich beschränkt und es bestehe – wenn auch nur bei außergewöhnlichen Umständen – die Möglichkeit einer Zulässigkeitserklärung nach § 17 Abs. 2 Satz 1 MuSchG.
Zulässigkeitserklärung der Landesbehörde? Nur in Ausnahmefällen!
Was können Arbeitgeber in einem Fall wie dem vorliegenden tun? Im Ergebnis wohl nicht viel.
Gerade die vom BAG angesprochene Möglichkeit einer Zulässigkeitserklärung nach § 17 Abs. 2 Satz 1 MuSchG durch die zuständige Landesbehörde dürfte in einem Fall wie dem vorliegenden eher ausscheiden. Denn eine solche kommt nur in absoluten Ausnahmefällen in Betracht, wenn die Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses mit der schwangeren Arbeitnehmerin für den Arbeitgeber unerträglich ist. Die Kündigung darf außerdem in keinem Zusammenhang mit der Schwangerschaft stehen. Neben erheblichen verhaltensbedingten Gründen kommen betriebsbedingte Gründe in Betracht, sofern diese den Wegfall des Arbeitsplatzes zur Folge haben und keinerlei Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten bestehen (bspw. bei einer dauerhaften Betriebsstilllegung oder -verlagerung).
In einem Fall wie dem vorliegenden wird in der Regel kein solcher Ausnahmefall gegeben sein. Der Arbeitgeber wird insbesondere nicht mit Erfolg geltend machen können, die Arbeitnehmerin habe noch keinerlei Tätigkeiten für ihn erbracht und werde dies aufgrund des vollständigen Beschäftigungsverbots auch (vorerst) nicht können. Dies gilt umso mehr, als dem Arbeitgeber in diesem Fall keine (hohen) Kosten entstehen: Bei einem Beschäftigungsverbot werden die Leistungen nach §§ 18, 20 AAG vollständig von den Krankenkassen erstattet.
Hinweise für die Praxis
Es ist nicht ausgeschlossen, dass ein Arbeitgeber eine neueingestellte Arbeitnehmerin vorerst nicht zu Gesicht bekommt, weil diese vor Aufnahme der Tätigkeit ein Beschäftigungsverbot erhält. Eine Kündigung ist in der Regel unwirksam – es sei denn, der Arbeitsplatz der schwangeren Arbeitnehmerin fällt dauerhaft weg und es lässt sich so ein Ausnahmefall i.S.d. § 17 Abs. 2 Satz 1 MuSchG begründen.
Die Frage nach einer bestehenden Schwangerschaft im Vorstellungsgespräch dürfte im Ergebnis nicht weiterhelfen. Denn abgesehen von wenigen Ausnahmen ist eine solche Frage unzulässig und darf von der Bewerberin wahrheitswidrig beantwortet werden. Auch in diesem Fall ist der Arbeitgeber an den geschlossenen Arbeitsvertrag gebunden und kann sich von diesem insbesondere nicht im Wege der Anfechtung lösen.
Ein kleines Trostpflaster: Die schwangere Arbeitnehmerin ist – natürlich unter Beachtung der besonderen Schutzvorschriften des MuSchG – grundsätzlich verpflichtet, bis zum Beginn der Schutzfristen ihre geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Sollte ein Beschäftigungsverbot ausgesprochen werden, bleibt der Arbeitgeber wenigstens nicht auf den Kosten sitzen.