Das Online-Shopping boomt. Mit nur wenigen Klicks kann heutzutage nahezu alles bequem von zuhause aus bestellt werden und wird binnen weniger Stunden oder Tagen an die Haustüre geliefert. Warum also nicht auch eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung online bestellen? Dass das keine gute Idee ist und wie Arbeitgeber mit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eines Online-Anbieters umgehen sollten, zeigt der nachfolgende Beitrag.
Die Digitalisierung beeinflusst mittlerweile weite Teile der Arbeitswelt. So verschieben sich im Bereich der Arbeitsunfähigkeit ab dem 1. Juli 2022 auch die Verantwortlichkeiten zwischen den meisten Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Die gängige Praxis, bei der der Arbeitnehmer im Krankheitsfall in der Bringschuld steht, wird durch die ab dem 1. Juli 2022 geltende digitale Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gewissermaßen zu einer Holschuld für den Arbeitgeber (siehe dazu auch unser Blogbeitrag Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigung 2.0 – was kommt, was bleibt?). Die ab dem 1. Juli 2022 geltende digitale Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für gesetzlich Krankenversicherte bedeutet, dass der Prozess ab der Ausstellung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung digitalisiert wird. Das heißt jedoch nicht, dass auch der Prozess bis zur Ausstellung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ohne Weiteres digitalisiert werden kann.
Die Online-Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – eine juristische Grauzone
Durch eine Änderung im ärztlichen Standesrecht hat sich für die Aussteller von Online-Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen in den vergangenen Jahren ein ganz neues Geschäftsmodell ergeben. Zuletzt etablierten sich immer mehr „ärztliche“ Dienstleister, die dem vermeintlichen Patienten anhand eines Online-Fragebogens zu Krankheitssymptomen, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausstellten. Ob zusätzlich zum Online-Fragebogen auch eine ärztliche Untersuchung durchgeführt wurde, ist bei reinen Online-Anbietern regelmäßig fraglich. Ein direkter Arztkontakt muss aber sein. Anderenfalls ist die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nichts wert.
Ein Arztkontakt muss nicht zwingend vor Ort sein
Dass Arzt und Patient sich nicht immer persönlich sehen müssen, ist nicht neu. Im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie ist eine Krankschreibung per Telefon bei typischen Covid-19 Symptomen möglich (siehe dazu auch unser Blogbeitrag Bei Anruf krank – das Corona-Virus und die ärztliche Fernbehandlung). Diese Regelung ist mehrfach verlängert worden und derzeit noch bis zum 31. März 2022 gültig. Der gemeinsame Bundesausschuss weitete die Möglichkeiten für eine Fernbehandlung im Allgemeinen aus und konkretisierte durch Anpassung der Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie mit Wirkung zum 19. Januar 2022, wann und in welchem Umfang Online-Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgestellt werden dürfen. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann auch im Wege der Videosprechstunde erteilt werden, aber nur für einen gewissen Zeitraum und nur, wenn das Krankheitsbild eine Ferndiagnose zulässt.
Seit dem 19. Januar 2022 kann ein Vertragsarzt einen ihm unbekannten Patienten im Wege einer Videosprechstunde erstmals regelmäßig bis zu drei Tage lang krankschreiben. Kennt der Arzt den Patienten bereits, kann er diesen auch bis zu sieben Tage lang krankschreiben. Eine Folgebescheinigung soll es online regelmäßig nur geben, wenn der Patient wegen derselben Krankheit bereits zuvor beim Arzt persönlich vorstellig wurde.
Ob einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die im Wege einer Videosprechstunde erlangt wurde, derselbe Beweiswert zukommt, wie einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die auf dem herkömmlichen Wege nach einer unmittelbaren, persönlichen Untersuchung durch einen Arzt ausgestellt wurde, ist durch die Rechtsprechung bisher noch nicht geklärt.
Ganz ohne einen direkten Arztkontakt geht es aber nicht
Geklärt hingegen ist, dass Arztkontakt zwingend erforderlich ist. Wie das Arbeitsgericht Berlin (Urteil v. 1. April 2021 – 42 Ca 16289/20) zutreffend feststellte, ist für eine ordnungsgemäße Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung irgendein direkter Arztkontakt – sei es via Telefon oder via Video – zwingend erforderlich. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann nur dann einen so hohen Beweiswert haben, wenn ein Arzt den Patienten untersucht hat. Nur dann kann sich der Arzt ein vollumfängliches Bild vom Gesundheitszustand des Patienten machen. Stellt ein Arzt anschließend fest, dass der Patient arbeitsunfähig krank ist, akzeptieren die Gerichte die Diagnose des Arztes und stellen diese nicht in Frage. Sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber haben ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung: Der Arbeitnehmer kann sich seiner Lohnfortzahlung sicher sein und der Arbeitgeber vertraut darauf, dass ein Arzt die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers nach vorheriger Untersuchung bescheinigt hat und sie nicht vom Arbeitnehmer als Persilschein fürs „Blaumachen“ eingereicht wird.
Entscheidend für den hohen Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist folglich, wie der Arzt zu seiner Diagnose kam. Wird eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung allein durch Beantwortung eines Online-Fragebogens erteilt, kann der Arzt sich kein vollumfängliches Bild vom Gesundheitszustand eines Patienten machen. Ohne klärendes Telefon- oder Videogespräch ist die Diagnose lückenhaft und damit auch der Beweiswert einer solchen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zweifelhaft. Es ist jedoch Sache des Arbeitgebers nachzuweisen, dass es keinen direkten Arztkontakt gegeben haben kann.
Handlungsempfehlung für Arbeitgeber
Gelingt dem Arbeitgeber dieser Nachweis, ist die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nichts wert. Es wird daher empfohlen, als Arbeitgeber den Aussteller einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genau zu prüfen. So kann beispielsweise darauf geachtet werden, ob der ausstellende Arzt geografisch nah am Wohnort des Mitarbeiters ansässig ist, ob wiederkehrend derselbe Arzt die Arbeitsunfähigkeit für kurzweilige Erkrankungen bescheinigt bzw. andersherum, ob der Mitarbeiter auffällig oft den „Arzt“ wechselt. Soweit eine Online-Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als solche identifiziert wurde, kann der Arbeitgeber darauf hinweisen, dass rechtliche Zweifel an ihrem Beweiswert bestehen.
Kann der Mitarbeiter nicht anderweitig nachweisen, dass er in besagtem Zeitraum tatsächlich arbeitsunfähig krank war, folgen arbeitsrechtliche Konsequenzen. Die ärztlich ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dient im Krankheitsfall insbesondere der Entgeltfortzahlung gem. § 5 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG). Ohne ordnungsgemäße Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann die Entgeltfortzahlung zurückbehalten werden. Zudem kann eine Abmahnung des Mitarbeiters bis hin zur verhaltensbedingten Kündigung drohen.
Grundsätzlich gilt aber auch hier: Vorsorge ist besser als Nachsorge. Damit die Mitarbeiter erst gar nicht in die Versuchung kommen, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen online zu erwerben und solange es keine gesicherte Rechtsprechung zum Thema gibt, sollten die Mitarbeiter darauf hingewiesen werden, dass Online-Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht akzeptiert werden. Dies kann beispielsweise durch eine Meldung im Intranet oder durch Aufnahme einer Klausel im Arbeitsvertrag erfolgen. So entstehen mögliche Streitigkeiten schon gar nicht erst.
Mit freundlicher Unterstützung von Simon Kalmbach.