open search
close
Individualarbeitsrecht Neueste Beiträge

Das tabellarische Arbeitszeugnis: Vergleichbar und transparent – laut BAG aber unzulässig

Print Friendly, PDF & Email

Darf ein Arbeitszeugnis auch wie ein Schulzeugnis geschrieben werden? Das BAG hatte darüber entschieden und die mangelnde Individualität eines Zeugnisses ohne Fließtext bemängelt. Doch genau diese Begründung mag verwundern.

Die Erstellung eines Arbeitszeugnisses kann für den Arbeitgeber oftmals eine Herausforderung darstellen: Welche Formulierungen sind hinreichend transparent und entsprechen den gängigen Beurteilungen als „gut“ oder „befriedigend“? Wäre es da nicht einfacher, übersichtlicher und letztlich vergleichbarer, wenn eben diese Noten tatsächlich vergeben würden? In unserem Beitrag vom 17.12.2019 haben wir bereits über das Potenzial tabellarischer Arbeitszeugnisse berichtet. In diesen werden Leistung und Verhalten des Arbeitnehmers nicht im Fließtext, sondern unter Vergabe von „Schulnoten“ in tabellarischer Form beurteilt. Nunmehr hatte erstmal das BAG Gelegenheit (Urteil vom 27. April 2021 – 9 AZR 262/20) sich zur Zulässigkeit derartiger Zeugnisse zu positionieren.

Der Fall

In dem vom BAG zu entscheidenden Fall hatte ein Elektriker gegen Inhalt und Form seines Arbeitszeugnisses geklagt. Dieses war in einer an ein Schulzeugnis angelehnten Tabelle verfasst, in der die Leistungsbeurteilung anhand von Kategorien wie „Fachkenntnisse allg.“, „Pünktlichkeit“ oder „Arbeits-qualität“ erfolgte. Auch die Verhaltensbeurteilung erfolgte im konkreten Fall durch die Vergabe von Noten zwischen „sehr gut“ und „befriedigend“. Das LAG war entgegen der ersten Instanz von der Zulässigkeit eines solchen Vorgehens ausgegangen.

Gesetzliche Anforderungen an ein Arbeitszeugnis

Ausgangspunkt der Beurteilung ist der gesetzliche Zeugnisanspruch nach § 109 GewO. Danach hat der Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses Anspruch auf ein schriftliches Zeugnis, welches sich auf Verlangen des Arbeitnehmers auch auf Leistung und Verhalten im Arbeitsverhältnis erstreckt. Sowohl der gesetzlich geschuldete Inhalt als auch die äußere Form richten sich nach den mit dem Zeugnis verfolgten Zwecken: Es dient dem Arbeitnehmer regelmäßig als essenzieller Bestandteil der Bewerbungsunterlagen und dadurch Dritten, insbesondere möglichen künftigen Arbeitgebern, als Grundlage für die Personalauswahl.

Die Entscheidung des BAG

Das BAG nahm im konkreten Fall an, dass der dem Arbeitgeber grundsätzlich zustehende Beurteilungsspielraum durch die Ausstellung eines tabellarischen Arbeitszeugnisses überschritten wurde. Es betonte zur Begründung seiner Entscheidung den Charakter des Zeugnisses als individuell auf den einzelnen Arbeitnehmer zugeschnittenes Arbeitspapier. Dieses müsse eine an den einzelnen Arbeitnehmer angepasste Beurteilung darstellen. Diesen Anforderungen könne jedoch regelmäßig nur ein individuell abgefasster Text gerecht werden.

Der wesentliche Einwand des BAG gegen eine tabellarische Benotung ist, dass der verständige Zeugnisleser eine Gewichtung der Leistungen und Eigenschaften erwarte. Erst diese Gewichtung verleihe dem Zeugnis die für die Erreichung des Zeugniszwecks notwendige Aussagekraft. Welche Einzelmerkmale für das konkrete Arbeitsverhältnis von besonderer Bedeutung waren und über welche besonderen Eigenschaften, Kenntnisse und Fähigkeiten der Arbeitnehmer verfüge, sei wesentlich für den Adressaten des Zeugnisses. Die für das Arbeitsverhältnis prägenden Merkmale verlören im Kontext der gleichrangig aufgezählten Bewertungskriterien ihre Bedeutung.

Das BAG ist daher der Ansicht, individuelle Hervorhebungen und Differenzierungen ließen sich regelmäßig nur durch ein im Fließtext formuliertes Arbeitszeugnis angemessen herausstellen. Nur eingebettet in den Fließtext seien diese geeignet, die besonderen Nuancen des beendeten Arbeitsverhältnisses darzustellen und damit den Zeugniszweck als aussagekräftige Bewerbungsunterlage in Bezug auf seine konkrete Person zu erfüllen.

Bewertung und Ausblick

Die höchstrichterliche Klärung der (Un-)Zulässigkeit des tabellarischen Arbeitszeugnisses sorgt für Rechtssicherheit in vielen Personalabteilungen. Über Begründung und Ergebnis der Entscheidung des BAG lässt sich jedoch streiten. Es wirkt durchaus befremdlich, wenn das BAG die Individualität des im Fließtext formulierten Zeugnisses betont – stellt sich in der Praxis das Arbeitszeugnis doch eher als eine Reihung von Standardformulierungen und stoisch wiederholten Worthülsen dar. Die Vorteile des tabellarischen Arbeitszeugnisses, wie größere Transparenz, Vergleichbarkeit sowie Zeitersparnis liegen hingegen auf der Hand. Diese könnten weiterhin fruchtbar gemacht werden, indem gestalterisch eine besondere Gewichtung einzelner, für das Arbeitsverhältnis prägender Umstände sichergestellt und somit der wesentlichen Kritik des BAG an tabellarischen Zeugnisgestaltung begegnet wird. Um auf „Nummer sicher“ zu gehen, sollten Arbeitgeber aber wohl weiterhin auf die ausformulierte Variante der Zeugnisgestaltung zurückgreifen.

KLIEMT.Arbeitsrecht




Wir sind Deutsch­lands führende Spe­zi­al­kanz­lei für Arbeits­recht (bereits vier Mal vom JUVE-Handbuch als „Kanzlei des Jahres für Arbeitsrecht“ ausgezeichnet). Rund 90 erst­klas­sige Arbeits­rechts­exper­ten beraten Sie bundesweit von unseren Büros in Düs­sel­dorf, Berlin, Frankfurt, München und Hamburg aus. Kompetent, persönlich und mit Blick für das Wesent­li­che. Schnell und effektiv sind wir auch bei komplexen und grenz­über­schrei­ten­den Projekten: Als einziges deutsches Mitglied von Ius Laboris, der weltweiten Allianz der führenden Arbeitsrechtskanzleien bieten wir eine erstklassige globale Rechtsberatung in allen HR-relevanten Bereichen.
Verwandte Beiträge
Individualarbeitsrecht Neueste Beiträge

Fallstricke bei der Ausstellung von Arbeitszeugnissen

Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses wartet für Arbeitgeber eine unliebsame Aufgabe: die Ausstellung des Arbeitszeugnisses. Für Arbeitgeber ist durch die Ausstellung des Arbeitszeugnisses in der Regel nichts gewonnen, der Aufwand für dessen (ordnungsgemäße) Formulierung ist indes oftmals groß. Für den Arbeitnehmer dagegen dient das Arbeitszeugnis als Bewerbungsunterlage und ist damit auch für sein berufliches Fortkommen von entscheidender Bedeutung. Gerade deshalb fürchten Arbeitnehmer „versteckte“ Botschaften zu ihrem…
Individualarbeitsrecht Neueste Beiträge Prozessrecht

Wird das Arbeitsrecht künftig unbürokratischer?

Mit dem Ziel, das Wirtschafts- und Wohlstandsmodell Deutschland zukunftssicher zu machen, hat das Bundeskabinett die Eckpunkte für ein weiteres Bürokratieentlastungsgesetz („BEG IV“) beschlossen. Unnötige bürokratische Belastungen sollen abgebaut werden. Doch welche Konsequenzen hat dies für die HR-Praxis im Unternehmen? Ein Kernelement des Eckpunktepapiers zum BEG IV ist die Förderung des digitalen Rechtsverkehrs. Dazu soll statt bisher die Schriftform zukünftig die elektronische Form oder, wenn geeignet,…
Compliance Individualarbeitsrecht Neueste Beiträge

Kündigung wegen Nachrichten in einer privaten Chatgruppe

Nach einer aktuellen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts kann sich ein Arbeitnehmer nur ausnahmsweise darauf berufen, Nachrichten in privaten Chatgruppen seien vertraulich, wenn er sich darin in stark beleidigender, rassistischer, sexistischer und zu Gewalt aufstachelnder Weise über Vorgesetzte und andere Kollegen äußert. Das Bundesarbeitsgericht hatte die Frage zu klären, ob sich ein Arbeitnehmer, der sich in einer privaten Chatgruppe auf schwerwiegende und anstößige Weise gegenüber Kollegen äußert,…
Abonnieren Sie den kostenfreien KLIEMT-Newsletter.
Jetzt anmelden und informiert bleiben.

 

Die Abmeldung ist jederzeit möglich.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert