Aus der modernen Arbeitswelt sind Einlasskarten, digitalisierte Arbeitszeiterfassungssysteme und Chatbots kaum mehr wegzudenken. Gleichzeitig stehen Arbeitgeber aber gerade bei IT-Systemen vor der Herausforderung, dass vor deren Einführung erst das IT-Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats einzuhalten ist. So kann die Einführung einer vermeintlich unkomplizierten Facebook- oder Instagram-Präsenz des Unternehmens ohne Weiteres auch einige Monate in Anspruch nehmen. Eine Trendwende bei der antiquierten Auslegung bei der IT-Mitbestimmung scheint jedoch absehbar zu sein. Arbeitgeber können bereits jetzt entsprechende Vorkehrungen treffen.
Die Beteiligung des Betriebsrats bei IT-Systemen
Der Betriebsrat hat nach dem IT-Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG bei der Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen mitzubestimmen, wenn diese „dazu bestimmt“ sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen. Das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG wurde bisher sehr weit ausgelegt, obwohl bei genauerer Betrachtung die wenigsten IT-Systeme wirklich „dazu bestimmt“ sind Arbeitnehmer zu überwachen. Die Rechtsprechung interpretierte die Norm anders und vertrat bisher die Auffassung, dass allein die objektive Eignung der IT-Systeme zur Überwachung ausreichend sei. Von der einfachen Excel-Tabelle bis zur komplexen KI-basierten Software fiel eine Vielzahl von täglich in Betrieben eingesetzten technischen Einrichtungen unter das Mitbestimmungsrecht. Ob der Arbeitgeber überhaupt eine Überwachung beabsichtigt hatte, spielte keine Rolle. Die Rechtsprechung des BAG zur Facebook-Kommentarfunktion aus dem Jahr 2016 bestätigte diese extensiven Auslegungsgrundsätze nochmals öffentlichkeitswirksam.
Schwierigkeiten für die betrieblich Praxis
Diese Auslegung des IT-Mitbestimmungsrechts führt zu erheblichen Schwierigkeiten in der betrieblichen Praxis und verlangsamt unnötig die notwendigen Digitalisierungsprozesse in Unternehmen. Gerade vor dem Hintergrund des internationalen Wettbewerbs setzen Unternehmen vermehrt auf technischen Fortschritt; dieser wird bei einer derartig extensiven Auslegung des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG erheblich erschwert.
Die kurzfristige Einführung eines ersten „Piloten“ zur Testung eines neuen IT-Systems erscheint bei diesen Rahmenbedingungen nahezu undenkbar, wenn der Betriebsrat seine Zustimmung verweigert. Nicht selten erfolgt die Verweigerung des Betriebsrats, um andere Ziele/Verhandlungen voranzutreiben bzw. Druckmittel aufzubauen. Das IT-Mitbestimmungsrecht wird daher auch zweckentfremdet.
Trendwende bei der IT-Mitbestimmung bereits eingeleitet?
Seit der der Entscheidung des BVerwG zur Facebook-Kommentarfunktion vom 4. Mai 2023 – 5 P 16.21 (siehe dazu Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Social Media?) dürften die Arbeitsgerichte vermehrt auf die arbeitgeberseitige Argumentation treffen, dass eben nicht pauschal und ohne Weiteres jedes IT-System dem Mitbestimmungsrecht unterliegt, wenn es zur Überwachung der Arbeitnehmer grundsätzlich geeignet ist.
Nach der Entscheidung des BVerwG hänge das IT-Mitbestimmungsrecht aus dem BPersVG (nahezu identisch zum BetrVG) bei Social-Media-Kanälen nämlich davon ab, ob eine hinreichende Wahrscheinlichkeit vorliegt, dass durch den Betrieb der Social-Media-Kanäle mit Kommentarfunktion
- tatsächlich Nutzerkommentare über das Verhalten oder die Leistung von Beschäftigten in einem beachten Umfang zu erwarten sind oder
- zumindest im Verlaufe des Betriebs damit zu rechnen ist.
Das BVerwG lässt zudem auch Faktoren wie den tatsächlichen Umfang der Besucher-Beiträge, die Art und Konzeption des Internetauftritts, die Löschungsbemühungen und die Löschungsmöglichkeiten des Arbeitgebers in die Entscheidung einfließen. Anknüpfungspunkt ist also unmittelbar – und das ist im Hinblick auf die bisherige BAG-Rechtsprechung neu – ein begründeter bzw. nachvollziehbaren Überwachungsdruck und nicht die bloße Möglichkeit.
Diese Erwägungen könnten nun auch die Arbeitsgerichte davon überzeugen, dass jeder Einzelfall bei der IT-Mitbestimmung gesondert zu betrachten ist und nicht mit der bisherigen Pauschalität jede Chipkarte für den Betriebsparkplatz sofort als mitbestimmungspflichtig angesehen wird.
Praxisausblick und Handlungsempfehlung für Arbeitgeber
Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BVerwG, die angesichts der inhaltsgleichen Regelungen aus dem BetrVG und BPersVG, auch in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung Beachtung finden wird, wären Arbeitgeber bereits jetzt frei darin IT-Systeme einzuführen, solange sie sicherstellen, dass ausreichende Vorkehrungen zur Vermeidung eines Überwachungsdrucks getroffen werden. Angesichts weiterhin bestehender Risiken bei der Missachtung von Mitbestimmungsrechten ist Arbeitgebern zukünftig aber (noch) zu empfehlen – trotz Kehrtwende in der Rechtsprechung – in jedem Einzelfall vor Einführung eine differenzierte Bewertung des IT-Systems vorzunehmen und vor allem die realitätsnahen Auswirkungen zu betrachten. Die Vorbewertung des Systems hinsichtlich des Überwachungsdrucks einschließlich der Löschintervalle muss zukünftig Teil des Lösungskonzepts sein. Leitlinien für eine solche Bewertung können etwa in Rahmenvereinbarungen mit dem Betriebsrat festgelegt werden. Mit Spannung bleibt nun abzuwarten, ob sich die Arbeitsgerichte der Rechtsprechung des BVerwG anschließen und ein moderneres Auslegungsverständnis zeigen.