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Mythos – strikte Trennung von Informations- und Verhandlungsphase

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Irrglaube oder Verzögerungstaktik – nicht selten verweigern Betriebsräte die Aufnahme der Verhandlungen zu Interessenausgleich und Sozialplan mit dem Argument, sie seien nicht hinreichend informiert.

Betriebsräte ziehen sich im Rahmen der Verhandlungen zu Interessenausgleich und Sozialplan häufig auf den Standpunkt zurück, erst nach Abschluss der „Informationsphase“ in die „Verhandlungsphase“ eintreten zu wollen. Mit dem Argument nicht hinreichend informiert zu sein, setzen sie Arbeitgeber zeitlich unter Druck. Eine solch strikte Trennung von Informations- und Verhandlungsphase ist nicht nur realitätsfern, auch das Gesetz sieht sie nicht vor.

Das Gesetz

Planen Arbeitgeber Betriebsänderungen, die wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge haben können, müssen sie den Betriebsrat rechtzeitig und umfassend unterrichten und die geplante Betriebsänderung mit dem Betriebsrat beraten (§ 111 S. 1 BetrVG).

Der Betriebsrat soll sich anhand der ihm zur Verfügung gestellten Informationen ein vollständiges Bild von der geplanten Maßnahme und deren Auswirkungen machen können. Er soll in die Lage versetzt werden, das Ob, Wann und Wie der geplanten Betriebsänderung zu beeinflussen. Insoweit ist es richtig, dass der Betriebsrat über die erforderlichen Informationen verfügen muss, um die beabsichtigten Maßnahmen verstehen und mit dem Arbeitgeber erörtern bzw. beraten („verhandeln“) zu können. Gleichwohl ergibt sich aus dem Gesetz keine strikte Abfolge oder Stufigkeit hinsichtlich der Informations- und Verhandlungsphase. § 111 S. 1 BetrVG beschreibt vielmehr einen einheitlichen Vorgang der Unterrichtung und Beratung. Liegen dem Betriebsrat Informationen zu Ob, Wann und Wie der geplanten Betriebsänderung vor, liefe eine Verweigerung der Verhandlungsaufnahme zudem einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zuwider – selbst dann, wenn die geteilten Informationen noch nicht abschließend sein sollten.

Die Praxis

Auch in der Praxis lässt sich die Verquickung der Informations- und Verhandlungsphase nicht leugnen. Die Phasen gehen typischerweise fließend ineinander über und können nicht klar voneinander getrennt werden – sie bedingen einander wechselseitig. Unstreitig ist ein Betriebsrat zunächst auf Informationen des Arbeitgebers angewiesen, um auf dieser Grundlage in die Verhandlungen einzutreten. Im Rahmen der Verhandlungen ergibt sich jedoch typischerweise weiterer Informationsbedarf, der sodann durch den Arbeitgeber zu befriedigen ist. Es wäre realitätsfern anzunehmen, die Betriebsparteien könnten etwaig entstehende Informationsbedarfe bereits vor Eintritt in die Verhandlungen voraussehen.

Praxishinweis

Ungeachtet der Tatsache, dass Arbeitgeber mit dem Mythos der strikten Trennung von Informations- und Verhandlungsphase aufräumen können, bleibt das A und O zur Beschleunigung der Verhandlungen zu Interessenausgleich und Sozialplan eine umfassende Information des Betriebsrates. Stellen Arbeitgeber bereits zu Beginn umfassende, detaillierte, gut aufbereitete Informationen zur Verfügung, können Fragen von Betriebsratsseite auch zügig beantwortet werden. Eine gute Vorbereitung zeichnet sich auch dadurch aus, zu erwartende Fragen zu antizipieren, um Antworten unmittelbar geben zu können. Unter Rückzug auf eine unzureichende Informationslage kann der Betriebsrat dann jedenfalls keine Befassung mit den Entwürfen des Interessenausgleichs und Sozialplans verweigern.

Franziska Wasem

Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht
Senior Associate
Franziska Wasem berät und vertritt nationale wie internationale Unternehmen in sämtlichen Bereichen des Individual- und Kollektivarbeitsrechts. Ein Schwerpunkt ihrer Tätigkeit liegt in der laufenden arbeitsrechtlichen Beratung von Unternehmen sowie in der Betreuung von Kündigungsschutzstreitigkeiten.
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