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Betriebsratswahl 2022 Neueste Beiträge

Betriebsratswahlen in Zeiten der Covid-19-Pandemie – Wahllokal oder Wohnzimmer?

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In wenigen Monaten stehen die nächsten regulären Betriebsratswahlen an. Die Covid-19-Pandemie könnte aufgrund der derzeitigen Entwicklungen zu Beeinträchtigungen und Schwierigkeiten bei der konkreten Durchführung der Betriebsratswahlen vor Ort führen. Die Briefwahl könnte das Mittel der Wahl sein – doch ist das auch generell zulässig?

Bevor die Betriebsratswahlen im Jahr 2022 anstehen, findet zunächst noch am 26. September 2021 die nächste Bundestagswahl statt. Viele Wähler und Wählerinnen werden ihre Stimme zu diesem Zeitpunkt bereits abgegeben haben – per Briefwahl. Laut Vorhersagen könnten es dieses Jahr so viele sein wie nie zuvor – das wohl auch im Hinblick auf die derzeitige epidemische Lage. Was in diesem Zusammenhang so selbstverständlich erscheint, ist jedoch im Hinblick auf die Betriebsratswahlen nach wie vor die Ausnahme. Bestrebungen des Gesetzgebers das in absehbarer Zeit zu ändern sind bislang nicht ersichtlich. Im Einzelnen:

1. Grundsatz der Betriebsratswahlen im Betrieb

Die Betriebsratswahl findet grundsätzlich vor Ort, d.h. in der Betriebsstätte, statt. Eine schriftliche Stimmabgabe (Briefwahl) sieht § 24 der Ersten Verordnung zur Durchführung des Betriebsverfassungsgesetzes (Wahlordnung – WO) nur ausnahmsweise vor. Auf Antrag hat der Wahlvorstand die entsprechenden Briefwahlunterlagen Wahlberechtigten, die im Zeitpunkt der Wahl wegen Abwesenheit vom Betrieb verhindert sind, ihre Stimme persönlich abzugeben, auszuhändigen bzw. zu übersenden (§ 24 Abs. 1 WO). Eines Antrags bedarf es nicht, wenn die Abwesenheit dem Wahlvorstand bekannt ist (§ 24 Abs. 2 WO). Schließlich können für Betriebs-teile und Kleinstbetriebe, die räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt sind, Ausnahmen gel-ten. Eine generelle Durchführung der Betriebsratswahl im Wege der Briefwahl wird indes nach wie vor als grundsätzlich unzulässig angesehen. Bestrebungen des Gesetzgebers dies zu ändern sind bislang zudem nicht ersichtlich.

2. Sonderregelungen für die Personalratswahlen 2020 – Änderung der Wahlordnung zum BPersVG (BPersVWO)

Anders sah es dagegen im Hinblick auf die Personalratswahlen 2020 aus, für die die Wahlordnung zum BPersVG (BPersVWO) entsprechend geändert wurde. Vorübergehend wurde § 19a BPersVWO eingeführt, der die Möglichkeit der schriftlichen Stimmabgabe explizit und nicht nur für Ausnahmefälle für die Personalratswahlen 2020 vorsah.
Eine Analogie kann man darüber jedoch nicht für die Betriebsratswahlen 2022 herleiten. Abgesehen davon, dass § 19a BPersVWO bereits zum 31. März 2021 wieder außer Kraft getreten ist (vgl. § 19a BPersVWO), weist die Änderung deutlich darauf hin, dass der Gesetzgeber sich durchaus bewusst ist, dass es zur Ermöglichung der Briefwahl nicht nur in Ausnahmefällen Änderungen der Wahlordnungen bedarf. Ähnliche Bestrebungen gibt es im Hinblick auf die Betriebsratswahlen 2022 indes nicht. Hintergrund könnte sein, dass er das Pandemiegeschehen derzeit anders einschätzt. Im Zweifel kann er das Thema auch noch bis März 2022 angehen.

3. § 129 BetrVG a.F. – Betriebsrätemodernisierungsgesetz

§ 129 Abs. 3 BetrVG in der Fassung bis zum 31.03.2021 enthielt die Möglichkeit, Versammlungen nach den §§ 42, 53 und 71 BetrVG online durchzuführen. Eine Anwendung der Vorschrift auf eine Wahlversammlung (Wahl des Wahlvorstands) war jedoch nicht erfasst, sodass die Wahlversammlung auch unter § 129 BetrVG weiterhin physisch durchzuführen war. Letzteres gilt auch für die Betriebsratswahlen. Denn der Gesetzgeber hat das Problem von Präsenzveranstaltungen in der Pandemie durchaus gesehen und Ausnahmen u.a. für gewisse Präsenzveranstaltungen, die das BetrVG grundsätzlich vorsieht, explizit geregelt, nicht aber für die Wahl des Betriebsrats. Das bestätigt auch ein Beschluss des LAG Berlin-Brandenburg v. 24.08.2020 (Az. 12 TaBVGa 1015/20). Darüber hinaus sind anderweitige Bestrebungen im sog. „Betriebsrätemodernisierungsgesetz“ nicht vorgesehen.

4. Briefwahl weiterhin nur in Ausnahmefällen – Modalitäten für die Präsenzwahlen

Mangels absehbarer Bestrebungen des Gesetzgebers zur Ermöglichung einer generellen Briefwahl zur Betriebsratswahl 2022 ist weiterhin von Präsenzwahlen auszugehen. Eine gesetzliche Grundlage für eine generelle Briefwahlmöglichkeit besteht derzeit nicht. Einzelfallabhängig kann es dazu aber de facto auch auf Basis der bestehenden Wahlordnung kommen (vgl. v.a. § 24 Abs. 2 WO), etwa wenn Beschäftigte gänzlich ins Home Office versetzt werden oder die Produktion gänzlich stillsteht und/oder der Betrieb gänzlich geschlossen sein sollte. Das dürfte aber, da Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in zahlreichen Betrieben, nach wie vor oder wieder vollumfänglich oder in großen Teilen regulär tätig werden, seltener der Fall sein.

Für die Präsenzwahl – aber auch bereits für die Durchführung der ersten Wahlversammlung – sollten Arbeitgeber über ein entsprechendes Hygienekonzept verfügen. Im Rahmen dessen sind die für den Arbeitgeber geltenden Vorschriften des SARS-CoV-2 Arbeitsschutzstandard des BMAS sowie der SARS-CoV-2 Arbeitsschutzregel, die von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin gemeinsam mit den Arbeitsschutzausschüssen beim BMAS erstellt wurden, einzuhalten.

Dr. Susanna Stöckert

Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht
Senior Associate
Susanna Stöckert berät und vertritt nationale und internationale Unternehmen in sämtlichen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Neben Restrukturierungsprojekten berät sie ihre Mandanten zudem in Kündigungsrechtsstreitigkeiten, im Bereich des Betriebsverfassungsrechts sowie in der Vertragsgestaltung. Sie ist Mitglied der Fokusgruppe "Aufsichtsratsberatung".
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